Um manche Presseverlautbarungen muss man herumgehen und sie drei Mal umdrehen, bis sie irgendeinen Sinn ergeben. Wie bei dieser hier von Nico Tippelt, hochschulpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag, zur Kürzungsdebatte an der Uni Leipzig: "Jammern über unterfinanzierte sächsische Hochschulen ist ein Märchen". - Märchen? Wie begründet er das?

“Das Jammern der Opposition über unterfinanzierte sächsische Hochschulen ist ein Märchen. Der Freistaat investiert in kluge Köpfe und neue Ideen. Gerade die Mittel für Forschung und Entwicklung sorgen dafür, dass Sachsen seinen hervorragenden Ruf als Ingenieursschmiede Deutschlands auch künftig erfolgreich verteidigen wird”, verkündete der 46-jährige Musikpädagoge aus Zwickau am Mittwoch. “Im Vergleich mit anderen Bundesländern liegt Sachsen bei den Forschungsausgaben pro Student mit 5.870 Euro knapp über dem deutschlandweiten Durchschnitt. Beim Anteil der zusätzlichen Drittmittel an den Gesamtausgaben für Forschung erreichen Sachsens Hochschulen mit 17 Prozent sogar Platz 2. Laut Statistischem Bundesamt hat Sachsen die höchsten Forschungsausgaben für Hochschulen unter den ostdeutschen Flächenländern, absolut und pro Studierender.”

Erste Zwischenbemerkung: An der Uni Leipzig werden derzeit keine Forschungsstellen gestrichen, sondern Dozentenstellen und ganze Institute. Was haben die Forschungszahlen hier zu suchen?

Aber Tippelt ist überzeugt, dass an Sachsens Hochschulen alles bestens läuft: “Mit dem Hochschulfreiheitsgesetz haben die Hochschulen zudem mehr Freiheit und Schlagkraft bekommen. Diese Freiheit gilt es, verantwortungsbewusst einzusetzen. Wer von einer ‘Autonomiefalle’ spricht, soll doch offen und ehrlich sagen, was er will: nämlich weniger Autonomie für die Hochschulen. Das ist mit uns aber nicht zu machen!”

Das Wort “Märchen” nahm am Mittwoch auch die CDU-Fraktion in den Mund. Es scheint in Sachsen wirklich zu funktionieren: Man behauptet einfach steif und fest, was die Opposition da an Kritik vortrage, sei ein “Märchen”. Und das Volk glaubt es auch noch, lässt sich einlullen.

Es war der Abgeordnete Geert Mackenroth (CDU), bis 2009 sächsischer Justizminister, der vom “Märchen von den chronisch unterfinanzierten Hochschulen” sprach.
Entsprechend sauer reagiert die Konferenz Sächsischer Studierendenschaften. Die Studierenden erleben dieses “Märchen” ja tagtäglich selbst in überfüllten Hörsälen, mit fehlender Betreuung, Wartezeiten auf Arbeits- und Prüfungsbewertungen. Ganze Studiengänge sind überlaufen. Und nicht einmal das schützt sie davor, jetzt ganz gestrichen zu werden.

Mackenroths Auftritt zeige, “mit welcher Ignoranz derzeit im Freistaat Sachsen Hochschulpolitik betrieben wird”, erklärt dazu Bernd Hahn, Sprecher der Konferenz Sächsischer Studierendenschaften (KSS). “Sollten die Forderungen von Finanzminister Unland nach dem Abbau von über 1.000 Stellen an den sächsischen Hochschulen bis 2020 nach der Landtagswahl im Sommer diesen Jahres umgesetzt werden, so stehen bald nicht nur einzelne Institute oder Studiengänge, sondern ganze Fakultäten oder gar Hochschulen zur Debatte.”

Die sächsische CDU betreibt unübersehbar einen Raubbau an der sächsischen Hochschullandschaft. Und was FDP und CDU so einmütig loben, ist nichts anderes, als ein Trojanische Pferd, mit dem weitere Streichungen erzwungen werden – und das auch noch so, dass es aussieht, als wären es freie Handlungen der Hochschulen selbst.

Aber erst mal zum Geld. Tippelt behauptete ja, die Hochschulen stünden bei Forschung opulent da. Und bei der Lehre?

Die ohnehin schon prekäre Ausstattung der sächsischen Hochschulen verschlechtert sich auf Basis der Zielvereinbarungen bis 2015 erneut, stellst die KSS fest. So gab der Freistaat Sachsen im Jahr 2010 6.540 Euro pro Studierenden für die Grundfinanzierung von Universitäten, also vornehmlich für die Lehre, aus und lag damit weit unter dem Bundesdurchschnitt von 8.510 Euro. Durch weiterhin ansteigende Studierendenzahlen ist damit zu rechnen, dass diese Kennzahl sich weiter verschlechtert und somit die Qualität und Vielfalt der Lehre an den sächsischen Hochschulen weiter in Mitleidenschaft gezogen wird.

Mit der Unterschrift unter die in § 10 des Sächsischen Hochschulfreiheitsgesetzes geregelten Zielvereinbarungen zwischen dem Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK) und den sächsischen Hochschulen haben die Rektorinnen und Rektoren im Dezember 2013 den jährlichen Abbau von landesweit weit über 60 Hochschulpersonalstellen hingenommen. Die Universität Leipzig trägt mit 24 Stellen pro Jahr den Löwenanteil der Last und hat entschieden die vom Ministerium angeordneten Kürzungen durch Schließung der Institute für Archäologie und für Theaterwissenschaften zu realisieren.

“Außer den Stellenkürzungen werden in den Zielvereinbarungen hohe Anforderungen im Bereich Qualitätssicherung gestellt. Diese sind logischer Weise nur mit personellem und finanziellem Aufwand zu erfüllen. Dass die Studierendenzahlen nicht sinken und dass gute Lehre auch finanziert werden muss, hat die Landesregierung noch immer nicht verstanden! Wie sollen die Hochschulen diesen gordischen Knoten zerschlagen, wenn das Personal immer weiter abgebaut wird?”, fragt Bernd Hahn. “Unter dem Eindruck der seit 2012 im Hochschulfreiheitsgesetz gebotenen Möglichkeit des Wissenschaftsministeriums Zielvereinbarungen auch gegen den Willen einer Hochschule festlegen zu können, kann auf keinen Fall von einem freiwilligen Stellenabbau durch die Hochschulen gesprochen werden!”

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