100 Prozent Personalabdeckung im Grundbereich der sächsischen Schulen - das heißt nichts anderes als: Hier wird haarscharf auf Kante geplant. Nicht mehr. An etlichen Schulen sogar weniger, wie jetzt eine Landtagsanfrage der bildungspolitischen Sprecherin der Grünen-Fraktion, Petra Zais, ergab. Und gerade Schulen in Leipziger Problemvierteln sind betroffen.

„Die Folgen des Lehrermangels werden an den Schulen Sachsens immer deutlicher spürbar. Es gelingt bereits auf dem Papier an jeder sechsten Schule nicht mehr, zumindest den Grundbereich und damit die Stundentafel vollständig abzusichern. Die Personaldecke ist nicht nur dünn, sie hat bereits Löcher“, kritisiert Petra Zais, nachdem sie die aktuellen Zahlen von Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) bekommen hat.

Und die sind eindeutig und zeigen, dass man ohne den einst üblichen Puffer an noch frei einsetzbaren Lehrern den Unterricht in Sachsen nicht absichern kann.

Landesweit ist der Grundbereich an etwa 15 Prozent der Schulen nicht mehr vollständig abgedeckt, in der Stadt Leipzig sind es 16,8 Prozent, was dann 23 der 137 Schulen betrifft. Bei den Schularten sind es die Förderschulen, in denen die planmäßige Absicherung des Unterrichts am seltensten gelingt. So ist auch in Leipzig jede zweite der 16 Förderschulen von einer unzureichenden Personalzuweisung betroffen. Aber auch an Oberschulen (4 von 26 Schulen = 15,4 Prozent ohne vollständige Abdeckung des Grundbereichs), Grundschulen (9 von 67 Schulen = 13,4 Prozent) und Gymnasien (2 von 19 Schulen = 10,5 Prozent) gibt es Engpässe.

Ein Stundenpool in Verantwortung des Schulleiters, wie er noch vor einigen Schuljahren üblich war, um auf kurzfristige Ausfälle reagieren zu können, steht in keiner der fünf Regionalstellen der Sächsischen Bildungsagentur (SBA) mehr zur Verfügung, auch in Leipzig nicht, zieht Zais die Bilanz aus dieser folgenreichen Einspar-Politik.

Und selbst der Ergänzungsbereich kann vielerorts kaum mehr für Entlastung sorgen – vom Vorhalten zusätzlicher Bildungsangebote, für die diese Stunden eigentlich gedacht sind, ganz zu schweigen. So musste im laufenden Schuljahr an 47 Leipziger Schulen (34,3 Prozent) vollständig ohne Ergänzungsbereich geplant werden, so etwa an allen Förderschulen im Stadtgebiet.

Der Grundbereich umfasst die Stunden, die sich aus den geltenden Stundentafeln, der Klassen- und Gruppenbildung sowie den Stunden für Integration ergeben. Soweit es die Ressourcen zulassen, wird darüber hinaus der Ergänzungsbereich zugewiesen. Sofern der Grundbereich, Anrechnungen, Minderungen, Ermäßigungen und Freistellungen sowie der Ergänzungsbereich vollständig abgesichert werden können, weist die SBA in Abhängigkeit von den vorhandenen Ressourcen den Schulen zusätzlich einen Stundenpool in Verantwortung des Schulleiters zu. Lehrerwochenstunden aus dem Ergänzungsbereich und dem Stundenpool in Verantwortung des Schulleiters werden für Schüler als zusätzliche Bildungsangebote in den Schulen und für schulübergreifende Projekte verwendet, solange kein Bedarf zur Sicherung des Unterrichts im Grundbereich vorhanden ist.

Besonders stark von einer unzureichenden Personalzuweisung betroffen sind in Leipzig auch wieder Schulen im Leipziger Osten, wie die Hans-Christian-Andersen-Schule – Grundschule der Stadt Leipzig in Sellerhausen, wo der Grundbereich nur zu 89 Prozent abgedeckt werden kann, im Ergänzungsbereich steht eine Null. Ganz ähnlich bei der Wilhelm-Wander-Grundschule in Neustadt-Neuschönefeld: wo der Grundbereich nur zu 85 Prozent gesichert ist, der Ergänzungsbereich: 0.

Ebenfalls stark betroffen:

Schule zur Lernförderung „Fritz Gietzelt“ Leipzig, Leipzig (GB: 94, EB: 0)
Schule Rosenweg – Schule für geistig Behinderte der Stadt Leipzig, Leipzig (GB: 93, EB: 0)
Schule Mölkau – Oberschule der Stadt Leipzig, Leipzig (GB: 97, EB: 0)
Friedrich-Schiller-Schule – Gymnasium der Stadt Leipzig, Leipzig (GB: 99, EB: 22)

Kultusministerin Kurth zeigt sich in ihrer Antwort dennoch überzeugt, „dass das verfügbare Arbeitsvermögen in den Schularten Grund- und Oberschule, Gymnasium sowie berufsbildende Schule ausreicht, den Grundbereich abzusichern“.

Die Lücken an den Förderschulen seien offenkundig bekannt, finden aber keine gesonderte Erwähnung, interpretiert es Petra Zais. Dabei bezieht sich die angenommene vollständige Unterrichtsabsicherung auf die Betrachtung der Gesamtsituation der Regionalstelle Leipzig. Rechnerisch, also auf dem Papier, sei demnach alles im Lot. „Ableitungen zur tagaktuellen Situation an den Schulen sind aus den Daten nicht möglich“, heißt es in der Antwort der Ministerin.

„Ich kann nicht nachvollziehen, warum die Lücken in der Unterrichtsversorgung noch immer schöngerechnet werden“, erklärt die Abgeordnete dazu. „Eine nur theoretische Absicherung des Unterrichts hilft den Schulen nicht weiter. Die notwendige Konsequenz ist klar: Wir brauchen mehr Lehrkräfte. In den anstehenden Haushaltsberatungen müssen mehr Stellen geschaffen werden. Aufgrund zu weniger ausgebildeter Lehrkräfte braucht es außerdem mehr Anstrengungen im Bereich der Fort- und Weiterbildung. Die vielen Seiteneinsteiger an sächsischen Schulen, deren Zahl weiter steigen wird, verdienen eine faire Chance und eine gute Perspektive.“

Aber ansonsten sieht sie vor allem ein System, dass vor allem die Pädagogen auf Verschleiß fährt, weil viel zu spät und viel zu ungenügend auf den drohenden Personalmangel reagiert wurde. Und erst am Freitag, 22. April, vermeldete das Kultusministerium selbst, dass die Schülerzahlen in Sachsen noch schneller und noch stärker zunehmen werden, als bisher geplant.

„Der Freistaat fährt mit seinem Personal auf Verschleiß, und zwar zu Lasten der Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen“, sagt Zais. „Auch Finanzminister Prof. Georg Unland (CDU) sollte klar sein, dass sich die Lücken in der Unterrichtsversorgung nicht allein mit ‚Personalmaßnahmen’ wie Versetzungen und Abordnungen stopfen lassen. Ich hoffe sehr, dass es mit dem neuen Haushalt ein Einsehen gibt und Kultusministerin Kurth im Kabinett erfolgreich mehr Lehrerstellen durchsetzt.“

 

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