Für FreikäuferIm Grunde ist im jüngsten INSM-Bildungsmonitor die gesamte Bundesrepublik abgeschmiert, die ganze heillos zerstrittene Bundesländer-Bildungsgemeinschaft, die sich seit 2001, seit dem großen „PISA-Schock“, regelrecht verbissen hat in Symptom-Doktorei. Dass die INSM ihre „Bildungs-Monitore“ produziert, gehört zu dieser Flickschusterei. Man diskutiert über Belanglosigkeiten, hat aber das, was Bildung eigentlich sein sollte, völlig outgesourct.

Auf den ersten Blick erstaunlich klingt, wenn Dr. Simone Raatz, mittelsächsische SPD-Abgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, zum wiederholten ersten Platz Sachsens in diesem Zahlenwerk auch noch lobende Worte findet: „Über das gute Abschneiden unserer Schülerinnen und Schüler freue ich mich sehr. Allerdings kann das Ranking nicht über unsere Probleme im Bildungsbereich hinwegtäuschen. Der anhaltende Mangel an Lehrerinnen und Lehrern, die viel zu hohe Zahl an Schulabgängern ohne Schulabschluss und die fehlende Inklusion sind große Herausforderungen für den Freistaat. Bisher sehe ich in diesem Bereich wenig Bewegung im zuständigen CDU-geführten Staatsministerium.“

Unübersehbar: Wer sich den Zustand des sächsischen Bildungssystems anschaut, der sieht, wie zermürbt es schon ist. Und dass gerade das, was Bildung wirklich trägt, nach neoliberalen Sparmodellen ausgehöhlt und mürbe gemacht wurde.

Um das besser zu sehen, lohnt sich ein Blick über die Landesgrenze. Denn auch andere europäische Länder sind den fatalen Weg des neoliberalen Sparens gegangen und haben damit ein Arbeitsfeld, in dem man dringend gut ausgebildete und erfahrene Fachkräfte braucht, regelrecht entwertet.

Karin Finkenzeller schrieb in der „Zeit“ über die gewaltigen Probleme im französischen Bildungssystem, die den deutschen so fatal ähneln. Auch dort scheitern vor allem die Kinder aus den eh schon benachteiligten Familien, haben die schlechtesten Schulen, überforderte Lehrer, erlangen nicht die notwendige Lesekompetenz, die notwendig ist, um überhaupt die Leiter zu einer höheren Bildung zu erklimmen. Der Titel, der als Buchtitel derzeit auch die Franzosen aufschreckt: „Wie konnten sie so verblöden?“

In Deutschland kommt dann noch der Flickenteppich der Bundesländer dazu, die alle über die Eigenständigkeit ihres Bildungssystems wachen und oft derart verschiedene Lehrpläne pflegen, dass ein Schulwechsel zwischen zwei Bundesländern für Eltern und Kinder meist zur Katastrophe wird.

Und nicht nur der Leistungsstand der Kinder ist oft nicht vergleichbar. Auch die Lehrer legen oft völlig unterschiedliche Maßstäbe ab.

Was – so Simone Raatz – gerade die Schüler aus dem Primus-Land Sachsen wieder benachteiligt: „Selbst das hohe Niveau unserer Schulen wird aktuell zum Problem für unsere Absolventen. Denn im Vergleich der Bundesländer haben sie es viel schwerer, gute (Abitur-)Noten zu erreichen. Bei der zunehmenden Konkurrenz um attraktive Studienplätze haben sie dann häufig das Nachsehen, da sie den Numerus Clausus (NC) nicht erreichen. Die Lösung kann nur ein einheitlicheres Schulsystem mit vergleichbaren hohen Standards sein. Dessen Einführung ist eine bundesweite Aufgabe. Daher müssen wir das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in diesem Bereich endlich vollständig aufheben.“

Baustelle neben Baustelle. Und mittendrin ein gnadenlos auf Elite getrimmtes Schulsystem – nicht nur in Sachsen. Nach der vierten Klasse wird rigoros aussortiert. Und auch die Chance, dann noch bis zur sechsten Klase zu wechseln, nutzt Kindern aus benachteiligen Elternhäusern nichts. Denn woher sollen sie die Unterstützung bekommen, diesen Nachteil noch aufzuholen?

Was einen auf das oft benannte Thema der „Helikoptereltern“ bringt, die meist in einem sehr negativen Licht gemalt werden, weil sie auch vor juristischen Mitteln nicht zurückschrecken, ihre Kinder doch noch zu besseren Noten und auf eine höhere Schule zu bekommen.

Aber sie sind auch nur ein anderer Aspekt der Leidtragenden. Im Gegensatz zu finanziell schwach betuchten Eltern können sie sich gegen ein rigide auf Auslese getrimmtes System wehren, in dem nun einmal Noten und Bildungsempfehlungen darüber entscheiden, ob ein Kind jemals eine Chance bekommt oder nicht.

Es ist die Fehlkonstruktion dieser Auslese, die falsch ist.

Aber es sind nicht die Bürger oder Eltern, die an diesem Elite-System festhalten wollen. 66 Prozent aller Sachsen sind für eine Gemeinschaftsschule mit Oberschule und Gymnasium unter einem Dach und 64 Prozent für längeres gemeinsames Lernen mindestens bis zur sechsten Klasse. Denn auch das zeigt der Blick nach Frankreich: Ein modernes Land in Europa kann sich überhaupt nicht erlauben, 14 bis 20 Prozent der jungen Menschen einfach durchs Raster fallen zu lassen. Das bringt ja gerade erst all die grauen Räume der Chancenlosigkeit hervor, in denen soziale Konflikte wachsen und auch Terroristen ihre Heimstatt finden.

Ganz zu schweigen davon, dass die Wirtschaft nach ausbildbarem Nachwuchs schreit. Und zwar nicht irgendwelchem: Immer mehr Arbeitsfelder erfordern gut ausgebildete Fachkräfte mit hohem Bildungsniveau. Die bekommt man aber nicht, wenn man für die Hälfte der Kinder nach der 4. Klasse die Luft rauslässt und das Niveau absacken lässt. Tatsächlich müssten die pädagogischen Ansprüche bis zuletzt hoch bleiben und die Entscheidung der Kinder bei der Schulart nicht über Elite und Nicht-Elite entscheiden, sondern über die bevorzugte Art und Spezialisierung der späteren Tätigkeit.

Dazu aber braucht man ein gutes Bildungsfundament, das vor allem wieder eins braucht: genügend pädagogisch qualifizierte Lehrer. Und zwar nicht „knapp unter Bedarf“, wie es die überforderte sächsische Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU)  seit Jahren rechnet, sondern „über Bedarf“, gerade da, wo Kinder mehr Unterstützung beim Lernen brauchen.

Ein stabiles Bildungsfundament hat eine Menge damit zu tun, ob eine Gesellschaft ins Kippen gerät oder eben nicht. Aber wer bringt das einer Regierung bei, die nun seit Jahren darauf geeicht ist, ein ganzes Land immer knapp unter Bedarf zu fahren und das auch noch als kluge Hauswirtschaft bezeichnet?

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