LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 74, seit 20. Dezember im HandelHabeck, Lindner, Kipping – drei Bundesvorsitzende von politischen Parteien unseres Landes, drei Politiker und Politikerinnen, die von Menschen gewählt etwas für Menschen bewegen wollen. Mit ihnen konnte ich in der „Schillerakademie“ meines Gymnasiums sprechen, den jugendlichen Schülerinnen und Schülern zeigen, dass die talkshowerfahrenen Profis auch auf Aulabühnen reden und (mehr oder weniger) überzeugen können. Wir diskutierten über schwächelnde Bildungssysteme, das Maß an benötigter Freiheit und reale Chancen sozialer Utopien.

Alle Veranstaltungen immer mit Riesen-Medienresonanz, vor großem Publikum und mit entsprechendem Schulterklopfen. Sich selbst ins Risiko zu begeben, ganz aufgeregt zu sein, keine Fehler zu machen und dabei den inhaltlich sauber vorbereiteten und dennoch lockeren Entertainer zu geben. Immer im Bewusstsein, etwas Konkretes dem abstrakt formulierten Klagegesang von der „Politikverdrossenheit“ des Volkes und insbesondere „der Jugend“ entgegenzusetzen, mit der anschließenden Zufriedenheit, es für zwei Stunden vielleicht geschafft zu haben.

Vor erwartungsvollen Schüler/-innen, Eltern und Kolleg/-innen zu stehen, in gespannte Augen zu sehen, die freudige Erwiderungen humorvoller Sentenzen oder einfach Gags zu erleben, das macht auch persönlich einigermaßen froh und auch 0,5 Gramm stolz.

Hinterher gab es dann die Auswertungen in den Schulklassen, im Unterricht, den man vorher – lehrplanabweichend – nutzte, die Gäste vorzustellen. Wer ist Robert Habeck? Welcher Partei „sitzt er vor“? Welche programmatischen Vorstellungen vertritt er? Wohin geht es mit ihm politisch? Gleiches bei Christian Lindner. Warum und seit wann gibt es die Liberalen? Haben sie, besser, wie viel haben sie mit den historischen Wurzeln des Liberalismus im frühindustriellen Deutschland zu tun? Kann das Klima nur von „Profis“ und nicht von lärmenden Jugendlichen gerettet werden?

Einmal entdeckte ich im Gesicht einer fragenden Schülerin eine glitzernde Träne der Leidenschaft, weil sie dem FDP-Chef, ganz Parteivorsitzender, der mit lächelnd kühler Gelassenheit antwortete, den vorgeblichen Fortschritt durch die wissenschaftlich angetriebene „Marktregulierung“ nicht abnahm.

Katja Kipping, am 21. November 2019 im Schillergymnasium zu Gast. Video: L-IZ.de 

Kein leichtes Feld für die „Großen“ aus Berlin

Die Gratwanderung zwischen Zuwendung und Interesse, Auseinandersetzung und wirklicher Diskussion (Lindner anschließend zu mir: „Hach, ich liebe solche Debatten!“) zu bewältigen einerseits, andererseits aber die davorsitzenden Jugendlichen zu erreichen, natürlich anzusprechen, auch zu werben für politische Ziele, dies möglichst subtil, aber dann möglichst ohne Wackler.

Schließlich steht man ja immer unter medialer Beobachtung. Robert Habeck, der sich große Mühe gab, pädagogisch auf Augenhöhe mit den Jungen und Mädchen zu sein, erklärte, definierte, bebilderte. „Ach, Sie wären bestimmt auch ein guter Lehrer geworden.“ So eine Kollegin danach.

Und dann: Hat er, haben sie euch überzeugt? Braucht es lediglich eine postindustriell-ökologische „Innovationsrevolution“ und Autos, die mit Benzin aus der Luft gewonnen fahren? Können wir, müssen wir wirklich mehr tun für die Demokratie? Wie soll das gehen? Kurz: Habt ihr Antworten auf eure Fragen bekommen? Man kommt sich selbst ein wenig subversiv vor, wenn man im Vorfeld und anschließend Deutsch- und Geschichtsunterricht fachübergreifend zum gemeinsamen Fach „Politik“ erweitert. Erweitern muss. Aber: Der Weg ist nicht immer das Ziel.

Schließlich kam noch eine Parteivorsitzende im November. Die Linkspartei, im Mail-Kommentar eines „besorgten Bürgers“ wohl sehr links, vertreten durch Katja Kipping, musste sich die Frage nach den innerparteilichen Querelen gefallen lassen, sich der bohrenden Replik stellen, welche Form der Gewalt denn vonnöten sei, um die „Menschen zu ihrem Glück zu zwingen“. Ein klares Nein die Antwort.

„Ich hatte das Gefühl, dass die Antworten nie von oben herab kamen, fühlte mich ernst genommen.“ So meine Ko-Moderatorin aus der 12. Klasse, die mir eine halbe Stunde das Fragenstellen auf der Bühne abnahm. Klasse. Interesse der Jugend da, „Fridays for Future“ keine politische „Inselbegabung“, ein Gymnasium als Hort politischen Ganztagsunterrichts als innovatives Erfolgsprojekt. Schulterklopfen, Anerkennung, charmantes Lob. Manchmal auch im Lehrerzimmer. Menschenskind, so viel Prominenz. Und das in unserer Schule.

Christian Lindner, am 28. August 2019 im Schillergymnasium. Video: L-IZ.de 

Alles in Butter, würde man also meinen

Na, eher eine dünn bestrichene Butterschnitte (oder Bemme, wie wir hier sagen). Nach zwei Stunden und dem Ende des prominenten Schuldurchzugs (obligatorisch der Verweis an die Parteichef/-innen, doch bitte die normalen Schülertoiletten zum Verrichten der Notdurft zu nutzen) bleibt der Schulalltag zurück.

Ist man wieder Funktionseinheit, die lernen muss, alleine zu laufen, das kollektive Erlebnis wieder einzutauschen in individuelles Justieren eigener Lebensvorstellung zwischen Selbstfürsorge und gesellschaftlicher Verantwortung. Was BILDET sich denn jetzt? Hat sich schon etwas geBILDET? Welches Handeln für den Erhalt unseres demokratischen Gemeinwesens entsteht denn jetzt? Oder einfacher: Was soll ich tun?

Fallen mir die Worte aus Goethes „Faust II“, der „Vision“ – in der DDR immer ungeduldiger Weise frühkommunistisch gedeutet – ein: „Dies ist der Weisheit letzter Schluss: Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss.“

Lebenshöhepunkte, besondere Ereignisse, „Events“ machen das Leben reicher, bergen aber auch die Gefahr, die Anstrengungen des bisweilen so tristen (Schul-) Alltags des Immer-etwas-leisten-Müssens zu verdrängen, zu vernebeln. Und Rauch ist nicht gleich Feuer. Er schwebt nur im Darüber und Drumherum.

Im Deutschunterricht beschäftigten uns zuletzt die Zeilen eines Dissidenten aus Juli Zehs Anti-Utopie „Corpus delicti“. Philosophisch geradezu: „Der kluge Mensch gleicht einer defekten Lampe. Man muss flackern. Subjektiv, objektiv. Subjektiv, objektiv. Anpassung, Widerstand. An, aus.“ Sich bewegen zwischen Berg und Tal heißt das, zwischen Erfolg und Misserfolg, Leidenschaft und Trauer, Engagement und Erwartung.

Und versuchen, „locker“ zu bleiben, dabei kein „Extremist“ oder Fanatiker zu sein. Schwer. Aber das ist der „Weisheit letzter Schluss“, oder? In diesem Sinne uns allen ein „weises, erfolgreiches“ neues Jahr.

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