Das sächsische Bildungssystem ist ganz und gar nicht auf der „sicheren Seite“, auch wenn sächsische Schüler in diversen Vergleichs-Tests besser abschneiden als ihre Altersgenossen in anderen Bundesländern. Dazu ist das neoliberale Verständnis von „Bildung“ längst hier hierzulande viel zu tief in die Lehrpläne eingesickert. Und so meldet die Uni Leipzig auch für Sachsens Studienanfänger dramatische Befunde speziell im Fach Mathematik.

Sächsische Studienanfänger/-innen mit einem Abitur aus dem Freistaat haben in einer Lernstandserhebung Mathematik bessere Ergebnisse erreicht als ihre Kommiliton/-innen mit Schulabschluss aus anderen Bundesländern. Sie bewiesen ein insgesamt gutes intuitives Verständnis von Funktionsgraphen und ihrer formelmäßigen Beschreibung.

Es gab in der Erhebung allerdings auch eine Reihe von „besorgniserregenden Befunden“, wie Prof. Dr. Max von Renesse vom Mathematischen Institut der Universität Leipzig feststellt. Zusammen mit seiner Kollegin Prof. Dr. Silvia Schöneburg-Lehnert ist er Sprecher des Arbeitskreises Schulmathematik der sächsischen Hochschulen, der im vergangenen Oktober die neue landesweite Lernstandserhebung vorgenommen hat und deren Ergebnisse jetzt veröffentlicht wurden.

Teilweise gravierende Defizite

Der Mathematikprofessor spricht von „teilweise gravierenden Defiziten“ unter Studienanfänger/-innen vor allem im Bereich der elementaren Rechenkompetenz, etwa im korrekten Umgang mit Potenzen und Brüchen sowie bei einfachen algebraischen Termumformungen.

„Bemerkenswert ist in diesem Segment das deutlich bessere Abschneiden der Teilnehmenden mit Schulabschluss aus dem Ausland“, sagt Prof. von Renesse. „Starke Defizite zeigen sich bei allen zudem im Verständnis der elementaren Geometrie und der Kombinatorik“, ergänzt Prof. Schöneburg-Lehnert von der Universität Leipzig.

An der Studie nahmen rund 2.100 Studierende des ersten Semesters der Studiengänge Wirtschaft, Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technologie (WiMINT) aus acht sächsischen Hochschulen teil. Dabei wurden die Kenntnisse in den schulmathematischen Kernkompetenzen entlang der geltenden Lehrpläne der Mittel- und Oberstufe mit Testaufgaben schriftlich untersucht. Die Aufgaben wurden von einer Kommission aus Lehrkräften, Fachdidaktiker/-innen und Hochschullehrenden so gestaltet, dass eine Bearbeitung für Abiturient/-innen hilfsmittelfrei ohne größere Schwierigkeiten möglich sein sollte.

Bei den festgestellten Problemfeldern handelte es sich schwerpunktmäßig um Inhalte aus der Sekundarstufe I sowie aus dem Übergangsbereich zwischen Primar- und Sekundarschule, wie die Auswertung zeigte. In der späteren kritischen Phase des Übergangs von der Schule zur Hochschule hätten gerade diese Versäumnisse und mangelnde Grundfertigkeiten die wesentliche Hürde für den Erfolg in einem WiMINT-Studium dargestellt.

„Ein erfolgreicher Start ins Studium kann kaum gelingen, wenn die dafür erforderlichen Basisfähigkeiten nicht bereits in den Jahren zuvor erworben und kontinuierlich geübt wurden“, betont von Renesse.

Ein echtes Problem für den MINT-Nachwuchs

In Deutschland werden Fachkräfte und Spezialist/-innen in den Bereichen Wirtschaft, Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technologie dringend für den Erhalt der Innovations- und Wirtschaftskraft gebraucht. Das Institut der Deutschen Wirtschaft schätzte zum Ende des Jahres 2022 die Lücke auf 326.100 Fachkräfte in diesen Bereichen. Dem immensen Bedarf an qualifiziertem Personal stünden auf Seiten der Hochschulausbildung trotz abgesenkter Standards abnehmende Einschreibezahlen und hohe Abbruchquoten in den WiMINT-Studiengängen gegenüber, erklärt Prof. von Renesse. Meist werde ein Studium in diesen Fachrichtungen wegen individueller Überforderung in den Mathematikmodulen abgebrochen. Mathematische Kompetenz sei jedoch in WiMINT-Berufen unverzichtbar und ihre Vermittlung wichtiger Bestandteil der Qualifikation.

Vor diesem Hintergrund hat der Arbeitskreis Schulmathematik der sächsischen Hochschulen – ein seit 2017 bestehendes Bündnis von Hochschullehrenden aus Mathematischen Instituten sächsischer Universitäten und Hochschulen – diese umfassende Bestandsaufnahme der Mathematikkenntnisse unter den Studienanfänger/-innen im Freistaat vorgenommen. Ziel des Bündnisses ist die Verbesserung des Studienerfolgs besonders in der Übergangsphase von Schule zu Hochschule. Wie 2023 wurden bereits 2017 und 2022 entsprechende Untersuchungen durchgeführt. Die damaligen Befragungen lieferten ein ähnliches Bild.

Dass die Mathematik-Probleme der Abiturienten etwas mit Fehlentwicklungen in allen deutschen Schulen zu tun haben, zeigt der an der Uni Paderborn lehrende Mathematikprofessor Dr. Bernhard Krötz in mehreren Youtube-Videos. Die Probleme beginnen tatsächlich schon in der Grundschule, wo grundlegende Fehler in der Mathematik-Vermittlung mittlerweile System haben. Hier sein Beitrag zur Mathemnatik-Vermittlung in den Grundschulen.

Mathematik in der Grundschule: Istzustand

Abiturergebnisse zeigen nicht, was die Abiturienten tatsächlich können

„Die Lernstandserhebung 2023 zeigt, dass die insgesamt erfreulichen Abiturergebnisse Sachsens in Mathematik nur begrenzt als Indikator für die Studierfähigkeit unserer SchulabgängerInnen in WiMINT-Fächern dienen können“, betont Prof. Schöneburg-Lehnert.

Eigenständiges Denken und selbstverantwortliches Lernen in den auf strukturelle und quantifizierbare Erkenntnisse ausgerichteten Wissensbereichen könnten nur gelingen, wenn Schulkinder besonders in der Mittelstufe die dafür erforderlichen elementaren Fertigkeiten und Konzepte gemeinsam mit ihren Begründungen erlernen und üben. Nur dann könnten später die notwendigen weitergehenden mathematischen Methoden erfolgreich vermittelt und bis zur Anwendungsfähigkeit verstanden werden.

„Die begleitende Wiederholung der Grundlagen sollte auch in späteren Klassenstufen nicht vernachlässigt werden. Das ist wie mit einer Fremdsprache. Um die zu beherrschen, muss man auch Vokabeln trainieren,” erläutert von Renesse. Darüber hinaus gäbe es zahlreiche außerschulische Ursachen für die festgestellten mathematischen Defizite, auf die Schulen und Hochschulen sowie Unternehmen Antworten finden müssten.

Am 23. Januar 2024 findet in Dresden die zweite „Fachtagung Übergang Schule-Hochschule” statt, zu der der Arbeitskreis Schulmathematik gemeinsam mit der sächsischen Landesfachberaterin Mathematik und mit Unterstützung des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus einlädt. Im Mittelpunkt der Konferenz in diesem Jahr stehen Strategien und Maßnahmen zur Qualitätssicherung für den Mathematikunterricht an den sächsischen Gymnasien und Oberschulen sowie mögliche Reaktionen auf Seiten der Hochschulen zu den festgestellten Defiziten bei den Studienanfänger/-innen.

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Es ist erschütternd, auch wenn es nicht neu und längst bekannt ist. Mathematikprüfungen beinhalten den Stoff der 11. und 12. Klasse, nicht die Elementarmathematik. Ein Beispiel dafür, wie lange das schon geht, im Einführungsseminar Mathematik bei meinem Studienbeginn (Ingenieur) 1976. Der Dozent schrieb eine Aufgabe, Division natürlicher Brüche, also ein Viertel dividiert durch ein Halb an die Tafel. Über 50% kannten die Regel für Division von natürlichen Brüchen nicht. Die elementaren Grundlagen der Mathematik werden gelernt und dann nicht wiederholt.

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