LeserclubUnd dann fällt man in ein Loch. Man hat zwei runde Geschichten geschrieben, sogar hübsch bebildert. Man hat den euphorischen Hopsassa eines Kollegen miterlebt, der sonst so seriös wirkt wie ein Sekretär aus Großvaters Zeiten. Und dann reicht ein halber Satz, und die Zweifel melden sich zurück.

Den halben Satz hatte Kollege Stachelschwein eher beiläufig fallenlassen, als er sich einen extra großen Löffel Zucker in seinen Kaffee rührte (Ja, Journalisten leben ungesund. Sonst gäbe es einfach keine aufregenden Zeitungen). „Ich will ihm ja nicht Unrecht tun“, hatte er gesagt. Das war nach dem Termin beim Bürgermeister, den sich Stachelschwein hartnäckig erkämpft hatte. Im besten Anzug war er ins Rathaus gefahren, hatte auch das besonders protzige Teil von Recorder mitgenommen, damit der Herr Bürgermeister auch ja wusste, dass der Termin aus Zeitungssicht offiziell war und die Sache ernst.

Und dann müssen sie wohl beide ein halbes Stündchen ernsthaft zum Thema geredet haben, zu den verschwundenen Grundbuchakten, dem seltsamen Bauprojekt am See und der Unterschrift des Bürgermeisters, dem fehlenden Kaufvertrag und den Verbindungen des Rathauses zumindest zu einer der fünf tierischen Firmen.

Und irgendwann müssen sie sich dann darauf geeinigt haben, was Stacheltier schon erzählen durfte und wo er sich – freundlicherweise – lieber zurückhielt.

Denn wenn er Recht hatte, gab’s ein Problem. Dann hatte irgendjemand seine Arbeit nicht getan oder zu viele Augen zugedrückt. Oder. „Der Möglichkeiten gibt es viele“, zitierte Stachelschwein den Politiker, den er irgendwie mochte, manchmal, und manchmal konnte er fluchen über ihn, weil „der größte Esel begreifen muss, dass das so nicht geht!“ Da war er wie Lieschen Müller oder das berühmte Milchmädchen, die in dieser Zeitung zumindest noch recht häufig zitiert wurden. Und zumindest Kollege Stachelschwein hatte sich angewöhnt, auch seine seriösesten Interviewpartner am Ende, wenn sie mit der Sprache nicht herauswollten, zu fragen, wie sie das, was sie da gerade herumdrucksten, ausgerechnet Lieselotte Müller aus der Milchstraße 7 erklären wollten.

Ein durchaus wirksames Rezept: „Wie würden Sie, sehr geehrter Herr Bürgermeister, die Sache mit diesem wunderschönen Seegrundstück Fräulein Müller erzählen, die da im Sommer gern sitzt und die Enten füttert?“

„Na, erst mal würde ich ihr sagen, dass das Füttern von Enten prinzipiell verboten ist. Ist nun mal so, beißt die Maus keinen Faden ab. Und – mal ehrlich, ähem – na ja, eigentlich fände ich es auch ein bisschen schade. Stimmt schon. So ein öffentliches Grundstück am See …“

„… von dem wir noch nicht einmal wissen, wem es gehört …“

„Das werden wir rauskriegen. Das verspreche ich. Ja, dazu stehe ich. Wenn da etwas nicht mit rechten Dingen gelaufen sein sollte …“

Zwar etwas gestammelt, aber letztlich klar genug, um einen sauberen Artikel draus zu machen. Ergänzt um eine Nachfrage im Grundstücksamt und die Aussage von Herrn Shark. Es blieb trotzdem so ein Klecks Unsicherheit, nicht nur, was den Bürgermeister betrifft, der es ja täglich einem Haufen Leuten recht machen musste, nicht nur einer kleinen Zeitung und deren Lesern, sondern auch Leuten wie Herrn Shark, von dem Herr L. haufenweise Bilder im Archiv hatte, die ihn als einflussreichen Spender zeigten. Kaum ein Wahlkampf ging vorüber, in dem er sich nicht öffentlich eingesetzt hätte – auch und gerade für den Bürgermeister.

„Da ist doch was“, denkt dann eine kleine Zelle im Hinterkopf. „Wo Rauch ist, ist auch Feuer“, pflichtete dann meist eine andere bei. „Eine Hand wäscht die andere“, sagte die dritte. – War das jetzt so ein Moment? Würden sie mit ihren Artikeln mehr Geschirr zerdeppern, als wenn sie lieber über Bärenspenden und Katzenrettungen schrieben?

„Das meinst du jetzt nicht ernst“, brummte Stacheltier. „Mensch, die Geschichte nimmt gerade Fahrt auf, und du bekommst ein schlechtes Gewissen! Jetzt! Wo ich mich gerade richtig warm geschrieben habe ….“

Das mochte auch Herr L. nicht, wenn er mitten in einer Geschichte steckte: Herausgerissen werden von diesem ewigen Quälgeist, der die schönsten Pointen in Zweifel zog.

„Hättest lieber zu den Regensburger Domspatzen gehen sollen“, brummte Stacheltier. Aber so wie das Brummen klang, hatte L.s Grübeln ihn tatsächlich gebremst. Man hörte richtig, wie er die Worte im Kopf wog und die schärfsten lieber gleich wieder strich. „Mensch, jetzt wird das wieder so ein langweiliger Straßenköter-Artikel. Die fette Überschrift hatte ich auch schon: BÜRGERMEISTER VERSENKT SEE-PROJEKT!“

„Klingt doch gut.“

„Aber nicht, wenn ich mir deine Gedanken mache.“

„Musst du ja nicht. Sind doch nur meine.“

„Jetzt sind es auch meine. Ich hasse das. Straßenkötergedanken.“

  1. konnte es sich bildlich vorstellen: ein kleiner, völlig abgerissener Hund, struppiges Fell, Promenadenmischung mit Schlappohr und großen Kulleraugen, wie er sich schweifwedelnd näherte: „Wuff?“ Und auch nicht nachgab, wenn L. seine Taschen nach außen krempelte. Nix drin, siehst du ja. Schweifwedeln, treudoofes Aufschauen zu lieben Menschen. Und am Ende landete man mit dem Tier an der nächsten Bratwurstbude und spendierte eine XXL-Wurst mit Ketchup. Und suchte, wenn der Hund beschäftigt war, schleunigst das Weite.

Aber wie machte man das mit so lästigen Gedanken?

„Vergiss es“, sagte Stachelschwein. „Wenn der dir erst mal am Hacken hängt, wirst du ihn heut nicht mehr los.“

„Aber Versenken fand ich ganz gut.“

„Schön wär’s. Aber mein Straßenköter sagt mir, dass der Mann möglicherweise ein kleines Problem hat, das er nicht lösen kann, wenn wir ihm vors Schienbein treten.“

„Du bist ja noch schlimmer als ich.“

„Hättest mich ja nicht verunsichern müssen. Ich hätte das Ding runtergeschrieben und morgen hätte er den ganzen Stadtrat zur Sondersitzung zusammenpfeifen müssen, da bin ich mir sicher.“

„Und warum …?“

„Guck doch an dein Hosenbein.“

Und L. guckte vorsichtshalber, obwohl er sich ziemlich sicher war, dass sich kein kleiner grauer Hund in die Redaktion geschlichen haben konnte. Aber genau so ist das mit dem Zweifel: Er bettelt auch dann um eine leckere Bratwurst, wenn er gar nicht wirklich da ist.

„Eigentlich mag ich ihn nicht“, legte Stachelschwein nach einer Weile nach. „Er ist mir zu … wattig, manchmal auch zu wehleidig.“

„Wer? Der Hund?“

„Verschone mich mit deinem Hund. Der Bürgermeister natürlich. Allen will er es recht machen, nie irgendwo anecken. Ich denke, genau das ist sein Fehler. Er kann’s nicht.“

„Oder er will nicht. Hat vielleicht eine gute Stube …“

„Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“

Klackern auf der Tastatur. Wenn das innere Hundchen erst mal seine Spur gefunden hatte, dann schrieb sich auch ein nicht ganz so bissiger Text herunter, ziemlich flott sogar, wie L. hörte. Während er freudestrahlend seine Lieblingstelefonnummer auf dem Display aufleuchten sah. Auch wenn nicht jeder Anruf ein mütterlicher war, liebte er allein schon den Klang dieser Stimme. Darin konnte er baden. Und eigentlich war er auch gar nicht überrascht, dass seine Mascha ihn liebevoll darauf hinwies, dass er an diesem Abend ganz bestimmt nicht allein zur Diva gehen würde. „Ich hab die Gnädige gerade angerufen. Sie hat nichts dagegen, wenn wir zu zweit kommen. Sag jetzt nichts.“ – „Ich hab nicht mal was gedacht.“ – „Auch wenn ihr beiden Turteltäubchen damals…“ – „Nie!“, sagte L. schnell. Und schob noch zwei Ausrufezeichen nach. Hier sind sie: „!!“

„Ich kenne dich, mein Lieber.“

„Kann ja sein, aber …“

„Was aber? Ich werde mütterlich auf dich aufpassen. Ich muss aufpassen, dazu bin ich verpflichtet.”

„Da bin ich ja beruhigt. Aber was wird das dann? Nach Arbeit sieht das dann ja nicht aus.“

„Soll es denn nach Arbeit aussehen? Hast du wirklich nur den ganzen Tag Arbeit im Kopf?“

Sie musste gar nicht laut werden, um richtig wütend zu sein und ihn spüren zu lassen, dass es auch für ein weites Frauenherz Grenzen gab. Richtige Grenzen, mit Warnschild und strengem Unterton. Kein Schritt weiter.

Da musste auch L. erst einmal Luft holen. Und…

„Sie wird sechs Flaschen Schampus kalt stellen. Und wenn du förmlich wirst, hat sie gesagt, wird sie dir eigenhändig die Freundschaft aufkündigen. Hat sie gesagt.“

„Sechs Flaschen?“

„Keine weniger. Vielleicht hat sie ein kleines Alkoholproblem. Vielleicht bist du ihr schon damals viel zu nüchtern gewesen. Das weiß ich nicht. Krieg ich aber raus. Freu ich mich drauf.“

Das Scheußlichste war immer, wenn sie dann aufgelegt hatte. Dann hatte Herr L. immer das schwermütige Gefühl, wieder das Wichtigste nicht gesagt zu haben. Das lag ihm jetzt im Magen und blubberte vor sich hin.

„Frauen“, brummte Stachelschwein von nebenan.

„Was weißt du denn schon von Frauen?“

„Ich? Eine ganze Menge, mein Lieber. Und soll ich dir was sagen?“

„Hmm?“

„Am Schlimmsten ist es immer, wenn sie aufgelegt haben.“

„Da sind wir also schon zwei.“

„Blödsinn. Das geht allen so.“

„Aber die anderen …“

„Die geben es nur nicht zu. Alles Machos, kannst du mir glauben. Liest du meinen Text noch gegen?“

„Nachher. Ich muss noch mit deinem blöden Straßenköter Gassi …“

„Ist nicht meiner. Ist deiner.“

So kommt man auf den Hund, wenn man nicht aufpasst. Und hält ihm unten auch noch schön weit die Tür auf, auch wenn ihn ein zufälliger Passant nie und nimmer wahrgenommen hätte, diesen kleinen grauen Fleck von Menschenliebe, der hüpfte und sprang und sich innig darüber zu freuen schien, dass er einfach da war und bissigen Reportern das Bissigsein so schwer machte.

Die komplette Geschichte zum Nachlesen.

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