LeserclubUnd Herr L. wusste noch immer nicht, wie das ausgehen sollte. Auch nicht an diesem blassen, ziemlich frischen Morgen, der ihm unters Hemd griff, durch die Ritzen des Mantels, ins übernächtigte Gesicht. Ein gut in Folie verpacktes Automobil stand am Straßenrand. Das war Olegs nächtlich demolierter „Tschaika“. Und ein einsames Möhrchen lag in L.s Bauch.

Mehr hatte er nicht hinunterbekommen zum ersten Kaffee, nicht mal das liebevoll belegte Brötchen. Denn im Traum schepperten die Scheiben weiter, zersplitterten in immer neue Fluten von Scherben. Mascha meinte, er habe geschnarcht. Und dabei hatte er doch gar kein Auge zugemacht. Nur versucht, endlich abzutauchen in seine Federwolke.

Und nun fröstelte er im frühen Wind. Gähnte sich durch die Straßen. Sah das morgendliche hektische L. vorüberrattern. Denn die Straßenbahn fuhr hier nicht so schnell. Sie litt unter der einmontierten Angst vor der Lichtgeschwindigkeit. Das bremst. Auch das Leben in einer Stadt so scheinbar am Rand von Allem. Etwas unterbelichtet, leicht verpixelt und etwas unwirsch im Ton.

„Aber wir haben Ihnen doch mitgeteilt, dass wir zu diesem Vorgang keine weiteren Auskünfte geben.“

„… hatten wir Sie doch gebeten, die alten Vorfälle nicht wieder aufzuwärmen und eine derart skandalträchtige Geschichte …“

„Können wir Ihnen leider keine Auskunft geben, da wir über derartige Unterlagen prinzipiell nie …“

„… ist unser Mandant derzeit terminlich leider gebunden und steht für Interviews für Ihre Zeitung nicht zur Verfügung …“

Das Postfach steckte randvoll mit Absagen. Und ein paar hübsch in Worte verpackten Drohungen, denen freilich das angehängte Folterinstrument fehlte. Nicht mal der verantwortliche Staatsanwalt hatte eins angehängt. Er schien nur zutiefst beleidigt, dass man seine Bitte nicht erhört hatte und aus dem gewünschten Dementi etwas anderes gemacht hätte. Ein „eigentlich sehr ungewöhnliches Produkt journalistischer Arbeit, finden Sie nicht, Herr L.?“

Aber zu der saftigen Geschichte, die gleich daneben stand und die der Ressortchef selbst noch ins Blatt gedrückt hatte, kein Wort. Ein vielsagendes Nichterwähnen. Manchmal sind es solche Momente, an denen man dann als alte Nervensäge weiß: Hat getroffen. Die Geschichte sitzt. Und jetzt saßen da draußen ein paar ältere Herren in ihren teuren Bürostühlen und lauerten auf einen Moment, in dem sie vielleicht würden eingreifen können. Aber wo war der?

Aus dem Büro des Mammuts war nur die übliche Antwort gekommen, die L. nun seit Tagen erhielt: „Herr M. weilt derzeit auf einer längeren Dienstreise und wird auch in nächster Zeit für ein Gespräch mit Ihnen nicht zur Verfügung stehen.“

Erstaunlich lang, diese Dienstreise des schwergewichtigsten Anwalts der Stadt L.

„Ich schätze mal, der ist jetzt in Panama“, orakelte der leicht verschnupfte Kollege Stachelschwein, als er wenig später in das Redaktionsbüro tropfte, ein wenig kraftlos nach seiner Nacht der Freude. Wenn man große Tiere ärgern kann, dann ist man anfangs immer so euphorisch, dass die Synapsen glühen. Und am anderen Morgen hat man einen fürchterlich grinsenden Kater. Als hätte man wirklich die ganze Nacht durchgezecht.

„Die Konten auflösen kann er auch von seinem Büro aus.“

„Vielleicht löst er sie gar nicht auf. Vielleicht will er nur die Spuren verwischen.“

„Welche Spuren?“

„Frag ihn doch. Ich bin noch nicht da.“

„Aber ich seh dich doch.“

„Das ist nur mein Schatten.“

Die Kaffeemaschine blubberte. Die hatte L. schon vorsorglich in Gang gesetzt, wohl wissend, dass es mit einer gemütlichen Morgenrunde im Büro nichts werden würde. Hätte er den Lautsprecher an seinem PC angeschaltet, hätte ihn immer wieder ein trotziges „Bling!“ aufgeschreckt. So kamen die Meldungen aus genervten Amtsstuben nur einfach reingeschneit. Man merkte, dass niemand groß Lust hatte, heute Morgen besonders freundlich zu sein. Deswegen waren die kurzen Mitteilungen besonders freundlich gefasst.

„… wissen wir Ihre emsige Arbeit zu schätzen, können aber leider keine Auskünfte mehr zu den früheren Besitzern geben, da uns die Akten nicht vorliegen …“

„… können wir über den Verbleib des von Ihnen angefragten Bürgers aus datenschutzrechtlichen Gründen leider keine Auskunft geben …“

„… dürfen wir Ihnen mitteilen, dass der Bürgermeister derzeit nicht vorhat, eine spezielle Taskforce zu den mutmaßlichen Panama-Papieren einzurichten, da ein Verdacht, die Stadt könnte in die vermuteten Vorgänge verwickelt sein, derzeit nicht besteht …“

„Die wollen nicht“, grunzte Stachelschwein aus der Nachbarkoje.

Er las also ebenso eifrig, was so frühmorgendlich hereinplätscherte. Vielleicht auch das eher kryptische Dokument, das mit dem Absender nutzer@nutzer.de hereinkam. Solche Mails öffnet man normalerweise nicht. Man weiß ja, was dann passiert. Aber L. hatte so ein Gefühl und eine Vermutung. Und die trogen nicht. Denn wenn aus gut bewachten Netzwerken eine Nachricht hinausgeschmuggelt werden sollte, die eigentlich nicht hinaus durfte, dann war der Umweg übers Anonyme der beste Weg. Nur wer den Burschen in den Verliesen des Rathauses kannte, wusste, wie der tickte. Und dass er selbst dann Spaß an drögen Aktenvermerken hatte, wenn er sie trocken und ohne Kommentar untereinander auflistete, irgendwo herauskopiert, so dass man nicht sehen konnte, aus welcher Handakte genau.

„Würde ich nicht aufmachen“, brummte Stachelschwein von nebenan. Und es klang ein bisschen, als hätte er sich die Zunge verbrannt. Der Kaffee war also fertig. Und stark. Und heiß. „Autsch. Iss bestimmt wieder so ein Pisher …“

„Pinscher?“

„Pisher. Wie Fisher … menschissderheiß …“

„Hätte ich dir auch sagen können.“

„Nur kein Mitleid.“

„Heute mal nicht.“

„Hätte mich auch gewundert. Lösch das Ding lieber.“

„Kennst du das Grundstück am See?“

„Wo die jetzt Superluxuswohnungen bauen wollen?“

„Genau das.“

„Und?“

„Du weißt, dass SHARK da bauen will?“”

„Hätte mich auch gewundert …“

„Aber dass ihm das Grundstück gar nicht gehört.“

„Gehört also der Stadt.“

„Nein, gar nicht.“

„Ich dachte, der Bürgermeister hat da persönlich seinen Wilhelm …“

„Kann sein. Vielleicht will er deshalb nicht mit uns reden.“

Zischeln und Rascheln nebenan, ein vorsichtiges Schlürfen. Heißer Kaffee schmeckt eigentlich nicht mehr, wenn man sich den Mund verbrannt hat.

„Und die Pointe“, kam dann die Nachfrage.

„Das Grundstück gehört der Prinzessin.“

„Welcher Prinzessin?“

„Die junge Dame, von der du mir gestern vorgeschwärmt hast.“

„Die ist doch tot.“

„Im Grundbuch steht sie noch. Jedenfalls in diesem …“

Ein Löffel klimperte. Ein „Mistverdammt.“ Nicht nur Herr L. schaffte es immer wieder, seine Tastatur in Kaffee zu baden. Und dann kam Stachelschwein auch schon herübergehumpelt, weil er auch noch ein heiß durchfeuchtetes Hosenbein hatte. „Woher hast du das?“

„Von Herrn Nutzer natürlich. Die Mail wolltest du ja nicht aufmachen.“

„Weil ich nicht so wahnsinnig bin wie du. Kennst du den überhaupt?“

„Ich denke schon.“

„Was heißt hier: Ich denke schon? Kann ja von sonst wem kommen. Leute, die dich zum Beispiel verarschen wollen.“

„Aber nicht mit Original-Aktenzeichen. Das macht nur einer.“

„Sollte ich den kennen?“

„Keine Ahnung. Ich kenn ihn und werde jetzt unserem Freund Knarrpanti das schöne Aktenzeichen schicken.“

„Als wenn wir nicht schon genug Ärger hätten“, brummte Stachelschwein und versuchte sein Bein ein wenig zu schwenken. Ein warmes nasses Hosenbein ist irgendwie doch sehr ungemütlich. Und störend.

„Das musst gerade du sagen.“”

„Och, auf meinen Artikel hat keiner was gesagt. Nicht mal ein Anruf.“

Und dann humpelte er dahin, vielleicht auf der Suche nach einer trockenen Hose. Erfahrene Kollegen hatten immer ein Ersatzpaar im Schrank liegen. Zu oft passierte das Ding mit der Kaffeetasse. Dann platschte es und wischte schön nass auf einer Tischplatte. Das Malheur musste ja bereinigt werden.

„Außerdem ist Kaffee gar nicht so gut für deinen Blutdruck …“, frotzelte L. noch. Aber das kam nicht so gut an. Jedenfalls kam Stachelschwein ziemlich schnell um die Ecke geschossen, hochrot im Gesicht. Den tropfenden Lappen noch in der Hand, aber unübersehbar zutiefst empört: „Wie kannst du das sagen! Ich bin seit 100 Jahren in diesem Laden. Ich hab schon mehr Leute geärgert als du, ich hab ihnen Pfeffer unterm Arsch gemacht, ihre ganzen Sauereien in Breitwand in dieser Zeitung erzählt. Mit Nummer und Haus und Augenzeugen! Jedes Jahr! Die ganze Bande an die Wand genagelt und du … du …“

Da fehlten ihm dann die Worte. Es war nicht seine Rolle, so wütend zu sein. Und so waidwund.

„ … und nichts ist passiert, stimmt’s? Sie haben es alle einfach ausgesessen …“

Der Kaffee war wohl wirklich nicht gut gewesen für den Blutdruck dieses Mannes, der in der Nacht so voller Feuereifer war, als er seinen Artikel noch schnell ins Blatt schrieb. Was passiert, wenn wirklich keiner anruft? Wenn die Geschichte wieder nichts bewirkt? Nicht mal diese schöne Fernsehszene, in der ein ertappter Bösewicht vor lauter Kameras und Mikrofonen alles abstreitet und von nichts gewusst haben will? Ein ehrbarer Mann? Oder drei oder vier? Jedenfalls rutschte Stachelschwein ein wenig in sich zusammen. Aber L. bekam trotzdem noch einen Blick voller Vorwürfe. Denn was blieb noch, wenn nicht mal die Hoffnung bestand, dass ein einziger, richtig scharf gefeilter Artikel etwas bewirken würde?

War dann alles egal, was sie hier taten? Sollten sie über Kätzchen und Meerschweinchen schreiben, und gut war’s?

„Du sagst, der Grundbucheintrag stimmt wirklich so?“

„Geb’ ich dir Gift und Siegel.“

So ein wenig reckte sich erst die rechte Schulter, dann die linke, wirkte der eben noch morgenmüde Mann ein klein wenig größer. Er dampfte zwar noch und zog eine braune Tropfenspur hinter sich her. Aber als er nun das dicke alte Festnetztelefon schnappte, wirkte er schon wieder ein wenig wie Napoleon vor Königsgrätz. Oder eher wie Blücher vor Paris, als er nach einem kurzen Tuten und Knacken in den Hörer brummte: „Geben Sie mir mal den Bürgermeister. So geht man mit uns nicht um, Fräulein Meier …“

Kurzes Knacken. Kurze Empörung.

„Das ist mir egal, Fräulein Meier. Wenn er heute keine Zeit hat für meine WENIGKEIT … dann hat er morgen Zeit. Aber ganz sicher ….“

Und man konnte durchaus meinen, dass es die Morgensonne war, die sich auf seinem Stoppelkopf verlustierte, man konnte es aber auch als kleinen Heiligenschein interpretieren. Oder als kleine Plasmawolke, ausgelöst durch eine kleine, heftige Erregung in der Tapferkeitszone.

„Ich komm auch in sein Büro, Fräulein, wenn er das will. Aber am besten heute noch. Vor dem Sandmännchen.“

Da holte dann Herr L. lieber selbst Eimer und Wischlappen. Manchmal braucht man in diesem Beruf gar kein Koffein, um auf 180 zu kommen. Manchmal genügt auch dieses frühe, frostige Gefühl, dass die Welt nicht in Ordnung ist und irgendjemand jetzt doch irgendetwas tun müsste. Heldenhaft reinigte L. einen fremden Arbeitsplatz. Aber wenn sie in Kaffee ersoffen sind, sind eh alle Tastaturen gleich.

Die ganze Geschichte zum Nachlesen.

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