Man schaut sich um und sieht, wie immer mehr einst seriöse Medien überdrehen, wie sie ihre Überschriften immer brandgefährlicher machen, gar auf Menschenjagd gehen, Panik schüren und das ganze Land in eine Stimmung schreiben, die direkt in eine chaotische Politik münden muss. Denn so ein Spiel mit Emotionen, mit purer Angst, kann nicht gutgehen. Die Konkurrenz aber „schafft“ noch viel mehr.

Und es gibt Unternehmen am Markt, die sich ganz und gar darauf spezialisiert haben, Journalisten tatsächlich überflüssig zu machen. Indem sie die Netze mit Millionen Texten fluten, geschrieben von Robotern.

Das ist keine vage Zukunftsidee mehr. Zwei Unternehmen aus Hamburg und Berlin setzen es schon für einen speziellen Bereich um: dem Fußball.

Was übrigens mehrere nachdenkenswerte Aspekte hat. Einer ist natürlich: Wie stereotyp und formelhaft ist eigentlich die Fußballberichterstattung, wenn sich über Nacht ein Algorithmus (ein echter Roboter in dem Sinn ist es ja nicht) an die Arbeit macht und aus den im Netz verfügbaren (bzw. gelieferten) Daten über 16.000 Spielberichte baut, die dann sofort auf tausenden Regionalplattformen ausgespielt werden können, die sich um Fußball in allen Klassen – insbesondere aber auch die Amateurliga – kümmern. Da müssen keine 16.000 Reporter mehr Fußballspiele live erleben und dann ausgiebig drüber schreiben. Da reichen ein paar Stichpunkte der Schiedsrichter oder Trainer – und schon zaubert die Maschine Fußballberichte draus.

„Unser Mitarbeiter des Monats hat keinen Schnupfen – er wird niemals krank“, schreibt die SPM Sportplatz Media GmbH, einer der beiden Partner dieses Robot-Projekts. „Er wird auch nie müde, macht keinen Urlaub, keine Pausen und keine Fehler.“

So gesehen ein richtig billiger Mitarbeiter, der keine Fahrtspesen haben will und locker die Arbeit von 16.000 Sportreportern schafft.

Wer steht hinter der Geschichte?

Die beiden Unternehmen retresco aus Berlin und Sportplatz Media aus Hamburg haben diese textengine für Sportberichte aufgesetzt und meinen zumindest aus Eigensicht, dass das neue Maßstäbe in der automatisierten Sportberichterstattung setze.

Gemeinsam habe man eine Lösung etabliert, „die auf Knopfdruck aus Daten Fußballberichte verfasst, die nicht von händisch geschriebenen Berichten zu unterscheiden sind. Dies belegen zahlreiche Anwendungsbeispiele und Umfragen. Zahlreiche Kunden aus der Fußballmedien- und der Verlagsbranche setzen bereits auf die Technologie und lassen Fußballberichte automatisch erstellen. Teilweise um Inhalte in Ligen anbieten zu können, die aus Kapazitätsgründen bislang nicht bedient werden konnten. Oder um eine Zeitersparnis bei der Erstellung von langen, ausführlichen Spielberichten zu erzielen, denen die textengine-Berichte als Basis dienen und die mit Hintergrundwissen, Zitaten und Co. angereichert werden.“

Marcel Hager, Geschäftsführer der Sportplatz Media GmbH: „Wir sind vor drei Jahren mit der Vision angetreten, für jedes Fußballspiel in Deutschland einen Spielbericht zu liefern. In der bevorstehenden Fußball-Saison wird die Vision Wirklichkeit – und wir gehen sogar darüber hinaus. In Deutschland wird erstmalig für jedes Fußballspiel, von der Kreisklasse bis zur Bundesliga, Jugend, Frauen und Herren nicht nur ein Spielbericht, sondern auch ein Vorbericht erstellt und veröffentlicht. Zudem produzieren wir Texte für unterschiedliche Ausgabeseiten in verschiedenen Varianten und Längen. Zum Beispiel lange Texte für Newsportale, kurze Texte für Social-Media-Posts. Über 2,5 Millionen Texte pro Jahr werden in der kommenden Saison durch die textengine für Sportberichte erstellt, so die eigene Prognose.“

Das, was man damit anrichtet, deutet er freilich auch schon mal an: „Damit verfasst unser ‚Mitarbeiter des Monats‘ mehr Texte als alle großen Deutschen Nachrichtenportale zusammen im Jahr veröffentlichen.“

Nur so als zwingende Logik: Das wird den „großen Deutschen Nachrichtenportalen“ Leser kosten, Reichweite und Umsatz. Denn wenn eine so aufmerksamkeitsstarke Sparte wie die Fußballberichterstattung derart personalsparend mit gewaltigen Artikelmengen bedient wird, ziehen natürlich alle Portale, die so arbeiten, die Aufmerksamkeit ab. Es sei denn, auch die „Großen“ machen es so. Dann heißt das in der Regel auch: Man spart auch dort ein paar Redakteursarbeitsplätze ein und ist nicht mehr vor Ort.

Was dann Johannes Sommer, Geschäftsführer der retresco GmbH, als Hoffnung für den überlebenden Rest sieht: „Die Maschine wird niemals den Menschen vollständig ersetzen können. Fußball ist eine ideale Domäne für automatische Textgenerierung. Die Detailtiefe verfügbarer Daten nimmt stetig zu. Wir kennen nicht nur flächendeckend jede Begegnung in Deutschland inklusive Ausgang und Torschützen, sondern können mittlerweile, wie im Profifußball, auch bei mehr und mehr Amateurspielen über Aufstellungen und Taktik berichten. Leser können die Texte schon heute nicht mehr von menschlich geschriebenen Berichten unterscheiden. Das Wichtigste aber ist: Die Texte erzeugen die gewünschten Mehrwerte für unsere Kunden. Sowohl was die Reichweite der Texte und deren Sichtbarkeit bei Google angeht als auch bezüglich der positiven Resonanz in Social Media Kanälen. Die Erfolgskennzahlen entwickeln sich bisher ausnahmslos positiv.“

Eine Gefahr für die Zunft der Journalisten wollen Hager und Sommer durch den Einsatz der textengine nicht sehen, glauben tatsächlich, ihre Lösung sei Handwerkszeug und Hilfsmittel für Redaktionen, die nun viel umfassender berichten könnten als zuvor und ihre Zeit für die eigentlichen journalistischen Tätigkeiten nutzen könnten.

Dumm nur, dass der Tag auf dem Fußballplatz für Sportreporter eigentlich ihre journalistische Arbeit ist. Kennen Sommer und Hager die Zustände in deutschen Zeitungsredaktionen nicht, wo man nur darauf wartet, wieder teure Redakteursplätze einsparen zu können?

Der Nachrichten-Robot ist ja der ideale Ersatz.

„Die Maschine wird niemals den Menschen vollständig ersetzen können. Der Wutausbruch des Fußballtrainers an der Seitenlinie, die Wertung des Journalisten, ob der Elfmeter in der 90. Minute gerechtfertigt war oder nicht, eben jene Inhalte, die ‚das große Ganze‘ ausmachen, kann die Maschine noch nicht liefern“, meint Sommer. „Aber eben für das Verfassen und die Konzentration auf diese Inhalte geben wir den Redaktionen wieder Zeit, indem die Interpretation der Fakten von der textengine übernommen wird.“

Nur: Wer bekommt den Wutausbruch mit, wenn der Reporter nicht im Stadion ist? Und wie leicht lässt sich auf die Pressekonferenz nach dem Spiel verzichten, wenn der Robot den Spielbericht schon drei Minuten nach Abpfiff fertig hat? Wozu braucht es da noch einen teuren Mann im Stadion? Aber genau so werden die meisten Redaktionen denken – und lieber die fertigen Texte des Roboters sofort nehmen und online stellen, als zu warten, bis ein menschlich langsamer und komplexer schreibender Reporter endlich fertig ist.

Der Einzige, der sich da noch eilen muss, ist der Fotograf. Aber der kann ja sogar noch während des Spiels seine Bilder senden.

Was Hager und Sommer da programmiert haben, ist die Umsetzung von Nachrichtenroutinen in Algorithmen. Man muss nur noch alle verfügbaren Daten einspielen, die Maschine baut alles zu einfachen Texten zusammen. Und es ist der Weg, mit dem noch viel mehr journalistische Routinen maschinell umgesetzt werden können.

Was natürlich einigen Medienhäusern richtig gut gefällt. Das spart teures journalistisches Personal.

Ergebnis: Man hat schon über 20 Kunden im ersten Jahr gewonnen. Und die freuen sich: Die Nutzung der textengine für Sportberichte hat nicht nur signifikante Reichweitensteigerungen und entsprechend steigende Umsatzerlöse für die Kunden zur Folge, auch Top-Rankings in Suchmaschinen und eine Steigerung des User-Engagements seien die Folge, meldet Sportplatz Media.

Was in aller Konsequenz heißt: Jeder Journalist, der sich da noch hinsetzt und was Spannendes schreibt, hat verloren. Die Top-Rankings, die seinem Artikel vielleicht Aufmerksamkeit beschert hätten, sind schon alle besetzt, die Robots haben das ereignisnahe hohe Interesse schon mit ihren Artikeln abgegrast.

Und dann die kleine Drohung für alle heute noch differenziert arbeitenden Medien mit ihrer hohen redaktionellen Kompetenz: „Der Weg ist noch lange nicht zu Ende. Die Anforderungen an Content ändern sich immens durch das neue Userverhalten, hervorgerufen durch die neuen Technologien, die unseren Alltag begleiten. Die Aufmerksamkeitsspanne der Konsumenten sinkt rapide. Jeder User muss der Situation entsprechend, in der er sich gerade befindet, passgenau abgeholt werden. Auf dem Arbeitsweg in der Bahn mit dem Smartphone, auf der Couch am Abend mit dem Tablet, am stationären Rechner – jede Situation erfordert anders aufbereiteten Content. Wurde früher ein einziger geschriebener Artikel für Millionen von Lesern verfasst, brauchen wir heute 1 Millionen Artikel für 1 Millionen Leser“, überspitzt Hager bewusst die Situation. „Zudem kennen wir in zunehmender Tiefe den Leser und haben somit die Möglichkeit, die Texte auch auf individuelle inhaltliche Bedürfnisse anzupassen.“

Hier heizen sich also zwei Entwicklungen gegenseitig an – die immer wildere Hatz nach Reichweite und die Dauererregung der Nutzer, die ihre „news“ immer schneller computergeneriert sofort auf ihr Ausspielgerät bekommen. (Mit sinkender Aufmerksamkeitsspanne – na herzlichen Glückwunsch.)

Echte Menschen, die sich Gedanken machen, noch Fragen haben an Trainer, Mannschaftsarzt, Sponsor und Kapitän, die auch die Atmosphäre aufnehmen, sich mit dem Fanblock beschäftigen und mit den Ereignissen nach dem Spiel, die haben da keine Chance mehr. Die werden von schnellen Algorithmen einfach aus der Mannschaft gekickt. Von Mitarbeitern, die niemals Schnupfen haben und auch keine eigene Meinung. Und die sich auch nicht wundern, wenn die Polizeimeldung hinterher nicht zum Erlebten passt.

Obwohl: Die Polizeimeldung kann ja dann auch der Roboter schreiben. Braucht er ja nur die Spielergebnisse, die Verletzten und die vorläufig Festgenommenen.

Journalisten ahnen bei so einer Meldung, was da in Wirklichkeit alles durch die Lappen geht und künftig nicht mehr berichtet werden wird. Und wie viel Ahnungslosigkeit in unsere Gesellschaft zum anerkannten Standard wird. Unausbremsbar, denn diese Maschinen sorgen einfach durch ihre Geschwindigkeit dafür, dass alle Informationskanäle binnen Sekundenbruchteilen geflutet werden. Nachdenklichkeit und Hintergrundberichterstattung dringen da nicht mehr durch. Denn schon heute klagen viele Menschen, dass sie mit „Informationen“ überflutet sind – obwohl die meisten dieser Informationen eher dünn sind, einzig der Hatz auf den schnellsten Platz in der Wahrnehmung gerichtet. Ein irres System, ohne Frage.

Und man kann sicher sein, dass nicht nur die Hamburger diesen Trend immer weiter zuspitzen und anheizen werden. Bis für etwas Anderes gar kein Platz mehr bleibt im Aufmerksamkeitsfeuer der Maschinen.

Die Serie „Medien machen in Fakenews-Zeiten“.

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