Ich weiß nicht, ob es einer von uns schaffen wird, am Freitag, 10. November, im Neuen Rathaus an der 2. Fachkonferenz Integration 2017 teilzunehmen, die unter dem Schwerpunkt „Medien, Migration und Integration: Der Weg zu einer inklusiven Gesellschaft?!“ stattfindet. Eingeladen hat das Zentrum für Europäische und Orientalische Kultur (ZEOK) e.V.. Das Thema ist wichtig. Auch wenn ich den Eindruck habe, dass die Fragen falsch gestellt sind.

„In Deutschland wächst soziale Diversität und Pluralisierung der Gesellschaft“, heißt es in der Gesamtbeschreibung der Konferenz. „Wir wollen in dieser Konferenz diskutieren, welche Rolle den Medien als Opinion-Leaders bei der Herausbildung von Einstellungen gegenüber Minderheiten in der postmigrantischen Gesellschaft zukommt. Viele Angehörige der Mehrheitsbevölkerung haben im Alltag wenig Berührung mit Minderheiten, sondern greifen auf medial vermittelte Sekundärerfahrungen zurück – d. h. sie beziehen ihr Wissen über Minderheiten, Migration und Integration vor allem aus Zeitungen, Fernsehen, Rundfunk oder dem Internet. Daher ist es essentiell zu fragen, welche Bilder die Medien von ethnischen und religiösen Minderheiten produzieren und wie diese entstehen.

In dieser Konferenz werden die aktuellen Wissenschaftsdebatten und (internationalen) empirischen Studien- und Forschungsergebnisse, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Medien, Migration und Integration beschäftigen, praxisorientiert vorgestellt. Im Fokus stehen folgende Fragen:

– Was bedeutet die Berichterstattung in den Massenmedien und die Rezeption durch die Bürger_Innen zu den Themen Migration, Integration und soziale Diversität für die Medienschaffenden selbst?

– Welche Rolle spielt der Journalismus für die interkulturelle Integration? Wie können Redaktionen in den neuen Bundesländern hierfür geöffnet werden?

– Wie können Journalist_Innen mit und ohne Migrationsgeschichte Anfeindungen und Hetze in den Medien begegnen?

– Welche Rolle spielen zivilgesellschaftliche Organisationen von Medienschaffenden?“

Die Konferenz wolle nach notwendigen Strategien für eine differenzierte Berichterstattung in pluralen Gesellschaften sowie nach Möglichkeiten, Vielfalt in Medienstrukturen zu fördern, fragen. Betonung: „Ein besonderer Focus liegt auf den neuen Bundesländern!“

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Schon das Stichwort regt zu Recherchen an.

Denn wer genau hinschaut, sieht: Was da so an Regionalzeitungen und -sendern in Ostdeutschland herumhüpft, hat mit pluraler Gesellschaft nicht viel zu tun. Die Redaktionen sind weißhäutig und fast durchweg männerdominiert. Ich erinnere nur an eine kleine Feststellung, die wir schon öfter getroffen haben: Die Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund hängt aufs engste mit der Diskriminierung von Frauen zusammen.

Wir haben ein Problem mit verbiesterten weißen Männern, die Einfluss und Aufmerksamkeit immer unter dem Aspekt von Macht betrachten, von Deutungshoheit und Gatekeeper-Funktion: Sie möchten entscheiden, was gesagt und geschrieben und gesendet wird. Sie wollen das Bild vorgeben, wie „die Anderen“ gesehen werden sollen.

Wie tief das Problem sitzt, ist erst recht am mitteldeutschen Heimatsender MDR zu sehen. Explizit an seinem Rundfunkrat – jüngst erst wieder gewählt nach dem alten Backrezept: Besetze die einflussreichen Posten mit einflussreichen alten Männern aus alten Männerbünden.

Die Zahlen: 43, 6, 0.

Unter 43 Rundfunkratsmitgliedern findet man nur sechs Frauen. Tut mir leid: Das ist nur noch hochgradig peinlich. Aber es zeigt, welche Deutungsmacht weiße Männervereine in Mitteldeutschland haben. Und auch nicht bereit sind, sie abzugeben. Und mit welcher Unverfrorenheit Funktionsmänner so ein Gremium besetzen in der Überzeugung, sie würden dadurch irgendwie eine gesellschaftliche Relevanz abbilden.

Und nun zur Null: Im Gremium sitzt nicht ein einziger Mensch mit Migrationshintergrund oder aus einer Vertretung von Menschen mit Migrationshintergrund.

Man muss sich nicht wundern, dass die von ZEOK angesprochenen Themen nur selten und dann meist sehr seltsam in mitteldeutschen Medien auftauchen. Meist als misstrauisch beäugter Fremdkörper.

Der Verdacht ist richtig: Wie sollen die Mediennutzer ein anderes Verhältnis zu ihren ausländischen Mitbürgern bekommen, wenn die „Gatekeeper“ nicht mal das Sensorium dafür haben und die Vertreter von Minderheiten selbst in relevanten Vertretungsgremien nicht selbstverständlich auftauchen?

Und auch im verschnarchten Mitteldeutschland sollte das selbstverständlich sein. Laut Bundesamt für Statistik lag der Anteil der ausländischen Bevölkerung in Sachsen und Sachsen-Anhalt im Jahr 2015 bei 3,9 Prozent, in Thüringen bei 3,8 Prozent (Deutschland: 10,5 Prozent).

Mindestens ein Sitz im Rundfunkrat hätte also zwingend mit einem Vertreter der Migrationsbevölkerung besetzt werden müssen.

Womit die Geschichte erst beginnt. Denn erst wenn Mitmenschen mit Migrationshintergrund ganz selbstverständlich in den offiziellen Gremien und Medien unserer Region auftauchen, verändert sich auch das Bild unserer Wahrnehmung.

Das aktuelle Bild zeigt: Ausgrenzung. Sie gehören nicht dazu. Sie spielen weder in der Politik noch in den Medien eine Rolle. Ein Blick in den sächsischen Landtag, wo 126 gewählte Abgeordnete uns vertreten: Von denen mindestens 5 eigentlich Menschen mit Migrationshintergrund sein sollten.

Gefunden habe ich einen einzigen: Octavian Ursu, der 2014 für die CDU in den Landtag einzog – er hat rumänische Wurzeln. Aber eine wahrnehmbare Rolle in der Landespolitik spielt er nicht.

Sie merken schon: Es liegt nicht an den anderen. Es liegt an uns. An unserer Sicht auf das, was wir für selbstverständlich halten.

Und die schlichte Wahrheit ist: Das Selbstverständliche ist in Sachsen und drumherum nicht selbstverständlich. Er herrscht eine Sicht vor, die das „Wir“ stillschweigend abschneidet vom „die da“, die Menschen in solche sortiert, die ganz unbeeindruckt immer wieder auf den wichtigen Posten sitzen – und solche, denen hohe Barrieren gebaut werden, damit sie gar nicht erst in die Situation kommen, vielleicht in entscheidende Positionen zu kommen.

Ergebnis: Auch in Sachsen sagen alte weiße Männer, wo es langgeht und wie man über „die Andren“ zu denken hat. Was übrigens alle „Minderheiten“ betrifft: Frauen, Jugendliche, Ausländer, Behinderte, Linke, Homosexuelle usw. Es ist immer wieder dasselbe Schema.

Deswegen ist eigentlich das Thema der Konferenz auch wieder falsch, weil es die „inklusive Gesellschaft“ wieder auf Menschen mit Migrationshintergrund fokussiert. Geht es wirklich um die Frage, „welche Strategien notwendig sind, um eine differenzierte Berichterstattung in pluralen Gesellschaften zu gewährleisten und ethnische und religiöse Vielfalt in Medienstrukturen zu fördern?“

Wobei mir das Wort „religiöse“ schon wieder sauer aufstößt, weil es die Migration wieder unter das Label Religion packt, obwohl die meisten Menschen aus völlig anderen Gründen unterwegs sind. Der Frame ist falsch.

Aber das nur am Rande.

Die Frage steht wirklich: Könnten und müssten Medien anders arbeiten und berichten? Und wenn ja: Wie?

Dazu gleich mehr an dieser Stelle.

Alle Beiträge der Serie „Medien machen in Fakenews-Zeiten“.

Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

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