LeserclubUnd wer war jetzt dran? – Eigentlich du. – Nein, du warst dran. – Nein. Von dir fehlt die Geschichte mit dem alten Kommissar. – Die hab ich dir längst gegeben. – Ja, wie so ein typisches Herr-L.-Papierchen. Willst du den Mann eigentlich lächerlich machen? – Käme mir nie in den Sinn. Aber ein bisschen Mitgefühl ... – Mitgefühl? – Sind wie hier im Rundfunk oder bei der Zeitung?

Sag du noch mal Rundfunk! Dann koch ich aber Kaffee!

Mach nur. Rundfunk. Dein ganzer schöner Text über den armen alten tatterigen Kommissar ist Rundfunk. Rundfunk. Rundfunk. Willst du es noch mal hören?

Natürlich. Vielleicht kommt auch noch Morning Show und Feature.

Morning Show.

Ha.

Feature!

Ha. Jetzt koch ich aber Kaffee.

Wird auch Zeit. Und pass auf beim …

***

Da warne mal einer einen aufgeregten Wörterquäler, wenn er eh schon kocht auf Ukw und zur Kaffeemaschine stürmen will. Da kann er höchstens froh sein, wenn der Kaffee kalt ist, der über seine ganzen Spickzettel läuft.

***

Shit!

Zählt nicht. Wisch lieber auf und reg dich ab. Aufregung hilft nicht, wenn man Aufregung beschreiben will.

Eigentlich wirkte er nicht aufgeregt. Du hast ihn doch gesehen. Eher wie ein alter, störrischer Esel, der nicht zeigen will, dass er wütend ist und angepisst.

Aber in deinem Text liest sich das, als wenn er schlotternd wie ein Tattergreis bei euch vor der Tür stand.

War nur mein Eindruck. Eher vielleicht ein bisschen schmaler und zusammengesunkener, weißt du? So wie eben einer, der eben noch ein stolzer Polizeiler im Ruhestand ist, dann irgendwie seine ganze Aura verliert.

Seit wann haben Polizisten eine Aura?

Jeder Mensch hat eine Aura. Grau, blau, gelb – gelb ist positiv.

Hat dir das deine Mascha so beigebracht?

Das hab ich selbst erlebt. Du vielleicht nicht. Du bist ein trockener Stiebel, der immer nur schreibt: Ex-Kriminalkommissar X., 63, ein Mann wie ein trockener Buchhalter …

Könnte passen. Jedenfalls besser als einer mit der Aura eines – wie hast du geschrieben? –„verwirrten Rehbocks auf der Flucht“. Zeig das dem Alten und der knallt dir eine.

Weißt du, dass er riesengroße Stofftaschentücher in jeder Tasche hat, in die er sich regelmäßig schneuzt?

Ist mir nicht aufgefallen. Mach nicht so viel Pulver rein.

Ist meinem Herzen doch egal.

Aber meinem nicht. Ich bin hier der alte Wachhund, dem die Pumpe manchmal schlapp macht.

Ist das dann, wenn du so laut stöhnst?

Nein. Das ist dann, wenn ich keinen Pieps sage und knurre wie ein Wachhund. So wie jetzt. Schreib den Text um.

Aber wenn es so war …

Es geht nicht darum, wie es war, sondern wie es wirkt. Der hat doch nicht schniefend vor eurer Tür gestanden und hat sich ausgeheult, gerade bei dir. Das nimmt dir keiner ab.

Hat er auch nicht. Der hat einfach nur erzählen wollen, wie es steht.

Hat er wirklich gesagt „wie es steht“?

Hat er.

Aha.

Was heißt hier aha?

Nichts weiter. Zuletzt hat er in dieser unserer Geschichte gesagt, dass ihn das alles eigentlich nicht mehr interessiert und dass seine Kollegen im Depot sowieso alles ausgeräumt haben. Keine Beweise mehr, keine Akte. August Miller ist tot. Mausetot. Jetzt endgültig. Da wird ein alter Schnüffler wie er – hat er gesagt – keine Minute mehr dran verschwenden.

Und du hast das geglaubt?

Was? Dass ein alter Beißhund loslässt, wenn sie ihm den Knochen wegnehmen? Nie und nimmer. Aber dann musst du den Beißhund auch wie einen Beißhund schildern. Bulliges Gesicht, unstete Augen, gesenkter Kopf, ein zäher alter Hund, der sich auch vom Geschwätz eines Herrn L. nicht beirren lässt …

Sorry …

Kannste auch anders benennen. Aber was habt ihr denn gemacht? Wie ich dich kenne, hast du ihn aufgeregt an den Schultern gefasst und in die Wohnung gebeten. „Aber so kommen Sie doch erst mal rein, Herr Kommissar. Sie sehen so blass aus. Tut mir leid, wenn die Sache Sie so aufregt. Ich habe ja nicht gewusst, was ich da wieder aufwühle bei Ihnen …“

„Schnickschnack.“

Oh, das war jetzt Originalton?

War es. Er hat „Schnickschnack“ gesagt und ich hab ihm Beruhigungstropfen angeboten. Und er hat „Firlefanz“ gesagt. Und Mascha hat ihm einen Schwarzen mit Schuss angeboten. „Nehm ich“, hat er gesagt. Und ich hab ihm meinen Lieblingssessel angeboten ….

Du hast einen Lieblingssessel?

Du nicht?

Weiter. Wenn ich deine Ballade hier lese, hat er dann eins von seinen karierten Schnupftüchern rausgeholt und euch sein Leid geklagt.

Hat er. Aber ohne Schnupftuch. Und auch erst, als ich den irischen Wiski …

Wie schreibst du das?

So, wie ich’s sage. Da können mich die Iren und Schotten alle mal: Wiski.

Und? Hat ihm der Wiski geschmeckt?

Hat er. Ich hab nachgegossen und Mascha hat gefragt und irgendwie kam dann diese komische Geschichte raus, die du auf dem Tisch hast.

Mit so einer blöden Überschrift: „Die waren heimlich bei mir in der Wohnung“?

Das ist nicht die Überschrift, sondern die Quintessenz. Weil er genau das nicht gesagt hat.

Sondern?

Er hat nur von – Zitat – vagen Vermutungen gesprochen. Denn er als „alter Polizeibeamter“ …

Schnüffler …

Polizeibeamter. Betonung auf Beamter. Er habe da so ein komisches Gefühl, darüber sollte ich zumindest Bescheid wissen, auch wenn die Personen, die möglicherweise in seiner Abwesenheit in seine Wohnung eingedrungen sind …

Eingedrungen find ich gut.

… und die ihre Arbeit augenscheinlich bestens verstehen, so gut, dass sie möglicherweise auch einen ausgebufften alten Praktiker wie ihn hätten austricksen können und nicht mal ahnen lassen, dass sie dagewesen sind …

Waren sie nun oder waren sie nicht? Und wer waren sie?

Ich könne sie Lehmann nennen oder Müller oder Meier, das wäre egal, hat er gesagt, weil ich diese Leute sowieso nie zu greifen bekommen würde, dazu seien sie zu professionell und – jetzt kommt’s – „er kenne ja alle ihre Methoden“ …

Da würde ich jetzt fragen: Welche Methoden?

Würdest du nicht. Du hast nämlich schon ein Bild.

Ja, alter Tattergreis mit Schnupftuch in deinem Lieblingssessel, bisschen angetütert, weil du ihm immerzu nachkippst und jetzt auch noch sentimental. Ich möchte gern mal wissen, wo der in seinen wilden Jugendjahren …

Wird er dir nie erzählen. Aber darum ging es doch auch gar nicht.

Ja, ich weiß: Er hatte so eine Ahnung, dass die Herren Lehmann, Müller oder Meier seiner ganz bestimmt behaglichen Seniorenbude mit den Jagdtrophäen an der Wand ganz klammheimlich einen Besuch abgestattet haben und ihm dabei die ganzen Beweise für den heimtückischen Mord an diesem Herrn – Miller – entwendet haben. Und er hat’s erst am Sonntag gemerkt.

Nein, schon am Feitag. Aber entwendet, sagt er, hätten sie ihm nichts.

Aber die ganze Bude auf den Kopf gestellt, Fächer rausgerissen, Bücher aus dem Regal geschmissen, Federbett aufgeschlitzt …

Nichts dergleichen. Alles war unberührt.

Jetzt kommt die Aura.

Nenn’s, wie du willst. Der Alte jedenfalls meinte, sowas merke ein alter Tatortmann wie er, ob am Tatort noch alles so ist wie beim ersten Mal – oder – Zitat – ob irgendein Unbefugter die ganze Tatortsituation zerstört hat, so dass der ganze Kladderadatsch nun nicht mehr verwertbar sei und sie die Sau jetzt laufen lassen müssten.

Hat er wirklich „Sau“ gesagt?

Hat er. Magst du mit Zucker?

Nein, lieber mit Wasser. Ich rieche bis hierher, dass du mich umbringen willst.

Sag nichts gegen meinen Kaffee.

Der ist ja dann nicht schuld, Kollege. Aber – um im Text zu bleiben: „Sau“ klingt mir nicht nach „Alter Mann heult sich an Maschas Busen aus“.

Er hat sich auch nicht ausgeheult. Er war ganz stock und trocken, wenn du weißt …

Und seine hübsche Aura?

Blassblau, so wie Schnee bei Frost.

Autsch. Das meinst du jetzt nicht ernst.

Doch. Und wenn du meinen Text bis unten hin gelesen hättest …

Bis da hin, wo alles durchgestrichen und zwischen die Zeilen gekrakelt ist?

Ungefähr da.

„Ich wasche mein Geschirr nur einmal am Tag ab, wissen Sie? Wegen der Gaspreise. Das wissen die da nicht. Deshalb haben sie einen Fehler gemacht …“ – Und was heißt das? Haben die da dem Alten den Wochenabwasch gemacht?

Nein. Nur seine Frühstückstasse haben sie ausgespült und sauber auf den Tisch gestellt.

Krieg ich in meinem Kopf nicht zusammen. Die haben bei ihm nichts geklaut und nichts zerdeppert? Aber die Frühstückstasse haben sie abgewaschen und haben sich dann verdünnisiert?

Und sie haben sie auf den Tisch gestellt.

Was hat der Tisch damit zu tun?

Sie hätte im Flur stehen müssen. Da stellt er sie immer hin, bevor er losgeht, um seine Erledigungen zu machen.

Welche Erledigungen? Der Mann ist doch pensioniert?

Friedhof, Gräber gießen. Journalisten besuchen. So wie uns. Oder mal bei den allen Kollegen vorbeigucken …

Meier und Schulze und …

So genau hat er das nicht gesagt. Wie gesagt, er war sehr …

Maulfaul! Jedes Wort musste ihm der hartnäckig fragende Herr L. aus der Nase ziehen …

So ungefähr.

Und die Tasse? Was sucht die im Flur?

Das, so hat er gesagt, ist seine Marotte. Da stelle er sie immer hin, „weil niemand damit rechnet“. Da hab ich sie nämlich auch schon mal umgeschubst.

Kenn ich von dir.

Und das scheint jedem zu passieren, der zum ersten Mal in seine Wohnung kommt.

Tasse kippt um. Und sonst?

Pfütze natürlich. Er lässt immer kalten Tee drin.

Jetzt sag nicht, er hat auch noch eine Pfütze gefunden.

Nein. Aber die Tasse stand blank geputzt auf dem Tisch.

Und was wollen uns die heimlichen Besucher damit sagen?

Das hat er mich auch gefragt. „Was meinen Sie, was die mir damit mitteilen wollen?“

Und was hast du geantwortet?

Bin ich ein alter Polizeier? Woher soll ich das wissen?

Und was hat er gesagt?

„Aber das ahnen Sie doch sicher.“

Und dann hat er sein Schnupftuch rausgeholt…

Ich glaub schon.

Sehr bedeutsam. Das heißt, da ist ein altgewordener, waidwunder Bulle zu euch nach Hause spaziert gekommen, hat das Frühstücksgeturtel mit seinen Taschentüchern gestört und einen auf bedeutsame Hose gemacht. Hab ich Recht? Und Herr L. war beeindruckt, hörte schon die Geigen über seinem Haupt und hat dem alten Mann, dem man seine alte Bulligkeit noch immer ansieht, Asyl angeboten – bis sich diese mysteriöse Sache aufgeklärt hat, was aber bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag dauern wird. Hab ich Recht?

Wollte er gar nicht. Außerdem war es Mascha, die ihm das angeboten hat. Er selbst hat nur gesagt: „Sie sollten das nur wissen. Ich wollte das nicht für mich behalten.“

Ja, das steht hier. Auch noch fett rot unterstrichen. Soll ich das vielleicht als Überschrift nehmen? Klingt aber auch irgendwie schräg. Werden wir jetzt romantisch? Oder tauchen im nächsten Kapitel Meyer und Schulze persönlich auf? Oder wie soll ich mir das denken? Kein Schwein traut unseren braven Kriminalisten zu, dass die sich heimlich bei einem alten Kollegen einschleichen, nur um ihm eine unverblümte …

Die Tasse hat sogar Blümchen.

Blümchentasse?

Schmeckt dir mein Kaffee wenigstens?

Erst schreibst du die Geschichte so um, dass sie ein Mensch wie ich versteht. So hier zum Beispiel: „Es war noch stockfinster und über der Stadt knisterte die Freudlosigkeit einer völlig sinnlos durchzechten Nacht, als ein schrilles Klingeln Herrn L. aus dem Schlaf riss, einem von Alpträumen schweißnassen Schlaf. ‚Wer zum Teu…‘“

Das ist nicht meine Geschichte. Meine geht so los: „Als ich mit Mascha aus einem jener völlig zerknitterten Sonntagmorgen auftauche, sie sich andere Leute rot im Kalender ankreuzen …“

Das wird mir jetzt zu privat. Hast du mir überhaupt was von deinem Kaffee …

Ja, hab ich. Vielleicht solltest du die Tassen zählen, bevor sie dich abholen.

Wegen was?

Wegen deinem Herzen, du Missmut.

***

Und L. schenkte nach. Und Kollege S. begutachtete misstrauisch seine Tasse. Aber die war so weit in Ordnung. Jedenfalls soweit er das beurteilen konnte. Er war ja auch kein alter Schnüffler, der das Misstrauen nicht lassen konnte.

***

Und du meinst, diese klammheimlichen Lehmanns und Schulzes …

Ja.

***

Und das war alles, was man dazu im Moment sagen konnte.

Die ganze Serie „Und was passiert jetzt“?

 

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