Ohne viel nachzudenken, hat die aktuelle Minderheitsregierung von CDU und SPD in Sachsen im Entwurf des neuen Landeshaushalts die Gelder für zahlreiche zivile Projekte zusammengestrichen. Das betrifft auch das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPM) in Leipzig-Gohlis. „Seit 10 Jahren bin ich beim ECPMF und gerade mache ich mir große Sorge über das Zentrum, da es von starken Kürzungen im sächsischen Haushalt betroffen ist“, sagt Andreas Lamm, der Direktor des Zentrums.
„Wie viele andere zivilgesellschaftliche Organisationen, wollen auch wir die Situation nicht einfach hinnehmen und hoffen, dass wir im Interesse aller, Öffentlichkeit für das Thema herstellen können“, sagt er. Und erinnert daran: „Gerade haben wir eine Studie über den Lokaljournalismus in Sachsen und Thüringen veröffentlicht, die zeigt, dass unsere Arbeit im Lokalen immer wichtiger wird.“
Wie die am Freitag, 4. April, vom ECPMF veröffentlichte Studie zum Lokaljournalismus in Sachsen zeigt, geraten Journalist/-innen zunehmend unter Druck, nicht nur in anderen europäischen Ländern, sondern auch konkret in Sachsen.
Mit einer drastischen Kürzung der Mittel für das ECPMF in Leipzig werde nun aber unter anderem die jährlich erscheinende Studie zur Situation der Lokaljournalisten in Sachsen und Deutschland entfallen, befürchtet Lamm.
Gerade jetzt wäre eine Verstetigung der bisherigen Unterstützung ein starkes Signal für den Schutz des unabhängigen Journalismus. Nur so könne sichergestellt werden, dass die Reaktionsfähigkeit des Zentrums erhalten bleibt und die geschaffenen Strukturen und Unterstützungsangebote nicht bedroht sind.
Gegründet wurde das ECPMF mit breiter Unterstützung des EU-Parlaments auf Initiative des Freistaats Sachsen, der Stadt Leipzig und der Bundesregierung Deutschland.
Aus der Arbeitsliste des ECPMF
In einem Journalists-in-Residence-Programm bietet das Zentrum bedrohten Medienschaffenden einen sicheren Ort, psychologische Unterstützung und Fachtrainings. Seit 2016 wurde so über 80 Journalist/-innen u.a. aus Belarus, Russland und Türkei geholfen.
Im Bedarfsfall leistet das ECPMF juristische und praktische Nothilfe: In über 160 Fällen wurden Medienschaffende unterstützt, die z.B. willkürlich inhaftiert, verklagt oder Opfer von Spionageprogrammen wurden – darunter prominente Fälle wie die Ermordung von Daphne Caruana Galizia (Malta) oder die Spyware-Überwachung des griechischen Journalisten Koukakis.
Das Zentrum unterstützt über 4.000 Journalist/-innen in der Ukraine und im Exil, etwa durch Schutzausrüstung, sichere Kommunikation, Trainings und Beratung im Rahmen der
Hannah-Arendt-Initiative der Bundesregierung.
Außerdem dokumentiert es systematisch Verstöße gegen die Pressefreiheit: Die Plattform Mapping Media Freedom erfasst seit 2015 über 10.000 Vorfälle in 35 Ländern. Diese Daten fließen in EU-Berichte ein, dienen als Frühwarnsystem und bilden die Grundlage für politische Maßnahmen wie den European Media Freedom Act oder die Anti-SLAPP-Richtlinie.
Das ECPMF wirkt auch lokal: Neben dem Engagement auf EU-Ebene stärkt das ECPMF auch lokale Journalistinnen, etwa durch Schutzmechanismen in Sachsen oder Bildungsarbeit mit Schulen und Hochschulen.
Warum eine Mittelkürzung den Schutz gefährdet und Desinformation fördert
Der Freistaat Sachsen war in den vergangenen Jahren ein verlässlicher und starker Partner im Schutz freier und unabhängiger Medien, bestätigt Lamm. Die Unterstützung des ECPMF durch den Freistaat hat nicht nur den Aufbau und die Verstetigung des Zentrums ermöglicht, sondern auch dessen Reaktionsfähigkeit in Krisenzeiten maßgeblich gestärkt.
Eine drastische Kürzung der finanziellen Mittel auf 140.000 Euro pro Jahr – ein Drittel der bisherigen Unterstützung durch den Freistaat Sachsen – wie sie derzeit diskutiert wird –bedroht die Arbeit des ECPMF in ihrer Substanz, stellt Andreas Lamm fest.
Ohne verlässliche Grundfinanzierung könne das Zentrum nicht mehr flexibel auf Krisen reagieren – wie etwa im Fall des Krieges gegen die Ukraine oder bei plötzlichen Verhaftungen von Journalist/-innen. Die Fähigkeit, bedrohte Journalist/-innen zu schützen, würde massiv eingeschränkt, insbesondere Programme wie Journalists-in-Residence.
Das Monitoring und die Aufklärung über Angriffe auf Medien – wichtige Grundlagen für die Arbeit und demokratische Debatten sowie politische Reformen – würden stark geschwächt: „Gerade in Zeiten wachsender Desinformation brauchen Demokratien verlässliche, unabhängige Informationen“, so Lamm. „Wenn der Schutz unabhängiger Stimmen wegfällt, gewinnen Desinformation und autoritäre Narrative an Boden.“
Das ECPMF habe sich in zehn Jahren zur tragenden Säule des Schutzes für freie, unabhängige Medien in Europa entwickelt. Eine Kürzung der Mittel schwäche nicht nur das ECPMF, sondern die Unabhängigkeit der Medien. Die Folgen wären weit über Sachsen oder Deutschland hinaus zu spüren.
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