Zuletzt soll er nicht mal böse gewesen sein, dieser Gottfried Wilhelm Leibniz. Zumindest zitiert das Leipziger Kulturdezernat aus einem Brief, den Leibniz 1708 an Adam Rechenberg schrieb: "Ich freue mich, dass unser Leipzig, nachdem es sich aus sehr schweren Zeiten wieder empor gearbeitet hat, in neuer Blüte steht. Ich liebe es, wie es sich für die Heimat geziemt, und habe nicht das Gefühl, dass sie gegen mich undankbar war.“

Die Stadt sowieso nicht. Das Zitat, das das Kulturdezernat hier zur Begründung der Jubiläumsfeier zum 300. Todestag von Leibniz heranzieht, ist natürlich aus dem Zusammenhang gerissen. 1706/1707 waren die Schweden in Leipzig einmarschiert und hatten damit eine regelrechte Panik ausgelöst. Aber diesmal war es sogar glimpflich abgegangen für Leipzig, anders als im 30-jährigen Krieg oder später mit Friedrich II.

Und wirklichen Grund, mit der Universität Leipzig zu hadern, hatte Leibniz auch nicht, auch wenn das Kulturdezernat wieder forsch formuliert: “Mit 15 Jahren beginnt er, an der alma mater lipsiensis zu studieren. Sein exzellentes Examen legt er in Nürnberg/Altdorf ab, die Promotion wird ihm in Leipzig wegen seiner Jugend verweigert.”

Was so nicht ganz stimmt, auch wenn es immer wieder kolportiert wird. Detlef Döring formulierte es 2009 im ersten Band der “Geschichte der Universität Leipzig” mal so: “Den Titel des Dr. jur. hat er nicht erlangen können. Der Grund dafür lag allerdings nicht, wie von der Nachwelt oft behauptet, an der Abneigung der Leipziger ‘Scholastiker’ gegen das unbequeme Genie Leibniz, sondern an dem in Leipzig gängigen System der finanziellen Versorgung der Lehrkräfte. Die Promotion hätte Leibniz die Anwartschaft auf eine bezahlte Assessorenstelle in der Fakultät beschafft. Das Interesse älterer Kandidaten musste daher darin bestehen, die jüngere Konkurrenz in die ‘Warteschleife’ zu schicken. Das war dem damals zwanzigjährigen Leibniz geschehen.”

Die Promotion war – anders als heute – im Grunde die Eintrittskarte in den akademischen Lehrbetrieb – und in eine heiß umkämpfte Pfründe. Leibniz ging dann an die Universität Altdorf in Nürnberg und bekam dort seinen Doktor. Aber ein trockener Jurist ist er nie geworden. Im Gegenteil. Schon 1668 – ein Jahr nach dem Weggang aus Leipzig – sah man ihn in Diensten des Mainzer Kurfürsten, beschäftigte er sich mit Infinitesimalrechnungen, aber auch mit einer Reform des Römischen Rechts. 1675 stellte er seine Rechenmaschine vor, 1676 ging er nach Hannover und hatte als Staatsrechtler, Historiker und Bibliothekar endlich den Freiraum, seinen vielen Forschungen nachzugehen.

“Als Philosoph entwickelt er die Idee der Theodizee, als Mathematiker findet er, unabhängig von Newton, die Infinitesimalrechnung. Als Ingenieur konstruiert er eine rein mechanische Rechenmaschine und beobachtet als erster Physiker den elektrischen Funken. Seine politischen und theologischen Studien werden zu einem wichtigen Bestandteil der deutschen Aufklärung. Leibniz gilt als letzter großer Universalgelehrter. Gottfried Wilhelm Leibniz ist eng mit der Stadt Leipzig verwoben”, schreibt das Leipziger Kulturdezernat.

Tatsächlich ist das Werk des Burschen ein Bergwerk, aus dem noch heute allerlei Forscher ihren Rohstoff holen. Und es gibt auch noch ein paar Orte in Leipzig (warum 2016 nicht mal die Schreibweise “Leibzig” promoten?), die mit dem jungen Leibniz verbunden werden können. Aber ob die Ritterstraße 16 – 22 dazu gehört? Das ist das “Rote Kolleg” in der Ritterstraße: “Im Roten Kolleg wurde Gottfried Wilhelm Leibniz am 1. Juli (nach der Zählung des damals noch gültigen Julianischen Kalenders: 21. Juni) im Jahr 1646 geboren und wuchs hier auf. 1891 musste das Kolleg auf Grund seiner Baufälligkeit abgerissen werden. Im gleichen Jahr wurde mit einem Neubau nach den Entwürfen von Arwed Rossbach begonnen. Heute befindet sich eine Hinweistafel an dem Gebäude, die den Geburtsort Leibniz’ markiert.”

Ob das stimmt, zweifelt zumindest Otto Werner Förster an: Das Beguinenhaus am Alten Neumarkt (der heutigen Universitätsstraße) kommt als Geburtsort genauso in Frage. Das steht halt nur nicht mehr.

Sicher ist hingegen die Nikolaikirche: “Am 3. Juli 1646 (23. Juni nach dem Julianischen Kalender) wurde Gottfried Wilhelm Leibniz vom Diakon M. Daniel Moller in der Nikolaikirche getauft.”

Sicher ist auch die Alte Nikolaischule: “In den Jahren 1653 bis 1661 besuchte Leibniz die Leipziger Nikolaischule. Die städtische Bürgerschule wurde im Jahr 1512 errichtet. Die Schule sah ihre Hauptaufgabe in der intensiven Vermittlung von Lateinkenntnissen sowie in Mathematik, Logik und Geschichte. In die Schulzeit fallen auch Leibniz’ intensive Lektüreerlebnisse, da er Zugang zu zahlreichen Bibliotheken erlangte.”

Unsicher war sich die Stadt Leipzig immer wieder, wo sie sein Denkmal hinstellen soll: “Am 11. Juni 1846 beschloss der Rat der Stadt, dass für einen der berühmtesten Studenten der Stadt ein Denkmal errichtet werden sollte. Schließlich wählte man Ernst Julius Hähnel (1811 – 1891) als Bildhauer aus, der das Denkmal 1881 bis 1883 aus Bronze und Granit formte. Seinen Platz erhielt das Leibnizdenkmal zunächst auf dem Thomaskirchhof. Von hier musste es jedoch 1906 dem Bachdenkmal weichen und wurde in den Paulinerhof umgesetzt. 1968 wurde es im Zusammenhang mit der Sprengung von Paulinerkirche und Augusteum abgebrochen und eingelagert. Es bekam 1977 zwischen Hörsaalbau und
Moritzbastei einen neuen Platz. Seit August 2008 steht es im Innenhof der Universität, dem Leibnizforum.”

Man hätte es mit gutem Recht auch auf den Burgplatz stellen können, denn die Juristische Fakultät befand sich auch damals am Eingang der Burgstraße. Und das wird natürlich mit dem Jubiläum 2016 besonders pikant, denn 2016 rundet sich ja auch der 350. Jahrestag jenes Jahres 1666, in  dem der junge Leibniz in Leipzig versuchte seinen Doktor zu bekommen mit der “brillanten Schrift” (Otto Werner Förster) “Über die kombinatorische Kunst”.

Die Jubiläen-Vorlage des Kulturdezernats.

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