Am 6. Januar 1423 erhielt die moderne sächsische Identität eine Initialzündung. Mit der Übertragung der sächsischen Kurwürde an Markgraf Friedrich IV. von Meißen begann heute vor 600 Jahren der altehrwürdige Name „Sachsen“ auf wettinische Herrschaftsgebiete und deren Bevölkerung überzugehen. Im Herbst soll sich eine wissenschaftliche Tagung in Meißen mit diesem besonderen Jubiläum beschäftigen.

Mit welch geschickten Mitteln die Kurfürsten und Herzöge von Sachsen(-Meißen) im Früh- und Hochmittelalter eine prestigeträchtige Marke übernahmen und ausgestalteten, wann die wettinischen Fürstinnen und Fürsten auch von außen als Sachsen bezeichnet wurden und wann sich die in diesen Gebieten lebenden Menschen selbst als Sachsen verstanden, ist zum Teil noch ungeklärt.

In einer viertägigen internationalen wissenschaftlichen Tagung geht die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig im Herbst anlässlich dieses Jahrestages dem Phänomen sächsischer Identitätsbildung auf den Grund. In Kooperation mit dem Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. wird im Oktober 2023 in Meißen erörtert, wie die sächsischen Kurfürsten ab 1423 in ganz Europa diplomatisches und politisches Gewicht gewannen. Parallel widmet sich auch eine Ausstellung auf der Albrechtsburg im Herbst 2023 diesem Thema.

Wie die Kurwürde ins Herzogtum Meißen kam

Der Markgraf Friedrich IV. von Meißen (1382–1428) war zunächst nur einer von vielen Fürsten im Heiligen Römischen Reich. Am 6. Januar 1423 belehnte König Sigismund den Markgrafen mit dem Herzogtum und Kurfürstentum Sachsen(-Wittenberg). Friedrich von Meißen musste sich gegen drei Konkurrenten wehren, die ebenfalls die begehrte sächsische Kurwürde anstrebten.

Mit zwei von ihnen, die weltliche Kurfürsten waren, gelang nach Ausgleichsverhandlungen eine baldige Übereinkunft. Dagegen verfocht der Herzog von Sachsen-Lauenburg seinen Anspruch auf die Kurwürde noch viele Jahre. Doch König Sigismund entschied sich für Markgraf Friedrich, dem er 1423 zunächst vorläufig, 1425 dann verbindlich die Kurwürde übertrug.

Frei geworden war die sächsische Kurwürde nach dem Aussterben der sächsisch-wittenbergischen Linie der Askanier im Mannesstamm 1422.

Der Markgraf von Meißen gelangte dadurch in den exklusiven Kreis der sieben Kurfürsten. Gemäß der Goldenen Bulle von 1356 trugen die Kurfürsten in Kooperation mit dem jeweiligen Herrscher die Hauptverantwortung für die Regierung des Heiligen Römischen Reiches. Sie waren es auch, die nach Eintritt einer Thronvakanz einen neuen König und künftigen Kaiser wählten. Nicht zuletzt war der sächsische Kurfürst selbst auch ein möglicher Kandidat für die königliche und kaiserliche Würde. Dementsprechend nahmen das außen- und innenpolitische Gewicht und Prestige erheblich zu.

Mit der Übertragung der sächsischen Kurwürde an Markgraf Friedrich IV. von Meißen begann zugleich die „Sachsenwerdung“ der wettinischen Herrschaftsgebiete und der darin lebenden Bevölkerung. Die wettinischen Markgrafen von Meißen waren seit dem 13. Jahrhundert auch Landgrafen von Thüringen. Ab 1423/25 rückten sie die sächsische Kurwürde bei der eigenen Präsentation in Briefen, Urkunden und Wappen in den Vordergrund.

Die neuen Kurfürsten von Sachsen stellten sich bald in die Tradition „sächsisch“ geprägter früh- und hochmittelalterlicher Fürstentümer, König- und Kaiserreiche. Sie nutzten diese Traditionen für ihre Repräsentation und Legitimation im Heiligen Römischen Reich und in Europa. Vor diesem Hintergrund bildet das Jahr 1423 den Ausgangspunkt für die allmähliche Übertragung des prestigeträchtigen Namens „Sachsen“ auf wettinische Fürsten und ihre Herrschaftsgebiete mit solchen Zentren wie Meißen, Dresden, Freiberg und Leipzig. Dass heute ein Bundesland namens Sachsen existiert, ist ein Ergebnis dieses längerfristigen Prozesses der Namensübertragung.

Eine Tagung in Meißen

Anlässlich des 600. Jahrestages der ersten Belehnung des Markgrafen Friedrich von Meißen mit dem Herzog- und Kurfürstentum Sachsen wird die Sächsische Akademie der Wissenschaften in Kooperation mit dem Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. vom 25. bis zum 28. Oktober 2023 eine internationale Tagung in Meißen veranstalten. Sie widmet sich u.a. „sächsisch“ geprägten Fürstentümern, König- und Kaiserreichen des Früh- und Hochmittelalters, die den neuen sächsischen Kurfürsten ab 1423 als Traditions- und Repräsentationspotential zur Verfügung standen.

Außerdem wird danach gefragt, welches diplomatische und politische Gewicht die Kurfürsten von Sachsen(-Meißen) innerhalb des Kurfürstenkollegiums sowie innerhalb und außerhalb des Heiligen Römischen Reiches besaßen (15./16. Jahrhundert). Schließlich wird darüber diskutiert, wie lange es dauerte, bis man die in wettinischen Herrschaftsgebieten lebende Bevölkerung aus der Außen- und der Binnenperspektive als „Sachsen“ bezeichnete.

Tagungsprogramm und weitere Informationen unter www.saw-leipzig.de/sachsen

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