Geschichte ist ein Sammelsurium aus Chancen und vergeigten Gelegenheiten. Nicht nur, wenn es um den „richtigen Moment“ zum Beispiel für Erfindungen oder Revolutionen geht. Manchmal schüttelt die Nachwelt dann den Kopf. Zum Beispiel über diesen überambitionierten Kurfürsten Friedrich August I., den die Sachsen bis heute als den Starken verehren. Der hatte tatsächlich vor 300 Jahren mal die Kaiserkrone im Visier.

Eigentlich sogar schon seit 1704. Da war sein Sohn Friedrich August, der ihm auf dem Kurfürstenthron nachfolgen sollte, gerade einmal acht Jahre alt. Aber sein Vater hatte gewaltige Ambitionen. Er wollte unter den ganz Großen in Europa mitspielen. Aber dazu brauchte er Titel. Große Titel. Er ließ sich den Erwerb der polnischen Königskrone richtig viel Geld kosten – oder besser: das Geld seiner Untertanen.

Sachsen war, verglichen mit den meisten anderen Fürstentümern dieser Zeit, sehr reich. Vor allem der Silberbergbau im Erzgebirge hatte die Kassen gefüllt. Und allgemein galt Friedrich August als einer jener deutschen Kurfürsten, die auch in der Lage waren, schlagkräftige Armeen zu bezahlen und damit auch politische Interessen wahrzunehmen.

Dass er seine Schlachten ausgerechnet gegen den schwedischen König Karl XII. verlor, hat nicht unbedingt nur mit der sächsischen Neigung, in Kriegen stets auf der falschen Seite zu kämpfen, zu tun. Tatsächlich war es die Probe aufs Exempel, ob Sachsen wirklich mithalten konnte im Konzert der damaligen Großmächte.

Vor allem ging es natürlich um die Ausweitung der polnischen Besitzungen. Im Baltikum kam Friedrich August damit den Schweden direkt ins Gehege. Und hätten sich die Schlachten aufs Baltikum konzentriert, hätte August durchaus Chancen gehabt, die Sache durchzustehen, spätestens, als auch Russland auf seiner Seite mitmischte.

Aber mit Karl XII. hatte er einen der militärisch begabtesten Könige seiner Zeit zum Feind. Und der kannte (genauso wenig wie später Friedrich II. von Preußen) keinen idealeren Weg, dem Polen-König den Krieg zu verunmöglichen, als ihn direkt in seinem Kernland anzugreifen und ihm damit die finanzielle Basis für den Krieg zu entziehen. Der Frieden von Altranstädt war der Gipfel dieser Entwicklung. Was aber Friedrich August nicht davon abbrachte, weiter von klingenden Titeln zu träumen und auch die polnische Krone dauerhaft dem Haus Wettin sichern zu wollen.

Es ist höchstwahrscheinlich, dass die Zeitgenossen die Niederlage gegen Karl XII. ganz und gar nicht als Menetekel dafür ansahen, dass Sachsen den Gipfel seiner Macht überschritten hatte. Solche Niederlagen kassierten auch französische Könige und habsburgische Armeen. Es ging immer darum: Wer hatte genug Geld, die Truppen zu bezahlen – und welche Bündnispartner bekommt er? Und sächsische Truppen wurden immer wieder auch zu erfolgreichen Feldzügen des Reichsheeres unter den Habsburgern entsandt.

Noch war keineswegs entschieden, wer im Reich künftig die erste Geige spielen würde. Die Habsburger schwächelten, demnächst drohte es gar an einem männlichen Thronerben zu mangeln. Aber in diesen frühen Jahren des 18. Jahrhunderts gab es im Reich nur zwei Aspiranten auf eine mögliche Nachfolge: Sachsen und Bayern.

Und Alexander Querengässer, der sich als Historiker sehr gründlich mit der augusteischen Epoche beschäftigt, erzählt in diesem Buch auch von diesen erstaunlichen Ähnlichkeiten zwischen Sachsen und Bayern, deren Fürsten alle beide versuchten, ihre Kinder in die Habsburgische Thronfolge einheiraten zu lassen. Selbst bei der massiven Investition in ihre prächtigen Residenzstädte nach dem Vorbild des französischen Sonnenkönigs ähnelten sie sich.

Und ganz gewiss ahnten beide nicht, dass sich gerade die Spielregeln veränderten und sich ein Aspirant auf die erste Rolle vorbereitete, den damals noch niemand auf dem Zettel hatte: Preußen.

Querengässer weiß, dass es sehr schwierig ist, Geschichte aus ihren Ergebnissen interpretieren zu wollen, denn die kannten ja die handelnden Akteure nicht. Mal ganz zu schweigen von der völlig anderen Nachrichtenlage. Es gab keine grenzüberschreitenden Medien (bis auf die Diplomatie), aus denen die Handelnden erfahren konnten, was die Gegenseite gerade vorhatte, wie schlagkräftig sie war oder welche heimlichen Winkelzüge sie unternahm.

Übrigens etwas, was Friedrich II. später ebenso grandios umsetzen sollte (und Napoleon von ihm lernen würde): Die neuen Feldherren taktierten nicht mehr, sondern setzten auf Geschwindigkeit und das Überraschungsmoment – und setzten dabei immer alles auf eine Karte. So ein Hasard-Spieler war Friedrich August II. nicht. Als ihn der schwedische König zwang, sich aus Polen zurückzuziehen, steckte er das Geld, das er nun bei der Armee sparte, in die prächtigen Bauten, auf die die Dresdner noch heute so stolz sind.

Und kurz vor 1719 ging das Bauen erst richtig los. Denn zur Hochzeit seines Sohnes wollte er seine Residenzstadt zur großen Bühne machen. Er wollte eine Hochzeit feiern, auf die ganz Europa schaute und dabei staunte. Jene Hochzeit, die Querengässer in diesem Buch nach den verfügbaren historischen Quellen rekonstruiert. Im September 1719 heiratete Friedrich August (der spätere II.) die Kaisertochter Maria Josepha.

Und Querengässer beschreibt nicht nur die einen vollen Monat dauernden Feierlichkeiten in Dresden, denn vermählt wurden die beiden schon vorher in Wien – mit deutlich weniger Pomp. Denn Karl VI., der 1711 seinem Bruder Joseph I. auf dem Kaiserthron gefolgt war, hatte kein Interesse daran, die Ambitionen der anderen Fürsten auf den Kaiserthron in irgendeiner Weise zu befeuern und zu bestärken.

Während August der Starke davon ausging, dass er seinen Sohn mit dieser Hochzeit ziemlich weit vorn in der möglichen Wiener Thronfolge platzierte. Und das sollte die opulente Hochzeitsfeier in Dresden unterstreichen und aller Welt vor Augen führen. Hätte er sich darauf verlassen, dass die Zeitungen jener Zeit das auch so opulent berichteten, hätte er ganz schön alt ausgesehen. Querengässer hat durchaus ein paar dieser Zeitungen ausfindig gemacht, die natürlich keine eigenen Reporter in Dresden vor Ort hatten.

Sie waren auf Korrespondentenberichte von Leuten angewiesen, die über so etwas per Brief berichteten. Was sie augenscheinlich auch taten. Doch oft genug wurde daraus dann doch eher eine Nachricht unter Vermischtes. Aus französischer oder englischer Perspektive war Sachsen dann eben doch ein eher kleines, nicht ganz so wichtiges Fürstentum. Und dass Friedrich August damit den Anspruch auf einen Platz in der kaiserlichen Thronfolge zelebrierte, kam auch nicht so überzeugend an.

Also ließ August der Starke die Feierlichkeiten in einer eigenen opulenten Erinnerungsschrift festhalten mit großen Illustrationen, die aller Welt zeigen sollten, wie generös er das Fest gefeiert hatte. Doch das eigentlich geplante Werk wurde allein schon aufgrund seines enormen Umfanges niemals fertig. Erschienen ist nur das „Königliche Denckmal“, das auch für Querengässer die Hauptquelle zu Informationen über die Hochzeitsfeierlichkeiten wurde.

Und natürlich diskutiert Querengässer auch den mit der Hochzeit verbundenen Konfessionswechsel von Friedrich August II., der damit nicht nur seinem Vater folgte, sondern auch endgültig den Konfessionswechsel des gesamten Fürstenhauses einleitete. Was bei den lutherischen Sachsen gar nicht gut ankam.

Aber sie haben es ihrem starken August letztlich nicht wirklich krummgenommen. Auch dieser Effekt ist ja mit dieser opulenten Hochzeit verbunden: Mit Friedrich August I. zog auch ein völlig anderes, am französischen Königshof und dem aufkommenden Absolutismus orientiertes Verständnis von Machtausübung und Regierungspräsentation ein. Die ganzen eindrucksvollen Barockbauten links und rechts der Elbe erzählen ja nicht von einem Fürsten, der einfach nur kunstsinnig und prachtliebend war. All das erfüllte einen politischen Zweck, war in Stein gebaute Botschaft, in der sich das Selbstverständnis eines barocken Herrschers manifestierte.

Querengässer deutet diese Dimension zumindest an, die ja bis heute funktioniert. Mit den Kriegen Augusts des Starken beschäftigen sich nur die Historiker (so auch Querengässer in seiner Promotion), in der Bevölkerung erinnert aber werden die Mätressen, Schlösser und Schätze des Kurfürsten. Taten und Nachruhm fallen gründlich auseinander. Und das war auch schon zu Augusts Zeiten wirksames Marketing. Und zu diesem Marketing gehörte auch die Hochzeit seines Sohnes, die in ihrer Wirkung dem berühmten „Zeithainer Lustlager“ von 1730 in nichts nachsteht, das eigentlich Augusts große Truppenschau war, mit dem er aller Welt zeigen wollte, dass er sich jetzt wieder eine schlagkräftige Armee leisten konnte.

So etwas behalten auch die Chronisten gern in Erinnerung. Auch wenn all diese opulenten Inszenierungen überstrahlen sollten, dass die sächsischen Ambitionen auf den Kaiserthron eigentlich schon seit 1713 keine Grundlage mehr hatten. Da hat Karl VI. die berühmte pragmatische Sanktion unterschrieben, die auch Töchtern aus dem Hause Habsburg den Weg an die Macht ermöglichte.

Da ist dann wirklich die Frage, was Friedrich August II. mit der riesigen Hochzeitsfeier eigentlich bezweckte. Alexander Querengässer diskutiert das recht ausführlich. Immerhin bedeuteten offene Kaiserambitionen auch, dass sich die Habsburger nicht wirklich sicher sein konnten, weiterhin die sächsische Unterstützung zu bekommen.

Möglicherweise sahen auch die Wettiner das als Verhandlungs- und Druckmittel, um eventuell nicht nur die polnische Krone für immer zu bekommen, sondern auch gleich noch einen Korridor durch Schlesien. Denn wenn sie in ihr polnisches Königreich wollten, mussten sie immer mit riesigem Tross durch Habsburger Gebiet reisen.

Selbst solche Aspekte machen deutlich, wie dieser August der Starke möglicherweise gedacht haben mochte und welche Chancen er sich im großen Spiel um Macht und Titel ausrechnete. Er hatte nur einen Bruchteil der Informationen, die wir heute haben. Damit musste er irgendetwas anfangen, ohne zu wissen, welche Reaktionen und Folgeentwicklungen er damit tatsächlich auslöste.

Und auch wenn unsere heutigen Politiker viel mehr Informationen haben, geht es ihnen noch immer ganz ähnlich. Die Gegenspieler bleiben meistens unberechenbar – oder selbst dann, wenn sie berechenbar sind, nicht integrierbar in das eigene politische Handeln, weil sie zur Kooperation nicht fähig sind. Denn es landen ja auch allerlei Kerle auf Präsidententhronen, denen das Wohlergehen der anderen völlig schnurz ist.

Man wünscht es sich ja als Bürger immer, dass man endlich mal eine vernünftige, nicht von Eitelkeiten dominierte Politik bekommt. Nur treibt es augenscheinlich jede Menge eitler Personen in die hohen Ämter, die sich gern wie August der Starke benehmen, weil ihnen der Jubel in den Gazetten wichtiger ist als ein ordentlich durchdachtes Tagwerk.

Die Hochzeit von Augusts Sohn ist – trotz allen Marketings – fast vergessen. Aber die in Stein gebaute Kulisse steht bis heute an der Elbe und entzückt die Besucher aus aller Welt, denen der starke August sehr wohl ein Begriff ist, sein Sohn und dessen habsburgische Gemahlin aber nicht mehr. Beide verschwinden im Glanz des Kurfürsten, der wie kein anderer für Glanz und Höhepunkt des sächsischen Absolutismus steht.

Alexander Querengässer 1719. Hochzeit des Jahrhunderts, Sax Verlag, Beucha und Markkleeberg 2020, 16,80 Euro.

Endlich ein faktenreiches Buch zum Leben und Wirken des ersten Kurfürsten der Wettiner

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