Kirchenglocken sind wichtiges Merkmal von Kirchenbauwerken. Die Stadt Apolda zwischen Weimar und Jena war jahrhundertelang eine der bedeutendsten Orte für Glockenguss in Deutschland. Glocken aus Apolda läuten noch heute in vielen Ländern der Welt. Margarete Schilling (90) aus Apolda ist es zu verdanken, dass umfangreiches Wissen über Glocken in aller Welt dokumentiert und überliefert ist – und dass Apolda nach wie vor als bedeutende Glockenstadt Deutschlands gilt.

Die Witwe des letzten Glockengießermeisters der Stadt Apolda, Peter Schilling, hat seit 1977 zahlreiche Publikationen über Glocken veröffentlicht und ebenso zahlreiche Ausstellungen erstellt. Jetzt erhielt die „Grande Dame der Glocken“ in Weimar das Bundesverdienstkreuz.

Margarete Schilling (* 1932 in Jena), seit 1977 Autorin und Expertin für Glocken und Carillons sowie Herausgeberin und Ausstellungs-Kuratorin, gilt unter Fachleuten als „Grande Dame der Glocken“ über Deutschland hinaus. Auch ist sie seit Jahrzehnten künstlerisch tätig, schuf Collagen und schrieb Texte für Kinder.

Werdegang

Nach Abschluss der Lehre als Handelskaufmann in Jena hatte sie ein Praktikum bei Carl Zeiss Jena, wo sie erstmals für einen Prospekt des Unternehmens professionell fotografiert wurde – als vermeintliche Laborantin. Daraus entwickelte sich ihre gelegentliche, mehr als 20 Jahre dauernde „Nebenbei-Laufbahn“ als Mannequin, die sie auch ins Ausland führte: Sie modelte für Kleider, Schmuck, Frisuren und Hüte; Fotos mit ihr erschienen in DDR-Modezeitschriften.

Als Gasthörerin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena studierte sie Psychologie, Philosophie und Englisch. Parallel arbeitete sie als freiberufliche Lektorin und Korrektorin, so für den damals in Jena beheimateten Urania Verlag, den Gustav Fischer Verlag Jena und dessen Biologische Rundschau sowie für den Greifenverlag in Rudolstadt.

Mitte der 1960er Jahre lernte sie den Glockengießermeister Peter Schilling aus Apolda kennen und zog mit der Heirat 1966 zu ihm. Mit Unterstützung ihres Ehemannes (1930–2001) und ihres Schwiegervaters, des Glockengießermeisters Franz Schilling (1897–1977), wuchs sie in das Glockenguss-Familienunternehmen hinein und war fortan an vielen Projekten beteiligt.

Ihr Wissen und ihre Kenntnisse vertiefte sie in Kursen an der Volkshochschule und in langjährigen Studien in Vergleichender Kunstgeschichte und Malerei beim Künstler und Kunstpädagogen Horst Jährling (1922–2013) aus Weimar.

Ab 1972

1972 wurde die Glockengießerei Schilling von der DDR zwangsenteignet und als volkseigener Betrieb unter dem Namen „VEB Apoldaer Glockengießerei“ weitergeführt; Peter Schilling wurde formal Betriebsdirektor, Margarete Schilling technischer Direktor.

Doch 1976 konnten und wollten die Eheleute die zunehmend selbstzerstörerische Betriebsführung seitens der SED-Machthaber weder länger kompensieren noch tolerieren. Sie verließen ihr einstiges Unternehmen und wirkten als freiberufliche Künstler – sie projektierten Glocken, Glockenspiele und Spieleinrichtungen, verfassten Glocken-Gutachten und erstellten auf Kirchtürmen Klanganalysen.

Der VEB Apoldaer Glockengießerei wurde 1988 – also noch zur DDR-Zeit – nach jahrelangem wirtschaftlichen Niedergang geschlossen. Die Enteignung 1972 war für die SED-Machthaber zum Pyrrhussieg geworden, da mit dem wirtschaftlichen Scheitern seitdem auch D-Mark-Erlöse in beträchtlichen Größenordnungen versiegten: Zahlreiche der weltweit begehrten Schilling-Glocken waren jahrzehntelang in das – wie es damals genannt wurde – „Nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet“ (NSW) für harte Währung verkauft und exportiert worden.

Nach der Deutschen Einheit erhielten Schillings ihr Unternehmen zurück – beziehungsweise das, was davon übrig war: verschlissene Hallen voller Schrott und Schutt. Zudem verweigerten Banken die zum Neustart erforderlichen Kredite. Damit war die im Jahr 1722 begonnene, herausragende Zeit des Glockengusses in Apolda endgültig zu Ende.

Die letzte Schilling-Glocke entstand zusammen mit Horst Jährling für die Dorfkirche Gelmeroda bei Weimar: Die Glocke goss im Jahr 1999 auf dem Markt von Weimar nach den Schilling-Plänen die Glockengießerei Rudolf Perner aus Passau. Sie ist das letzte Werk der Ära der Glockengießerfamilie Schilling aus Apolda, deren Chronistin Margarete Schilling als letzte Zeitzeugin ist.

Zahlreiche Schilling-Glocken und -Carillons sind bis heute klangvolle Zeugnisse dieser besonderen Handwerkskunst aus Thüringen – sie läuten vielerorts sowohl in Deutschland als auch in Argentinien, Australien, Belgien, Brasilien, China, Dänemark, Finnland, Griechenland, Indien, Island, Israel, Japan, Norwegen, Österreich, Russland, der Schweiz und den USA.

Publizistische Tätigkeit

1977 trat Margarete Schilling erstmals als Autorin mit „Das Glockengeläut des Magdeburger Klosters Unser Lieben Frauen“ in Erscheinung. 1982 legte sie ihr Buch „Glocken und Glockenspiele“ vor, es erschien im selben Jahr auch in der Bundesrepublik und wurde da wie dort ein Bestseller.

Ihre drei erfolgreichsten Bücher sind „Glocken und Glockenspiele“ sowie die beiden Bildbände „Glocken – Gestalt, Klang und Zier“ (Dresden und München 1988) und „Kunst, Erz und Klang – die Werke der Glockengießerfamilien Ulrich und Schilling vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart“ (Berlin 1992).

Margarete Schilling veröffentlicht fortlaufend bis heute: Ihr jüngstes Werk ist in diesem Jahr die 80-seitige Publikation „Der Glockengießermeister Heinrich Ulrich – Gießer der Petersglocke im Kölner Dom“ – anlässlich des Jubiläums „100 Jahre Petersglocke im Kölner Dom“ am 5. Mai 2023 sowie des nahenden 100. Todestags von Heinrich Ulrich.

Ausstellung in der Kirche Panitzsch

Margarete Schillings Ausstellung „Figürliche Ritzzeichnungen auf historischen Glocken aus dem 13.–15. Jahrhundert“ war vom 7. Juni bis 22. September 2015 in der Kirche zu Panitzsch östlich von Leipzig zu sehen, kuratiert von der Kunsthistorikerin Dr. Annette Müller-Spreitz. Dabei ging es auch um die beiden mittelalterlichen Glocken mit Ritzzeichnungen im Kirchturm von Panitzsch.

Bundesverdienstkreuz

Margarete Schilling wurde jetzt für ihr jahrzehntelanges Glocken-Engagement mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Die Urkunde hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 17. März 2023 unterzeichnet. Die Ehrung überreichte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) in einer Feierstunde am 21. Juni 2023 in Weimar.

„Mit den von ihr kuratierten Ausstellungen, Büchern und Collagen bringt Margarete Schilling über das fachliche Wissen hinaus immer wieder Bewegendes und ganz Persönliches zur Sprache“, sagte Bodo Ramelow in seiner Laudatio.

„Viele ihrer Werke sind im „GlockenStadtMuseum Apolda“ oder auch im Westfälischen Glockenmuseum Gescher zu finden. Die Auszuzeichnende ist eine maßgebliche Botschafterin eines bedeutenden, traditionellen Handwerks und damit nicht zuletzt der Thüringer Kunst- und Kulturgeschichte von Apolda in die Welt.

Frau Margarete Schilling mit ihrem Bundesverdienstkreuz, überreicht von Thüringens Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Foto: Ghostwriter123, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=133450838
Margarete Schilling mit ihrem Bundesverdienstkreuz, überreicht von Thüringens Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Foto: Ghostwriter123, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=133450838

Ihr lebenslanger Einsatz für die Verbreitung des Wissens um den Glockenguss und um Glocken in allen Formen und Größen ist einzigartig – und kann vielen Menschen Vorbild und Ansporn sein. Sie, liebe Frau Schilling, haben gezeigt, wie man auch gerade als Quereinsteigerin mit viel Courage und starkem Willen einer Sache und seiner Leidenschaft dafür dienen kann.“

Margarete sagte nach der Feierstunde: „Ich widme diese Auszeichnung Apoldas letztem Glockengießermeister, meinem verstorbenen Mann Peter Schilling. Ich widme sie den Glockengießerfamilien Schilling und Ulrich, die jahrhundertelang in Apolda gewirkt haben. Und ich widme sie den tausenden Familien-Unternehmerinnen und Unternehmern, die – so wie wir – 1972 in der DDR enteignet wurden und für die das ein schmerzvoller, tragischer und weitreichender Schicksalsschlag gewesen ist.“

Wie weiter in Apolda?

Anfang Juli 2021 verlängerten Margarete Schilling und ihr Sohn Dietmar Hauser den Leihvertrag mit dem GlockenStadtMuseum Apolda: Nach fast 70 Jahren Leihdauer für 22 Glocken sowie umfangreiches Material rund um Glocken bleiben ihre Leihgaben für weitere 20 Jahre im Museum der Öffentlichkeit zugänglich.

Die frischgebackene Trägerin des Bundesverdienstkreuzes hat alles ihr Mögliche getan, damit Apolda auch künftig der anspruchsvollen Selbstverpflichtung als Glockenstadt Deutschlands gerecht werden kann.
Dem Autor dieser Zeilen sei folgender persönlicher Schluss gestattet: „Liebe Margarete, herzliche Gratulation zu dieser besonderen Auszeichnung – und Chapeau für Deine Lebensleistung!“

Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Margarete_Schilling
https://de.wikipedia.org/wiki/Glockengie%C3%9Ferei_in_Apolda

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