Kirchenbauwerke gehören zu vielen Ortschaften. Sie sind bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke. Die Gotteshäuser haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Diesmal geht es um ein Gotteshaus, das nach Jahrzehnten morbiden Dornröschenschlafs zu neuem Leben als Kulturkirche erweckt wurde – die Kirche Nischwitz bei Wurzen.
Die Kirche zu Nischwitz im Ortsteil Nischwitz von Thallwitz nahe Wurzen im Landkreis Leipzig in Sachsen ist eine evangelisch-lutherische Kirche. Das unter Denkmalschutz stehende, ortsbildprägende Gotteshaus befindet sich inmitten des Orts. 2024 wurde es zur Kulturkirche Nischwitz umgewidmet.
Geschichte und Bauwerk
Eigentümer von Nischwitz war das Erzbistum Magdeburg, der Ort wurde 1114 von Meißens Bischof Herwig dem Stift der Wurzener Domkapelle (Domkirche) zugeteilt und gehörte seitdem zu dessen Herrschaftsbereich. Anfangs gab es eine einfache Kapelle. 1512 folgte der Ausbau zur gotischen Pfarrkirche von Bischof Johann VI., woher die Inschrift am Westgiebel „Epidome asministrationis Johannis de Salhausen vom Jahre 1512“ stammt.
1667 und 1752 gab es umfangreiche Umbauten: nach den Wirren des Glaubenskrieges und im 18. Jahrhundert unter Heinrich von Brühl (1700–1763) die nördlichen Anbauten für die Nischwitzer und Lossaer Gutsherrschaft. Zu jener Zeit hatte das Gotteshaus etwa 235 Sitzplätze.
Im Jahr 1752 erhielt der Kirchturm den barocken, achteckigen Aufsatz (Jahreszahl in der Turmfahne), und Sakristei und Logen entstanden an der Nordseite. 1868 folgten ein neues Gestühl, Taufstein, Kanzel, Lesepult, Altar- u. Kanzelbekleidung überwiegend aus Spenden besonders der Patronatsherrschaft. Aus der Zeit um 1750 stammt das von Stefano Torelli gestaltete, reich verzierte und bemalte Taufbecken mit Haube.
1878 wurde eine Turm-Uhr von Ratsuhrmacher Zacharias aus Leipzig für 750 Mark aus Mitteln des Ärars installiert. Nach 1870 wurde die Kirche neobyzantinisch ausgestaltet, wovon Decke und Teile der Fenstergewände zeugen. 1896 folgte der Abputz der Kirche und des Turmes.

1902 am 23. Mai brannte aufgrund von Blitzschlag in die obere Spitze der Turm bis unter die Laterne nieder. Die Orgel wurde vom Löschwasser stark beschädigt und von Orgelbauer Jehmlich aus Dresden wieder hergerichtet. Ein Jahr darauf stiftete der Kirchenpatron einen eisernen Ofen nach dem gebräuchlich gewordenen Wasseralfinger-System. Gänge und Altarplatz wurden mit bunten Weser- und Sandsteinfliesen belegt.
Bei Restaurierungen in den Jahren wurde der hohe barocke Turmabschluss durch ein niedriges Pyramidendach ersetzt. Der Kirchturm erhielt in Saalbreite Korbbogenfenster, die eingeschossigen Emporen wurden entfernt.
Das im Chor eingemauerte Sakramentshäuschen stammt mindestens vom Anfang des 16. Jahrhunderts, es gibt unregelmäßiges Kreuzgratgewölbe und an der Ostwand eine Sakramentsnische. Im Inneren ist die Kirche flach gedeckt, mit Resten einer neobarocken Ausmalung.
Das Kruzifix ist ein Werk aus dem 16. Jahrhundert. Das Altarbild „Die Verkündung Maria“ ist das Werk eines unbekannten Meisters, gestiftet von Brühl. Über dem Altar strahlt in einer Bekrönung das Gottesauge. Seitlich befinden sich zwei Kindergestalten mit Kreuz und Kelch aus Stuckmarmor.
Von Ferdinand von Ritzenberg kommt das Gemälde „Grablegung Christi“ von Lucas Cranach dem Jüngeren mit den Porträts von Kurfürst August und seiner Gemahlin als „Mutter Anna“. Aus den Mitteln einer Stiftung von Ritzenberg wurde 1896 eine Kopie aus der Dresdner Galerie „Der Kreuztragende Christus“ von Sebastiano del Piombo sowie ein Altarteppich und neue Abendmalgefäße beschafft.

Die Pfarrgebäude im schlechten baulichen Zustand wurden mit Amtsantritt des Pfarrer Knauer abgerissen und im Jahre 1851 neu erbaut.
Jüngere Vergangenheit und Gegenwart
Die Jahrzehnte nach 1945 führten zu erheblichen Bauschäden, die Kirche wurde als Gotteshaus zum dritten Mal aufgegeben: Der barocke Turmaufbau wurde aufgrund von Bauschäden 1970 abgebaut, der Putz erneuert und nach Einrichtung eines würdigen Gemeindesaales der Kirchenraum der kirchlichen Baubrigade überlassen.
Am 10. August 2024 wurde das zuvor baufällige Gotteshaus nach sechs Jahren Bauzeit seiner neuen Bestimmung als Kulturkirche Nischwitz übergeben. Kanzel, Taufstein, Orgel und die restaurierten Altäre wurden neu geweiht, der Innenraum in neobarocker Fassung farblich neu gestaltet. Künftig finden dort auch kulturelle Veranstaltungen und weltliche Bestattungen statt.
Die Finanzen für die Baumaßnahmen betrugen mehr als 1 Million Euro: Ein Drittel davon kam von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, hinzu kamen LEADER-Fördermittel der Europäischen Union sowie ein Eigenanteil.
Orgel
Die erste Orgel von 1801 mit zwei Manualen und elf klingende Stimmen stammte von Orgelbauer Conrad Geißler aus Eilenburg. Der Preis betrug 3.243 Mark, größtenteils finanziert vom Ärar. Eine neue Orgel schuf 1861 Johann Christian Friedrich Flemming aus Torgau. Sie soll 1882 erneuert worden sein.
Geläut
Die Glocken schuf 1741 Martin Heintze. 1866 ermöglichten Spenden der Kirchgemeinde ein neues Geläut: Glockengießer Jauck aus Leipzig goss die alten Glocken zu Fis-Dur um.
Die große Glocke trug die Inschrift „Ehre sei Gott in der Höhe“ mit schwebendem Engel, die mittlere „Selig sind die Todten“ mit Bibel, Kruzifix und Kelch gleich dem Siegel der Kirche, und die Kleine „Lasset die Kindlein“ mit Taube.
Cornelius Gurlitt
Bekanntester Sohn des Ortes ist Cornelius Gustav Gurlitt (1850–1938): Der Architekt und bedeutende Kunsthistoriker dokumentierte sachsenweit mehr als drei Jahrzehnte lang zahlreiche Kirchen und ihre Ausstattung.
Gurlitt war ein Experte, der „noch selbst vor Ort ging, selbst recherchierte, Maße nahm, Skizzen fertigte, Fotos machte. Mit einem Wort: Im Gegensatz zu vielen anderen Kunsthistorikern kannte Cornelius Gurlitt die Bauwerke, die er beschrieben hat“, würdigte ihn der Journalist Wulf Skaun im Jahr 2013.
Nach damaliger Gepflogenheit dürfte Gurlitt wenige Tage nach seiner Geburt in dieser Kirche getauft und Jahre später konfirmiert worden sein.
Koordinaten: 51° 23′ 30,7″ N, 12° 42′ 24,1″ O
Die Kirche Nischwitz auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Kirche_Nischwitz_(Thallwitz)
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Persönliches Nachwort
Mit der Markuskirche Leipzig-Reudnitz (bislang 2.002 Klicks) begann es: Das zur DDR-Zeit gesprengte Gotteshaus war am 10. Oktober 2021 Thema im ersten Beitrag dieser Art.
Daraus erwuchsen – nach mehr als 50 quasi alleinstehenden Beiträgen – der Serien-Name „Sonntagskirche“ wegen des etablierten Erscheinungstages und die Nummerierung ab Folge 56.
In all der Zeit gab es für die meisten Beiträge binnen weniger Tage dreistellige Klickzahlen – was für ein Nischen-Thema wie dieses bemerkenswert ist. Mit dem Beitrag heute ist die Jubiläumszahl 150 erreicht, was mich gleichermaßen überrascht und freut.
Mein erstes Dankeschön geht an die LZ-Redaktion, die mit der Veröffentlichung dieser ehrenamtlichen Gastbeiträge die „Sonntagskirche“ ermöglicht hat!
Mein besonderer Dank gilt den zahlreichen Menschen, die Informationen erfasst, gesammelt und zusammen mit Fotos im Internet zur Verfügung gestellt haben: Der Inhalt der Beiträge beruht überwiegend auf deren Wikipedia-Wissen, dessen Nutzung dem grundlegenden Selbstverständnis dieses Online-Lexikons entspricht.
Ein wenig Statistik: Die fünf meistgelesenen Beiträge der Serie sind zum Zeitpunkt dieser Bilanz (Stand 6.1.2025)
• die einer Brandstiftung zum Opfer gefallene Kirche Großröhrsdorf (Nr. 87) mit 7.362 Klicks,
• die Johanniskirche Leipzig (Nr. 37) mit 6.974 Klicks,
• die St.-Wolfgangs-Kirche Schneeberg (Nr. 92) mit 4.378 Klicks,
• die zweite katholische Trinitatiskirche Leipzig (Nr. 50) mit 3.278 Klicks sowie
• die Garnisonkirche Potsdam (Nr. 75) mit 3.083 Klicks.
Anliegen dieser Serie ist es, dem vielfältigen Themenspektrum der Leipziger Zeitung eine feine, kleine Facette hinzuzufügen. Insgesamt kommen die bisherigen 149 Beiträge auf 159.161 Klicks – das entspricht durchschnittlich 1.068 Klicks pro Beitrag. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass das Anliegen erfüllt worden sein könnte.
Mein sehr herzliches Dankeschön haben daher Sie verdient, liebe Leserin, lieber Leser! Mit Ihrem nachhaltigen Interesse haben Sie diese Serie begleitet – und damit ermöglicht.
Die Serie geht zu Ende – zumindest in ihrer bisherigen, nahezu allsonntäglichen Erscheinungsweise seit Oktober 2021. Es kann sein, dass hin und wieder neue Beiträge folgen.
6. Januar 2025
Holger Zürch
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