Und wie haben Sie die 1990er in Leipzig erlebt? Das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig widmete dieser Frage erstmals eine eigene Ausstellung, ein ganzes Jahr lang. Die Sonderschau „Zwischen Aufbruch und Abwicklung. Die 90er in Leipzig“ samt umfangreichem Begleitprogramm bewegte rund 25.000 Gäste zu einer Sicht auf jene umbruchsvolle Zeit.

Kaum ein Thema ist heute so kontrovers und aktuell wie die Transformation der 1990er Jahre. Leipzig durchlebte nach dem Freiheitsaufbruch von 1989 eine lange und intensive Umbruchphase, die je nach Herkunft, sozialer Stellung und Generationszugehörigkeit als Aufbruch oder Abwicklung erlebt wurde.

Diesen verschiedenen Sichten Raum zu geben und anhand von originalen Objekten, Zeitzeugenberichten, Filmdokumenten und Bildwelten das farbige Mosaik eines aufregenden Jahrzehnts zu veranschaulichen, war für das stadtgeschichtliche Museum eine herausfordernde Verpflichtung, die zugleich einen Beitrag zur demokratischen Selbstverständigung der Stadtgesellschaft leistete.

„Diese Ausstellung kam für uns als Museum und für die Stadt Leipzig zur absolut richtigen Zeit. Der große Publikumszuspruch und die überwältigende Fülle der Meinungsäußerungen in den Veranstaltungen und Dialogebenen der Ausstellung zeigt, dass es richtig, wichtig und für die Stadtgesellschaft auch heilsam war, die Hoffnungen, Brüche und Verwundungen dieser heftigen Transformationsperiode nochmals vorurteilsfrei anzugehen und dabei bewusst auch konträre Positionen zuzulassen.

Diese Jahre haben das gegenwärtige Leipzig geprägt und sie sind noch heute in den Menschen, Strukturen und dem Erscheinungsbild der Stadt so stark präsent, dass wir wichtige Objekte und Erträge der Sonderschau jetzt auch in die Dauerausstellung im Alten Rathaus übernehmen wollen. Diesen bürgernahen Weg einer multiperspektivischen Erinnerungsarbeit werden wir auch generell entschlossen weitergehen“, sagt Dr. Anselm Hartinger, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig.

Die Ausstellung spannte mit etwa 400 historischen Zeugnissen den Bogen von der Friedlichen Revolution bis ans Ende der 1990er Jahre in Leipzig. In der sogenannten Wechselvitrine wurden über den Ausstellungszeitraum insgesamt acht Geschichten von Leipziger Vereinen, Initiativen und Privatpersonen vorgestellt. Zur Sonderausstellung ist zudem das gleichnamige Buch erschienen und für 15 Euro an der Ticketkasse des Museums erhältlich.

Der „Freiraum“ – das offene Forum der Ausstellung lud ein, sich mit aktuellen Sichtweisen auf die 1990er auseinanderzusetzen. Veranstaltungen, darunter zahlreiche 1990er-Talks, eine Filmreihe, Dialog-Donnerstage und On-Tour- sowie Outreach-Angebote zählten knapp 3.500 Gäste. Möglich wurde dies durch das Engagement zahlreicher Unterstützerinnen und Partner, auch dank der Förderung der Ostdeutschen Sparkassenstiftung gemeinsam mit der Sparkasse Leipzig und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

„Rückblickend war die Ausstellung mit dem Freiraumangebot hinsichtlich der Rückkopplung an die Stadtgesellschaft ein großer Erfolg. Mit über 50 Veranstaltungen haben wir eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Menschen aus Leipzig und weit darüber hinaus erreicht, darunter viele, die das Museum vor der Ausstellung noch nicht besucht hatten“, erklärt Annemarie Riemer, Bildung und Vermittlung des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig.

„Vielen Perspektiven und Geschichten wurde hier Raum gegeben. Wir hoffen, dass diesem Schritt hin zu einem offeneren Museum, das sich nicht davor scheut, über historische Themen auch kontroverse und aktuelle Debatten der Stadtgesellschaft anzupacken, viele weitere auf diesem wichtigen Weg folgen werden.“

Die nächste große Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum wird am 1. Oktober eröffnet. Sie heißt „Unser Sandmännchen in Leipzig“ und widmet sich der beliebten Kultfigur aus dem Fernsehen.

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