Am Abend des 26. November kam es in der Leipziger Ratsversammlung noch einmal zu einer Grundsatzdebatte über die Friedliche Revolution. Ganz bestimmt nicht die letzte dieser Art, auch wenn es eigentlich nur um das Anliegen ging, die Stiftung Friedliche Revolution nach 16 Jahren Arbeit endlich in eine institutionelle Förderung der Stadt zu übernehmen. Natürlich geht es da eigentlich ums Geld und die Frage, wo das Geld herkommt. In diesem Fall, also: aus der Kulturförderung oder der Demokratieförderung.

Nur irgendwie ging es dann in der Debatte doch wieder um andere Dinge. Zum Beispiel um die Frage, wie eigentlich in Leipzig an die Friedliche Revolution erinnert werden soll und welche Perspektive fehlt. Obwohl die Stiftung Friedliche Revolution längst ein breites Spektrum der Erinnerung abdeckt – bis hin zu einer erfolgreichen Stadtführung nach dem Kinderbuch „Fritzi war dabei“.

Mit dem nach dem Buch gestalteten Stadtrundgang wurden die Orte der Friedliche Revolution für alle Teilnehmer der Führung erlebbar.

Inzwischen ist das Buch nicht nur verfilmt, der Film hat auch noch einen Emmy gewonnen. Und so machten sowohl SPD-Stadträtin Pia Heine als auch Grüne-Stadträtin Katharina Krefft am Beispiel „Fritzi“ deutlich, wie die Arbeit der Stiftung in die Öffentlichkeit hinein wirkt. Und zwar erfolgreich.

Pia Heine.
Pia Heine (SPD) im Leipziger Stadtrat am 26.11.2025. Foto: Jan Kaefer

Emmy-Auszeichnung für „Auf Fritzis Spuren – Wie war das so in der DDR?“

Zum ersten Mal wurde eine deutsche Kinderserie mit einem der begehrten Emmys ausgezeichnet. Die sechsteilige Produktion von MDR, WDR und Balance-Film erzählt von dem Leipziger Mädchen Fritzi, die im Herbst 1989 die Wende miterlebt, und verwebt ihre fiktive Geschichte mit dokumentarischen Berichten und Zeitzeugen-Interviews. Die Produktion basiert auf dem bei Klett Kinderbuch im Jahr 2009 erstmals erschienenen Kinderbuch „Fritzi war dabei“ von Hanna Schott mit Bildern von Gerda Raidt.

„Fritzi war dabei“ ist mit über 38.000 verkauften Exemplaren einer der Longseller des Verlags, erhältlich auch als Taschenbuch und vielfach Schullektüre. In Leipzig wurde ein zeithistorischer Stadtrundgang auf Fritzis Spuren vom Theater der Jungen Welt und der Stiftung Friedliche Revolution inszeniert. Auch die Verfilmung des Buches sowie die nachfolgende Kika-Serie „Fritzi und Sophie“ wurden vielfach preisgekrönt.

Die Idee zum Buch kam der Verlegerin Monika Osberghaus, als sie einmal mit ihrem kleinen Sohn durch Leipzigs Straßen ging und mit ihm über Autokennzeichen sprach – denn das „L“ kannte man auch aus den alten Bundesländern. Der Erstklässler, der gerade frisch aus dem Westen kam, wurde so neugierig auf seine neue Stadt und deren Wende-Geschichte, dass klar war: Darüber muss es ein Buch für Kinder im Grundschulalter geben!

Streit um Erinnerungsperspektiven

Aber es gibt immer Leute, denen genügt das breite Erinnerungsspektrum nicht. So wie BSW-Stadtrat Thomas Kachel, der in der Arbeit der Stiftung Friedliche Revolution nun ausgerechnet die Erinnerungsperspektive der Ostdeutschen vermisste, die sich – wie er sagte – im Schwarz/Weiß der bundesdeutschen Erinnerung nicht wiederfinden. Sich also weder als Täter, noch als Opfer empfinden.

Herr Thomas Kachel (BSW) im Leipziger Stadtrat am 26.11.2025. Foto: Jan Kaefer
Thomas Kachel (BSW) im Leipziger Stadtrat am 26.11.2025. Foto: Jan Kaefer

Klar: Die gibt es. Revolutionen werden immer von einer Minderheit getragen. Das war auch in der Friedlichen Revolution so. Tatsächlich ging es Kachel auch gar nicht darum. Denn immer wieder betonte er, es solle doch bitteschön das Buch „Beyond the Wall“ von Katja Hoyer wahrgenommen und die Autorin auch eingeladen werden.

Nur: Was Katja Hoyer in ihrem Buch gemacht hat, ist eher ein sehr einseitiger Beitrag zur Geschichte der DDR, auch wenn er die DDR aus der Perspektive der „normalen“ Leute zeichnet.

Sehr einseitig, wie auch der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk anmerkte: „Von SED über Mauer bis politische Indoktrination fehlt praktisch alles, was ihren Erzählfluss vom kuscheligen Leben stören würde. Dieses Buch ist aus wissenschaftlicher Sicht unmöglich. Gleichwohl bedient es eine Lücke. Wir haben es bisher alle in der Öffentlichkeit nicht geschafft, Gesellschaftsbilder über die DDR tragfähig zu machen, in denen sich viele Menschen wiederfinden. Die meisten fühlen sich ausgeschlossen von historischen Debatten über die DDR. Das ist ein Problem und die Begründung, warum diese populistischen Bücher so einen Erfolg haben.“

Es ist also eine Aufgabe der Geschichtswissenschaft, die unterschiedlichen Perspektiven mit Blick auf die DDR zu erkunden. Denn es stimmt ja: Auch wenn sich Menschen nicht als Bürgerrechtler oder gar Revolutionäre betätigen, bleiben sie Subjekt der Geschichte und prägen Politik. Die gesamte ostdeutsche Geschichte nach 1990 ist ja ohne diese so gern als „schweigende Mehrheit“ bezeichnete Bevölkerungsgruppe nicht denkbar.

Eine Aufgabe für die Geschichtswissenschaft

Aber CDU-Stadtrat Michael Weickert, der sich bis heute glücklich schätzt, gerade im Oktober 1989 geboren zu sein, betonte berechtigterweise: „Wir leben heute alle in der Bundesrepublik.“

Das heißt nun einmal auch: Wie unsere Gesellschaft heute ist, das beeinflussen alle. Die, die sich in der Friedlichen Revolution engagiert haben, die, die damals auf der Seite des grimmigen Staatsapparates standen und mit Kerzen und Gebeten nichts anfangen konnten, aber auch alle, die die Geschichte nur über sich ergehen ließen.

Deswegen hat Ilko-Sascha Kowalczuk recht, dass auch die Perspektiven der Menschen sichtbar gemacht werden müssen, die sich in den Erzählungen über 1989 nicht wiederfinden. Aber das ist die Arbeit von Historikern und Soziologen. Da geht es überhaupt um ein Verständnis dafür, warum sich so viele Ostdeutsche in den Erzählungen über die DDR nicht wiederfinden. Aber das ist nicht die Aufgabe der Stiftung Friedliche Revolution.

Diese hat vor allem die Aufgabe, die Erinnerung an die Friedliche Revolution in Leipzig lebendig zu erhalten.

Oder mit den Worten aus der Vorlage des Kulturdezernats: „Die Stadt Leipzig versteht die Friedliche Revolution als zentralen Bestandteil ihrer Erinnerungskultur, den sie differenziert und vielperspektivisch reflektiert. Die Stiftung Friedliche Revolution (im Folgenden SFR) ist dabei ein bedeutender zivilgesellschaftlicher Akteur, der sich seit 15 Jahren für die Bewahrung der Werte der Revolution engagiert – etwa durch Projekte wie die „Revolutionale“, den Filmpreis „Leipziger Ring“ im Rahmen von DOK Leipzig oder die Begleitung des Prozesses zur Errichtung des Freiheits- und Einheitsdenkmals.

Als maßgebliche Zustifterin trägt die Stadt Leipzig eine besondere Verantwortung für das Fortbestehen und die Weiterentwicklung der SFR, deren Arbeit für eine nachhaltige Fortführung auf eine dauerhafte institutionelle Förderung angewiesen ist.“

Denn zur Wahrheit gehört auch: In der deutschen Geschichtsdebatte spielt der „Mauerfall“ vom 3. November 1989 die zentrale Rolle, nicht die Friedliche Revolution.

Aus welchem Topf kommt das Geld?

Worum ging es also in der Vorlage wirklich?

„Um die Wirkung und den Fortbestand der Stiftung zu sichern, ist eine institutionelle Förderung in Höhe von jährlich 98.000 € notwendig. Mit der beantragten Förderung trägt die Stadt Leipzig der seit ihrer Gründung 2009 nachgewiesenen Bedeutung der Stiftung Rechnung und fördert nachhaltig die Vermittlung demokratischer Werte und die Erinnerung an die Friedliche Revolution. Damit wird ein Ergebnis der 2024 durchgeführten ‚Evaluierung der Institutionen und Maßnahmen zur Erinnerung an die Friedliche Revolution vom Herbst 1989 in Leipzig (2014–2023)‘ aufgegriffen.“

Frau Vicki Felthaus (Bündnis 90/Die Grünen), Beigeordnete für Jugend, Schule und Demokratie, im Leipziger Stadtrat am 26.11.2025. Foto: Jan Kaefer
Vicki Felthaus (Bündnis 90/Die Grünen), Beigeordnete für Jugend, Schule und Demokratie, im Leipziger Stadtrat am 26.11.2025. Foto: Jan Kaefer

Die CDU-Fraktion fand nun freilich, dass die Förderung für die Stiftung Friedliche Revolution nicht aus dem Kulturtopf der Stadt kommen sollte, sondern durch das Referat Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt aufgebracht werden sollten. Die im Referat Strategische Kulturpolitik dann frei werdenden Gelder sollten dafür in die Basisförderung für die Freie Szene fließen. Ein für die CDU-Fraktion durchaus auffälliger Schwenk, auch wenn Michael Weickert betonte, die CDU-Fraktion habe sehr wohl ein Herz für die Freie Szene.

Das Problem ist nur: Den Antrag auf institutionelle Förderung hat die Stiftung Friedliche Revolution im Kulturdezernat gestellt. Im Referat Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt liegt gar kein Antrag vor. Und das Geld ist dort eigentlich auch nicht vorhanden, wie die zuständige Bürgermeisterin Vicki Felthaus erklärte.

Insgesamt stehen dort nur 100.000 Euro für institutionelle Förderung bereit, von denen 60.000 Euro schon dem Erich-Zeigner-Haus e.V. zugeschrieben sind. Blieben nur noch 40.000 Euro, die der Stiftung Friedliche Revolution nicht wirklich helfen würden.

Die Grünen-Fraktion hatte dann noch einen Änderungsantrag geschrieben, der den CDU-Antrag konkretisierte und von Michael Weickert für die CDU-Fraktion auch übernommen wurde. Doch am 26. November entschied sich Grünen-Stadträtin Katharina Krefft dafür, dann doch die stimmigere Vorlage der Stadt zu befürworten. Der Grünen-Antrag wurde damit regelrecht zum Antrag der CDU-Fraktion, wurde aber Punkt für Punkt von der Ratsmehrheit abgelehnt.

Blieb an Ende die Vorlage, die die Stiftung Friedliche Revolution in die institutionelle Förderung des Kulturdezernats übernimmt – und zwar bis 2030: „Die Stadt Leipzig gewährt der Stiftung Friedliche Revolution (SFR) ab dem Jahr 2026 eine institutionelle Förderung in Höhe von jährlich 98.000 €. Die Förderung ist zunächst bis zum Haushaltsjahr 2030 zeitlich befristet.“

Diese Vorlage bekam mit 33:28 Stimmen dann auch die nötige Mehrheit, sodass die Arbeit der Stiftung für fünf Jahre gesichert ist.

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