Seinen 95. Geburtstag im Juni hat er noch erlebt. Am Montagmorgen, dem 13. Oktober, ist Friedrich Magirius gestorben. Auch wenn es in den letzten Jahren still geworden ist um den Mann, der 2022 Ehrenbürger der Stadt wurde: Vergessen war er nicht. Denn er gehörte zu den prägenden Gestalten der Friedlichen Revolution in Leipzig.

Damals war er Superintendent in Leipzig-Ost und – gemeinsam mit dem 2014 verstorbenen Christian Führer – Pfarrer an der Nikolaikirche. Und damit geradezu in einer prädestinierten Funktion als Vermittler zwischen den alten Machthabern und den jungen Revolutionären. Nicht ahnend, dass er so nach einer langen kirchlichen Laufbahn auch noch in die Politik geraten könnte.

Das geschah schon bald. Denn da ihn beide Seiten respektierten, war er der richtige Mann, der dann ab Januar 1990 zum Leiter der Runden Tische wurden, die im Neuen Rathaus tagten.

In seinem 2017 im Mitteldeutschen Verlag erschienenen Erinnerungsbuch „Gelebte Versöhnung“ formulierte er es so: „Schließlich wurde die Bitte an mich herangetragen, ab Januar die Moderation dieses Runden Tisches der Stadt Leipzig zu übernehmen. Die Idee kam von den Bürgerrechtlern, die sich mit den früheren Genossen auf mich geeinigt hatten. Mir wurde bedeutet, dass ich als jemand geschätzt werde, der zuhören kann und zu vermitteln versucht. Mir wuchs eine Aufgabe zu, die ich mir selbst nie gesucht hätte.“

Doch er meisterte die Aufgabe. Denn genau diese Eigenschaften waren es, die den Runden Tisch funktionieren ließen, die den geordneten Übergang der Stadtverwaltung überhaupt erst möglich machten. Interessen ausgleichen, konträre Positionen zu einer Lösung führen. Sorgsam, zugewandt. Auf einmal war ein Mann gefragt, der sich nicht so gern nach vorne drängte. Ein Vermittler eben, als der sich Magirius ein Leben lang verstand.

Keiner, der stürmt und drängt

„Denn ich bin ja keiner, der stürmt und drängt“, schrieb er. „Aber wo die Herausforderung am größten ist, wollte ich gern dabei sein.“

Vermitteln war auch vorher schon sein Metier gewesen, engagierte er sich als Pfarrer in Dresden für die Aktion Sühnezeichen, was ihm in Polen große Anerkennung verschaffte. Ab 1982 wirkte er als Superintendent an der Nikolaikirche, wusste also, wie man mit den Mächtigen umging. Das Gespräch offen hielt, selbst wenn die Konflikte nicht lösbar schienen.

Und dass der Runde Tisch bald ganz andere Aufgaben zu bewältigen hatte, wurde ja schon nach den ersten Sitzungen des deutlich, nachdem Oberbürgermeister Bernd Seidel zurückgetreten war und auch gleich noch die erst im Mai gewählte neue Stadtverordnetenversammlung geschlossen zurücktrat. Das waren ja bekannterweise die gefälschten Wahlen gewesen, welche die Ereignisse des Jahres 1989 erst so richtig ins Rollen gebracht hatten.

„Wir standen vor einem Berg von Problemen, die wir praktisch lösen mussten: Wasserwirtschaft und Stadtreinigung, die Fortführung der Kliniken, die Neuordnung des Schulwesens, die Entstehung neuer Wirtschaftsstrukturen, die Messe und schließlich die Abwicklung der Stasi.“

Letztlich fungierte der Runde Tisch bis zu den Kommunalwahlen im Mai 1990 als eine provisorische Stadtverwaltung, gründete extra 24 Kommissionen, die über die Geschehnisse in der Verwaltung berichteten.

„Die Aufgabe am Runden Tisch der Stadt Leipzig nahm mich so in Anspruch, dass ich weder Zeit noch Gelegenheit hatte, mir Gedanken über die nächsten Schritte in meinem Leben zu machen.“

Tatsächlich hatte er in der Zeit zwei Jobs, denn seine Arbeit als Superintendent lief ja weiter. Und dann sollte er auch noch in die Politik: „Tatsächlich drängte man mich in die Kommunalpolitik. Am Runden Tisch wurde ich von mehreren Beteiligten bekniet, für die anstehenden kommunalen Wahlen zu kandidieren.“

Friedrich Magirius während einer Gedenkansprache im November 2024. Foto: Jan Kaefer
Friedrich Magirius während einer Gedenkansprache im November 2024. Foto: Jan Kaefer

Erster und letzter Stadtpräsident

Tatsächlich war es am Ende Hinrich Lehmann-Grube, der aus Leipzigs Partnerstadt Hannover nach Leipzig gekommen war, der ihn bestärkte darin, für den Stadtrat zu kandidieren. „Mein Bischof, der mich nach Leipzig geholt hatte, schrieb mir in einem Brief, dass er über meine Entscheidung, in die Politik zu gegen, sehr unglücklich sei.“

Tatsächlich amtierte Magirius bis zu seiner Emeritierung 1995 weiter als Superintendent. Zur Wahl am 6. Mai 1990 trat er als unabhängiger Kandidat –„Liste 25 Magirius“ – an und wurde gewählt. Und er wurde nicht nur einfacher Stadtrat. Denn am 30. Mai wählte ihn der 128-köpfige Stadtrat dann zum ersten und einzigen Stadtpräsidenten. „Die große Mehrheit war der Meinung, ich sollte die Erfahrung der Leitung des Runden Tisches in die neue Aufgabe einbringen. Ich nahm die Wahl an.“

Bis 1994 bekleidete er dieses Amt, unterstützte damit den zum neuen OBM gewählten Hinrich Lehmann-Grube bei der Neujustierung der Stadtverwaltung. Und ging dann 1995 tatsächlich in den Ruhestand. Die Arbeit als Stadtpräsident in diesen frühen 1990er Jahren hatte es in sich: „Als Stadtpräsident von Leipzig trug ich nun in besonders herausgehobener Position politische Verantwortung für die Stadt, die am Boden lag. Die wirtschaftliche Situation war desolat. Die Stadtkassen waren leer. Viele Häuser verrotteten vor sich hin. Die Menschen waren überfordert von dem ihnen übergestülpten neuen System. Oft konnten wir nur improvisieren.“

Manchmal sollte man sich einfach wieder an diese Jahre des Neubeginns erinnern. Dass sein Amt als Stadtpräsident 1994 endete, hat mit der damals verabschiedeten neuen sächsischen Gemeindeordnung zu tun, welche die Doppelspitze OBM/Stadtpräsident abschaffte. Seitdem hat allein der Oberbürgermeister den Vorsitz in der Stadtverordnetenversammlung.

In den Folgejahren wurde es nach und nach stiller um ihn. Auch wenn sein Wirken nicht vergessen war. 2005 bekam er die Ehrenbürgerwürde von Leipzigs Partnerstadt Krakow verliehen, im selben Jahr die Ehrenmedaille der Stadt Leipzig. Der Stadtschülerrat, an dessen Gründung er beteiligt war, kürte ihn zum Ehrenmitglied. Und 2022 verlieh ihm dann der Stadtrat die Ehrenbürgerwürde der Stadt Leipzig. Einem großen Versöhner, als der er sich selbst immer sah.

Am 13. Oktober ist er nach einem mehrtägigen Krankenhausaufenthalt friedlich eingeschlafen.

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Es wurde ggf. medial um ihn still. Ansonsten hat er noch immer regelmäßig Gottesdienste gehalten und auch an Heilig Abend in Nikolai im Nachtgottesdienst mitgewirkt.

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