Der erste in Saudi-Arabien gedrehte Film einer Frau überrascht mit Gelassenheit und kindlichen Augen für die Problematik, die er anspricht. In der Hauptrolle ein Mädchen, das keine großen Reden über die Unterdrückung der Frau hält und nicht von Freiheit oder dergleichen spricht, sondern einfach nur ein Fahrrad haben möchte. Doch da gibt es ein Problem: Mädchen und Frauen dürfen in Saudi-Arabien weder Auto noch Fahrrad fahren.

Haifa Al Mansour, der Regisseurin des Filmes, geht es um mehr als formale Quoten, ‘Slut Walks’ oder andere ‘revolutionäre’ Frauenbewegungen. Ihre Sicht auf die für uns teilweise nicht vorstellbaren Traditionen Saudi-Arabiens ist weiblich, nicht feministisch, kindlich und nicht aufklärerisch. Sie erzählt die Geschichte eines Mädchens, welches sich kurz vor oder am Anfang der Pubertät befindet und ebenso vor Energie strotzt wie ihre männlichen Freunde. Besonders dem Nachbarsjungen Abdull möchte sie es beweisen. Sie will mit ihm ein Wettrennen machen, doch dafür fehlt ihr das Fahrrad.

Es scheint, als wüsste sie gar nicht, dass es ihr nicht erlaubt ist, ein Fahrrad zu besitzen, als würde sie in einer anderen Welt leben. Also beschließt sie, irgendwie Geld zu besorgen. Zuerst verkauft sie Armbändchen auf dem Schulhof. Doch als das auffliegt, muss sie am hochdotierten Koran-Reziationswettbewerb teilnehmen – und gewinnt auch. Doch Wadjda macht einen Fehler, nein, das stimmt nicht, sie macht das einzig Richtige: Sie lügt nicht, sie ist ehrlich ohne darüber nachgedacht zu haben. Sie erzählt bei der Verleihung des Preises allen, was sie mit dem Geld vorhat.

Sie stellt sich, steht zu ihrem Wunsch und handelt nicht hinter dem Rücken der Gesellschaft. Wem würde das auch nutzen außer ihr? Sie handelt also individuell viel moralischer als die, die ihr nun das Preisgeld vorenthalten und es nach Palästina spenden. Wadjda ist in ihrem kindlichen Sein mutig, geht nicht konform und hat doch immer auch die Anderen im Blick. Anders als die starren Erwachsenen, die nur Sicherheit und die eine Moral kennen.

Haifa Al Mansour hat zusammen mit den beiden Produzenten Roman Paul und Gerhard Meixner von Razor Film einen Film entworfen, der vielleicht nicht die gewohnte Kinoqualität erreicht, aber anders blicken lässt. Zum großen Teil waren die Dreharbeiten in Saudi-Arabien verboten, gehindert hat das Haifa Al Mansour nicht, vor Ort zu filmen. Mit engagierten Schauspielern und Kindern, die wie Kinder wirken, weil sie keine großen Castings hinter sich hatten. Umso größer ist der Verdienst der Regisseurin. Weil sie konsequent geblieben ist ohne große Anprangerung und Aufmerksamkeitsgelüste a la ‘Pussy Riot’. Weil sie gesellschaftliche Veränderung will, keine individuelle.

Was ein westlicher Europäer von dem Film hat? Auf jeden Fall eine ganz andere, intimere Sicht auf die Verhältnisse in Saudi-Arabien. In gut 90 Minuten schafft es der Kinofilm, viel von dem reichen Land zu erzählen. Doch müssen wir überhaupt eine Sicht darauf haben? Nein, trotzdem haben die Meisten immer eine Meinung zum arabischen Raum. Und Besitzstreben, Unverständnis zwischen den Geschlechtern findet auch hier statt. Dass Kinder im Zentrum der Geschichte stehen, macht umso deutlicher, wie sehr uns der Wille zum Wachstum des oder der Anderen fehlen. Oder haben wir die Gleichberechtigung mit “/”, “_”, “-” schon erreicht? Ausgerechnet ein kleines Mädchen aus Saudi-Arabien kann uns dazu sehr viel sagen.

Saudi-Arabien/Deutschland 2012, R: Haifaa Al Mansour, D: Waad Mohammed, Reem Abdullah, Abdullrahman Al Gohani, Ahd, Sultan Al Assaf, 97 Min, FSK 0.

Am heutigen Montag, 2. September, um 20 Uhr feiert der Film Premiere in den Passage Kinos. (Offizieller Filmstart ist der 5. September). An an diesem Abend sind die beiden Produzenten des Films, Gerhard Meixnerv und Roman Paul, sowie den Kameramann Lutz Reitemeier zu Gast, die nach der Vorstellung die Fragen der Zuschauer beantworten werden. Alle Premierenbesucher sind anschließend herzlich zu einem Glas Sekt im Innenhof der Passage Kinos eingeladen.

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