Ein wenig experimentell und noch etwas suchend klang es 2012 noch, als "The Fuck Hornisschen Orchestra" die erste Scheibe veröffentlichte: "Hoffnung 3000". Es war wie ein Herantasten an den eigenen Ton. Denn an der Bandbreite des Stils hat es Christian Meyer und Julius Fischer auch damals nicht gefehlt. Vielleicht mussten beide auch nur ein bisschen älter werden. "Männer über 30" eben.

Diesen Aspekt des männlichen Lebens nimmt dann zwar der Song “Alles muss, nichts kann” freud- und leidensvoll auf die Schippe. Immerhin wird Mann ja spätestens mit diesem Alter zum begehrten Objekt der deutschen Gesundheitsindustrie und die Panik, die einer dann erlebt, wenn er nachts aufschreckt, ist eine auf breiter Front geschĂĽrte: Hat man sich rechtzeitig getunt? Hat man gegen die ganzen Katastrophen des körperlichen Verfalls vorgesorgt? Hat man sich um die Altersvorsorge gekĂĽmmert? Oder hat man sich in Form gehalten fĂĽr die wilden Partys da drauĂźen, zu denen die Altersgefährten noch rennen, als bräuchten sie die tägliche VerjĂĽngungsbadewanne?

Man muss nicht bis zu diesem achten Lied auf der Scheibe warten, um mit aller innigen Freude zu merken, dass die beiden sich in ihrer Suche nicht haben irritieren lassen. Sie sind gesetzter geworden, nicht mehr ganz so atemlos und aufgeregt. Die Welt hat sich nicht geändert. Die Ärgernisse, über die sich die beiden zuvor noch eher leichthüftig und verspielt lustig gemacht hatten, sind nicht verschwunden. Nur sieht man sie deutlicher, wenn man so älter wird und das Land irgendwie immer noch im Lustig-lustig-Modus der Nuller Jahre zurückzubleiben scheint. Durchtränkt von Kommerz, Gier und einer Comedy-Mentalität, die Abend für Abend die Sender füllt und tatsächlich genau mit den Ressentiments spielt, die sich montags in Dresden und zu Silvester in Köln austoben: gepflegtem Rassismus, aufgesetztem Machotum und Sexismus.

Comedians erwarten nichts von ihrem Publikum. Sie leben vom gemeinsam gefĂĽhlten Vorurteil, uralten, abgestandenen Witzen. Eigentlich sind sie die Volksmusik des deutschen Humors.

Ein Riss geht durchs Land. Oder gibt es längst zwei, drei Deutschländer, die nichts mehr miteinander zu tun haben? Eines, das gebildet, weltoffen und neugierig ist. Eines, das so tut, als sei es fleißig, zuverlässig und vertrauenswürdig. Und dann das dritte, das sich immer lauter zu Wort meldet und allen anderen jetzt seine Werte, Kultur, Leitkultur aufzuzwingen versucht. Als hätte es 25 Jahre geschlafen und fühle sich jetzt genötigt, allen zu zeigen, wie piefig, humorlos und fremdenfeindlich es eigentlich ist?

Man kommt ja nicht drumherum um das Thema, erst recht, wenn man sich wie Meyer und Fischer sehr aufmerksam und liebevoll mit den Ereignissen der Zeit beschäftigt (man denke nur an Fischers ganz spezielles Verhältnis zu Katzen). Den Comedian, der seinen Erfolg daraus zieht, das Publikum in seinen ĂĽbelsten Ressentiments zu bestärken, hatten wir ja schon (Titel Nr. 5: “Karma Comedian”). Die Abzockermentalität einer Gesellschaft, die erst mal alle mit einer fetten Kostennote behängt, nehmen sie in Nr. 2 “Geld” auf die Schippe. Quasi in Bankräuber-Manier, die erstaunlicherweise irgendwie an die Manieren von Krankenkassen, Versicherungen, Banken und RundfunkgebĂĽhreneinzugszentralen erinnert: Geld her, ihr braucht es doch gar nicht! Und dann: ab in den Kamin damit. Richtig zur Kasse gebeten werden fĂĽr Leistungen, die man nie bekommt. Auch das ist Deutschland.

Herzlich willkommen. Oder lieber nicht. Wer will, kann vorspulen zu Titel Nr. 13: “Willkommen”. Da erklären die beiden munteren Burschen, worauf sich all die UnglĂĽcklichen einlassen, die dieser Tage versuchen, in das ach so freundliche Deutschland zu kommen. Denn irgendwie scheint ihnen niemand verraten zu haben, was fĂĽr eine beleidigte Horde jammernder und pöbelnder Einheimischer hier auf sie wartet, die ja die ganze Zeit schon geĂĽbt hat, wie man mit Fremden umgeht. Und wie schnell man in den deutschen Provinz-Kaffen zum Fremden wird, das haben die meisten BĂĽhnenautoren alle mal erlebt. Denn die Verlierer fĂĽhlen sich ja nicht mehr wirklich als Verlierer. Sie glauben tatsächlich, die Inkarnation der deutschen Seele zu sein.

Und wären sie nur in ihren Nestern, wäre das vielleicht noch auszuhalten. – Aber sie sind ja auch so tief beleidigt, weil all die Dinge verschwinden, ĂĽber die sie ihr treudeutsches Weltbild immer definiert haben. Der Schlager zum Beispiel, dieses ganz spezielle deutsche Liedgut, das anderswo kein Schwein hinterm Ofen hervorlockt, diese sentimentale Suppe, ĂĽber die Meyer und Fischer ein schönes Lied zu singen wissen: “Schlager”. Und das Schöne ist: Sie tun es abgeklärt. Sie brauchen die Lacher nicht mehr. Ihre Lieder sind wie kluge, blinzelnde Analysen eines eigentlich verrĂĽckten Zustands, mit Wonne gesungen. Und eigentlich wären sie in einem anderen Land in einer anderen Zeit hitverdächtig. Der Humor holt die Hörer nicht ab, wo sie sich mal vor 33 Jahren hinverlaufen haben. Im Gegenteil. Die beiden wissen, dass die heutigen, scheinbar unĂĽberschaubaren Zustände, alle aus durchaus ĂĽberschaubaren Entwicklungen resultieren. Gerade in Sachsen, das vor 25 Jahren eine seltsame Kurve hingelegt hat, zurĂĽck in eine Provinzialität, die es zuvor nicht gegeben hat. Dass sich hier Nazis einrichten konnten und sich augenscheinlich schweinewohl fĂĽhlen, hat ja mit dieser irgendwie im fernen Bayern abgeguckten Provinzmentalität zu tun, diesem völlig verfrĂĽhten “Mir san mir”, das im Werbesprech der Staatskanzlei “So geht sächsisch” lautet.

Deswegen wird das Lied “Sachsen” nicht wirklich zu einem Heimatschunkler, sondern zu einer zwar augenzwinkernden aber sehr deutlichen Kritik an eher befremdenden sächsischen Zuständen. Die aufgetĂĽnchte Weltoffenheit passt nicht recht zum so gern gepflegten Kleingeist. Was dann wieder mit den Palmen zu tun hat, die man nicht nur auf dem Cover nicht findet. Denn eigentlich ist das ein herrlich hingeschunkeltes Lied fĂĽr die sächsischen WutbĂĽrger, all die Leute, die jetzt wieder ganz ohne Scham öffentlich auf die Palme gehen.

Man sieht sie regelrecht vor sich, wie sie vor Einem Stehen und ihnen “die Hutschnur platzt”, der Kragen oder die Geduld. Wie sie jetzt mal sagen mĂĽssen, wie all das sie anpiept, was da ĂĽber sie kommt, wo sie sich doch ihre Kleingartenruhe die ganze Zeit mit Bravsein und gepflegter Renitenz verdient haben.

Ist das nun also eine Scheibe voller politischer Lieder?

Nicht die Bohne. Auch wenn die beiden Musikusse sich extra fĂĽrs Foto bayrische Trachtenjacken angezogen haben, diese VerkleidungsstĂĽcke, die bei einigen Leuten ja politische Botschaft sind und bei anderen die mitgebrachte “Gemiedlichkeit” tarnen sollen. Die aber auch immer wieder frappieren, wenn man merkt, dass sie eigentlich fĂĽr ein anderes, seltsam konstruiertes HeimatgefĂĽhl stehen, genauso importiert wie der Rest des neueren kĂĽnstlichen Selbstverständnisses. Und wer da zufällig mal zum Studieren nach Sachsen kam (es gibt auch ein schön boshaftes Lied ĂĽber Studenten), der steht irgendwann, wenn er sich wirklich mal mit diesem Ländchen, das sich am Rande von Deutschland versteckt, dem polterigen Phänomen einer Heimatpflege gegenĂĽber, die ĂĽberhaupt nichts mit dem Leben in den groĂźen Städten oder dem der jungen Leute zu tun hat (mal von Aileen abgesehen, fĂĽr die es diesmal den Song “Der Verlierer” gibt).

WĂĽrde man nicht zu Recht vermuten, dass es in anderen deutschen Provinzen genauso aussieht und der Kleingeist sich dort nicht ebenso als politische Laubenpieperei austobte, wĂĽrde man ja vermuten, das sei mal eine CD ganz und gar fĂĽr die Kleingartensparte Sachsen. Aber wahrscheinlich werden sich die eher jungen Zuhörer in den Konzerten von “The Fuck Hornisschen Orchestra” auch in Hessen, Brandenburg oder Schleswig genauso wiedererkennen, aufgetaucht aus den bunten Nebeln einer Jugendkultur, von der man erst hinterher merkt, dass sie eigentlich auch nur eine verordnete Konsumkultur war. Inhalt: Null. Nicht nur der deutsche Schlager mit seiner entleerten Langeweile bekommt sein Fett weg, auch sein Nachfolger: der Techno. Oja, Techno können die beiden auch. Wer einfach eine Scheibe mit Musik haben will, zu der man ganz von allein ins Tanzen, Kopfwiegen, Mitsummen kommt, der ist hier genau richtig.

Nur dass er das, was Schlager und Techno gemeinsam haben, nicht bekommt: den immergleichen eingängigen Refrain, diese drei, vier Phrasen, die man in manchen Diskotheken die ganze Nacht ĂĽber hört, ohne dass es irgendjemanden stört, weil nur der endlos gleiche Sound die Bude in Vibrationen versetzt. Die beiden jedenfalls singen auch was dazu – und zwar Texte, bei denen andere schon ins Stolpern kämen, wenn sie sie nur langsam vorlesen mĂĽssten. Und wenn sie ĂĽber Techno nachdenken, fragen sie natĂĽrlich auch, was aus Menschen wird, deren ganzes Leben eigentlich Techno ist. Kann es sein, dass die gar nicht erst anfangen, etwas komplizierter ĂĽber die Welt nachzudenken und am Ende zu genau den Typen werden, die einem immer häufiger begegnen, und die nur noch mit den Schultern zucken, weil sie es aufgegeben haben, irgendwas verstehen zu wollen? Keine Ahnung. “XBV”.

Hat die Entpolitisierung unserer Welt vielleicht etwas damit zu tun, dass sich auch die Kultur des viel gepriesenen Mainstreams entleert hat? Reduziert auf ein paar Beats, so rundgelutscht, dass sich niemand mehr dran reiben kann?

Man darf sich vom Namen dieser Zwei-Mann-Band nicht irritieren lassen. Die beiden kommen zwar lässig und voller guter Laune daher, meinen es aber irgendwie sehr ernst, zwei melodische Satiriker, die viel gelassener und zufriedener klingen als auf ihrer ersten Scheibe. Aber nicht, weil sie mit den Zuständen unserer Welt endlich im Einklang sind, sondern weil sie sich ihrer Instrumente sicherer sind. Es klingt wie ein Streicheln, ein einvernehmliches Brummeln. Aber in Wirklichkeit verteilen sie öffentlich Ohrfeigen und Tritte in Hintern von Leuten, die wahrscheinlich nicht mal mitkriegen, dass sie gemeint sind.

Ohh Sachsen …

The Fuck Hornisschen Orchestra Palmen, Audio-CD, Voland & Quist 2015, 14,90 Euro.

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