In diesem Jahr ist Woyzeck-Jahr in Leipzig. Zumindest die Schaubühne Lindenfels macht es dazu, die mit ihrer Installation „Woyzeck – letzte Szene, ein öffentlicher Platz“ von August bis Oktober auf dem Marktplatz jede Menge Aufmerksamkeit geschaffen hat für ihr Büchner-Projekt, das an drei verschiedenen Handlungsorten auf Woyzecks Drama eingeht. Nach der Anatomie ist jetzt ein anderer düsterer Ort Schauplatz: die ehemalige Hinrichtungsstätte in der Arndtstraße.

Im Rahmen des „Büchner-Zyklus“ veranstaltet die Schaubühne Lindenfels unter dem Titel „Anatomie Woyzeck“ eine mehrteilige Performance-Reihe an ungewöhnlichen, sonst nicht frei zugänglichen Orten in Leipzig. In der aktuellen Ausgabe verbindet eine begehbare Installation in der ehemaligen zentralen Hinrichtungsstätte der DDR Dramenfragmente Georg Büchners mit Michel Foucaults Theorien zum Verhältnis von Raum und Macht.

Anatomie Woyzeck – Teil II kann man am Mittwoch, 29. November, um 19 Uhr in und vor der ehemaligen zentralen Hinrichtungsstätte der DDR (Arndtstraße 48) erleben.

Als Initiator und Ideengeber des europäischen Kooperationsprojektes „Büchner-Zyklus” widmet sich die Schaubühne Lindenfels bis April 2018 in verschiedenen Formaten den historischen Ereignissen um Johann Christian Woyzeck und deren dramatischer Bearbeitung durch Georg Büchner. Nach einer Rekonstruktion der letzten öffentlichen Hinrichtung in Leipzig und einer Installation eines temporären Monuments auf dem Marktplatz versucht nun das hauseigene Schau-Ensemble in einer mehrteiligen Performance-Reihe, mit Diskursen und Stimmen aus verschiedenen Fachrichtungen dem Komplex Woyzeck wissenschaftlich und künstlerisch auf die Spur zu kommen.

Während im ersten Teil der Reihe Büchners medizinische Perspektive in seinem Drama „Woyzeck“ dargestellt wurde, stehen in der zweiten Ausgabe unterschiedliche Aspekte der Bestrafung und der (politischen) Macht im Fokus. Die Hinrichtung des historischen Vorbilds Johann Christian Woyzecks 1824 kann – nachdem er schon damals von vielen Experten als nicht zurechnungsfähig eingestuft wurde – als politisch gewollter Justizmord gesehen werden. Wie erscheint diese Form von Machtausübung bzw. Machtmissbrauch aus heutiger Sicht, angesichts vieler vergleichbarer Fälle in der jüngeren Geschichte und im Hinblick auf die anhaltende Debatte um die Todesstrafe?

Und was erfahren wir über das Funktionieren von Macht und Kontrolle in der „Heterotopie“ (Michel Foucault) eines Gefängnisses und einer ehemals geheimen Hinrichtungsstätte inmitten eines Wohngebiets? Das sind zentrale Fragen von “Anatomie Woyzeck – Teil II”. Die begehbare Installation verbindet den Ort – die ehemalige zentrale Hinrichtungsstätte der DDR – und die Geschichte(n) einiger Delinquenten mit Büchners Dramentexten „Woyzeck“, „Dantons Tod“ und „Lenz“ sowie Foucaults Theorien zum Verhältnis von Raum und Macht. Führungen durch das Gebäude, organisiert vom Museum in der „Runden Ecke“, komplettieren den Abend.

Die Installation: Der Bau der geheimen Hinrichtungsstätte der DDR wird um einen temporär abgesperrten Kunstraum erweitert, um ein Stück jenes Fußwegs, auf dem auch 1981 Passanten zur Arbeit, Kinder in die nahe gelegene Kita gingen, während im Inneren des Gebäudes zum letzten Mal ein politischer Häftling in der DDR hingerichtet wurde. In dieser Performance verschwimmen Innen und Außen, Vergangenheit und Gegenwart, Einsamkeit und Gemeinschaft. Der Zuschauer wird zum passiven (Ab-)Hörer von Büchners Delinquenten ebenso wie zum Akteur, der seine Kleidung tauscht, seinen Schatten hinterlässt und Statist auf einem gemeinsamen „historischen“ Foto wird. Er gerät in verschiedene Rollen des Alltags im Angesicht von „Überwachen und Strafen“.

Karten gibt es nur an der Abendkasse: 5 Euro.Um Voranmeldungen wird gebeten:Tel. (0341) 484620 oder service@schaubuehne.com.

Anatomie Woyzeck – Teil II ist ein Projekt der Schaubühne Lindenfels in Kooperation mit der Universität Leipzig – Institut für Theaterwissenschaft und dem Museum in der „Runden Ecke“. Gefördert durch die ERES-Stiftung München und die Rudolf-Augstein-Stiftung.

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Hintergrund ist der Büchner-Zyklus, der 2017 und 2018 die Städte Leipzig – Strasbourg – Zürich – Waldersbach – Leipzig verbindet, ein internationales Kooperationsprojekt zum Gesamtwerk von Georg Büchner.

Georg Büchner

Georg Büchner war Aktivist im Kampf für Gleichheit und für eine demokratische Vision von Deutschland und Europa. Er war ein genialer Dichter und ehrgeiziger Wissenschaftler. Er wurde zum politischen Flüchtling und zum Schriftsteller im Exil. Seine Diskurse bewegen sich im Konfliktfeld zwischen „großer Politik“ – einschließlich des seiner Erfahrung nach vorläufig aussichtslosen Hoffens auf gesellschaftlichen Ausgleich oder radikalen Wandel – und andererseits den Bedürfnissen, Ansprüchen und Sehnsüchten des Einzelnen, die beständig im Widerstand zu ersterem stehen.

Der Büchner-Zyklus

Der Büchner-Zyklus folgt innerhalb mehrerer Monate den Lebensstationen Georg Büchners und denen seiner Protagonisten in drei europäischen Ländern und trägt sein politisches Denken und seine Diskurse mitten in die jeweiligen Stadtgesellschaften von Leipzig, Zürich, Strasbourg sowie in die Gemeinde Waldersbach (F) hinein. Der Zyklus verbindet somit zwei Stationen Büchners (Strasbourg, Zürich) mit zwei weiteren Orten, die als Schauplätze realer historischer Ereignisse
eine wesentliche Rolle für sein Werk gespielt haben (Leipzig, Waldersbach).

Mit unterschiedlichen Formaten und Genres, insbesondere durch ungewöhnliche und spektakuläre Stadtraum-Aktionen (teilweise unter lokalem Bezug), soll vor allem eine breite Öffentlichkeit jenseits eines schon „bewanderten“ Theaterpublikums erreicht werden sowie mit der Aktualität Georg Büchners und seiner Figuren und Stoffe berührt werden.

Die Stationen: Auftakt bildete im August 2017 die Installation eines temporären Monuments auf dem Leipziger Marktplatz unter dem Titel „Woyzeck – letzte Szene, ein öffentlicher Platz“. Seit September folgt „Anatomie Woyzeck“, eine Reihe von Lecture-Performances und Installationen in Leipzig. Das Stück „Lenz“ (Theater Winkelwiese, Zürich) feiert am 17. Februar 2018 in Zürich Premiere (Vorpremiere in Waldersbach). „Purge (nach Dantons Tod)“ (Dinoponera / Howl Factory, Strasbourg) wird im Frühjahr 2018 entwickelt und im Rahmen einer Büchner-Woche in Strasbourg ab dem 3. April aufgeführt.

Der Zyklus endet im April 2018 mit einem Büchner-Festival in Leipzig, im Rahmen dessen das Ensemble der Schaubühne Lindenfels die Inszenierung „Fragment Woyzeck“ zur Premiere bringt.

Auch „Lenz“ und „Purge“ werden während des Festivals noch einmal gezeigt. Theatrale Stadtbegehungen sind ebenfalls Teil des Programms, das in Zusammenarbeit mit der Universität Leipzig durch ein Studierenden-Panel und ein wissenschaftliches Symposium ergänzt wird. Ein Projekt der Schaubühne Lindenfels in Zusammenarbeit mit Theater Winkelwiese (CH), Dinoponera/Howl Factory (F), Universität Leipzig – Institut für Theaterwissenschaft Die nächsten Termine des „Büchner-Zyklus“ in

Büchner im Film

Die Schaubühne Lindenfels zeigt in loser Folge Filme, die sich mit Georg Büchner selbst und seinen Werken auseinandersetzen. Im Dezember ist die Biografie „Addio,
piccola mia“ (DDR 1979, 123 min.) zu sehen: Mi, 6. Dezember, 19 Uhr, und Sonntag, 10. Dezember, 17 Uhr.

Ananomie Woyzeck – Teil III findet am 31. Januar 2018 im Naturkundemuseum statt.

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