ExclusivAuf den ersten Blick scheint der Fall klar. Gerhard M. (56) soll seine beiden Stieftöchter Anna (19) und Diana (22) zwischen Anfang 2004 und Ende 2013 17 Mal sexuell missbraucht haben. In sechs Fällen habe er einem der Mädchen laut Anklage den Finger in die Vagina eingeführt. Der gelernte Maurer, der seit einem schweren Unfall eine EU-Rente bezieht, äußerte sich nicht zu den schweren Anschuldigungen. Da die Taten teils über zehn Jahre zurückliegen, hängt alles von den Aussagen der Töchter ab.

Das Familiendrama spielte sich am unteren Rand der Gesellschaft ab. Ein Sozialarbeiter berichtete am Donnerstag, dass Anna sich für die schlimmen hygienischen Zustände in der elterlichen Wohnung geschämt habe. In ihrem Kinderzimmer habe sie sich unwohl gefühlt. In einem Jugendtreff sei die Teenagerin ab 2009 oft verweint aufgetaucht.

„Es war schon zu beobachten, dass es kontinuierlich nach unten geht“, berichtete Sandrino S. (56). Im Dezember 2012 offenbarte sich Anna dem Leiter des Jugendzentrums, nachdem sie in den Monaten zuvor auffällig oft den Schutz und die Nähe zu den Mitarbeitern gesucht hatte. Ihren Vater habe sie wiederholt als „Monster“ bezeichnet.

Der Vorsitzende Richter Michael Dahms (Miite). Foto: Alexander Böhm
Richter Michael Dahms muss sich bei der Wahrheitsfindung voll und ganz auf die Glaubwürdigkeit der beiden Opfer verlassen. Foto: Alexander Böhm

Gerhard O. verfolgt die Vernehmung des Zeugen emotionslos, macht sich hier und dort Notizen, vergräbt aber auch sein Gesicht mehrmals in seiner Hand. Die Anklage charakterisiert den einfach gestrickten Mann, der den Gerichtssaal, gestützt auf eine Gehhilfe, betritt, als Choleriker. Zu den Vorwürfen äußerte er sich nicht. Das Gericht hatte ihm für ein umfängliches Geständnis zwischen vier und fünf Jahren Haft in Aussicht gestellt.

Da sich der Angeklagte auf den Deal nicht einlassen möchte, wird die Jugendschutzkammer ein ganz besonderes Augenmerk auf die Glaubwürdigkeit der beiden Opfer legen müssen. Alle weiteren Zeugen, die bisher geladen sind, Sozialarbeiter, Polizisten und Freunde der Geschädigten, werden zum Tatgeschehen lediglich vom Hörensagen berichten können. Daher ist der Ausgang des Verfahrens nach dem ersten Verhandlungstag noch völlig offen.

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