Wer haftet eigentlich, wenn Kommunen nicht hinterher kommen, genügend Kinderbetreuungsplätze zu bauen? - Eine mögliche Antwort hat am Montag, 2. Februar, das Landgericht Leipzig mit seinem Urteil gegeben, das die Stadt Leipzig zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Verdienstausfalls von 2.500 Euro einer klagenden Mutter wegen nicht rechtzeitiger Zurverfügungstellung eines Betreuungsplatzes für ihren einjährigen Sohn verurteilt.

“Das Landgericht sah es als erwiesen, dass die Stadt Leipzig den Kita-Ausbau nicht rechtzeitig und schnell genug vorangetrieben hat, insoweit für die entstandene Versorgungslücke nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG einzustehen hat (sog. Amtshaftung)”, kommentiert die Leipziger Rechtsanwaltskanzlei Füßer & Kollegen das Urteil. Immerhin war es durchaus eine Frage, ob eine Kommune in die Haftung genommen wird, obwohl es der Bund war, der das Recht auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab 1 Jahr festgeschrieben hat. Und das, ohne dass gewährleistet war, dass die Kommunen zur Umsetzung des Beschlusses auch die nötigen Finanzen zugewiesen bekamen.

Die Rechtsanwaltskanzlei dazu: “Hierbei stellte das Gericht darauf ab, dass seit Beschluss des stufenweisen Kita-Ausbaus durch den Deutschen Bundestag im Jahre 2008 bis zum Inkrafttreten des Rechtsanspruchs von einjährigen Kindern am 1. August 2013 den Kommunen – hier: der Stadt Leipzig – ein hinreichend langer Zeitraum gewährt worden sei, um die zur Deckung des voraussehbaren Bedarfs erforderlichen Einrichtungen zu schaffen. Der erst in den letzten beiden Jahren vorangetriebene Kita-Ausbau konnte die Stadt Leipzig im zu entscheidenden Fall nicht entlasten.”

„Wir sehen uns in unserer Annahme bestätigt, dass die Stadt Leipzig rechtswidrig bewusst ‚auf Lücke geplant’ und darauf gesetzt hat, dass der Bund die seinerzeit verbindliche Vorgabe noch vor Fristablauf auf entsprechendes Drängen der Kommunen und ihrer Spitzenverbände wieder verwässern werde“, erklärt dazu der Fachanwalt für Verwaltungsrecht Klaus Füßer, zugleich Namenspartner der die Eltern vertretenden Rechtsanwälte. Das Prozessgebaren der Stadt Leipzig, die Schuld mit Hinweis auf Bauverzögerungen bei einzelnen Einrichtungen, für die kein Amtswalter verantwortlich zu machen sei, von sich zu weisen, hält er für unerhört.

„Hätte die Stadt Leipzig wenigstens mit Gründen wie nicht absehbarem Bedarf, unerwartetem Zuzug in bestimmten Stadtteilen, Mangel an Fachkräften o.ä. argumentiert, wäre dies im Hinblick auf einschlägige Rechtsprechung zumindest nachvollziehbar gewesen“, meint Rechtsanwältin Natalie Wolfrum, die den Fall auf Seiten der Anwälte betreut. Nach Auffassung der Anwälte hätte die Stadt besser daran getan, den Streit vorgerichtlich und einvernehmlich zu klären, als ihn bis zu einem veröffentlichten Urteil mit entsprechender Breitenwirkung zuzuspitzen, Leipzig habe damit auch anderen Kommunen einen Bärendienst erwiesen.

Das Urteil des Landgerichts Leipzig stellt einen Präzedenzfall für die Haftung von Städten und Gemeinden für entgangenen Verdienstausfall von Eltern, für deren mindestens einjährige Kinder, von dem zuständigen Träger kein Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung in öffentlicher oder freier Trägerschaft bzw. in Kindertagespflege zur Verfügung gestellt wird.

Und das hat natürlich auch Folgen für die nicht gerade von üppigen Lohnhöhen verwöhnte Stadt Leipzig: Wer die Chance auf eine Wiederaufnahme der Berufstätigkeit hat, nutzt sie auch und ist geradezu darauf angewiesen, dass zeit- und wohnortnah auch eine gute Betreuung für das Kleinkind gefunden werden kann. Immerhin betrachtet ja auch Leipzigs Stadtverwaltung die gut ausgebaute Kinderbetreuung als einen Standortvorteil für die prosperierende Metropole. Doch während man bei der Betreuung der 3- bis 6-jährigen Kinder das sächsische (auch im bundesdeutschen Vergleich hohe) Niveau schon seit Jahren hält, kam der Ausbau der Krippenbetreuung nur zäh voran.

Alle Eltern, die nach Ende der Elternzeit ihre berufliche Tätigkeit aufgrund eines fehlenden Betreuungsangebots nicht planmäßig wieder aufnehmen können, hätten nun grundsätzlich gute Chancen, eine entsprechende Zahlungsklage anzustrengen, schätzt Füßers Kanzlei ein. Besonderheiten ergeben sich just in Bezug auf die jeweiligen Maßnahmen und Anstrengungen der konkreten Kommune zur Umsetzung der bundesrechtlichen Betreuungsansprüche, meint Rechtsanwalt Füßer und verweist darauf, dass auch Gespräche mit Kommunalvertretern im Rahmen von zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen bis auf wenige Ausnahmen – er erwähnt insofern die Landeshauptstadt Dresden – eher den Befund ergeben hätten, dass man zu spät und wenig auf die neue Herausforderung reagiert habe.

Eine Aussage, die von der bildungspolitischen Sprecherin der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, Cornelia Falken, in einem wesentlichen Punkt widersprochen wird, auch wenn sie die zögerliche Kita-Politik Leipzigs in den vergangenen Jahren ähnlich kritisch sieht: “Es geht nicht an, dass sich die Stadt auf der einen Seite über Bevölkerungszuwachs und junge Familien freut, andererseits aber nicht mal ihren gesetzlichen Verpflichtungen bei der Kinderbetreuung nachkommt. Dies ist Folge eklatanter Fehlplanung, die Stadtverwaltung hat viel zu spät angefangen umzusteuern.”

Sie verweist dabei auch auf die im Dezember bekannt gewordene Antwort auf eine Kleine Anfrage (Landtags-Drucksache 6/113), nach der insgesamt 2.000 Kita-Plätze in Leipzig fehlen.

“Deshalb war das heutige Urteil zu erwarten”, erklärte Falken am Montag. “Es geht also nicht um Einzelfälle, sondern um einen stadtweiten Kitaplatz-Notstand, der unzählige Familien trifft.”

Verwirklicht aber wird das seit 2012 forcierte Kita-Ausbauprogramm vor allem als eine Art Öffentlich-Privates Partnerschaftsprojekt, denn die Co-Finanzierung des Kita-Ausbaus durch den Freistaat Sachsen hat sich ja all die Jahre nicht verbessert. Um den eigenen Investitionshaushalt nicht noch zusätzlich zu belasten, hat die Stadt vor allem private Investoren für den Bau neuer Kindertagesstätten gesucht, die Refinanzierung erfolgt über entsprechende Mietvereinbarungen, die die Baukosten als Kosten für den Stadthaushalt in künftige Haushalte verschieben.

Das hätte so nicht kommen müssen, stellt Falken fest. “Wahr bleibt aber auch: Nach wie vor stellt das Land zu wenig Mittel für die Investitionen in den Kita- und Schulbau zur Verfügung, vor allem lässt Sachsen die Kommunen bei den laufenden Betriebskosten hängen. Die Linke fordert deshalb einmal mehr einen gerechten Soziallastenausgleich vom Land. Wo erfreulicherweise mehr Kinder geboren werden, gibt es nun mal größere Aufwendungen der öffentlichen Hand für Kinder.”

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