Die Bundesrepublik Deutschland ist ein seltsames Land, zutiefst bürokratisch und geizig genau da, wo es um Kinder und Familien geht. Beim Thema Unterhaltsvorschuss war es nur zu offenkundig. Denn bis 2017 wurde der nur für Kinder bis zum 12. Lebensjahr gezahlt. Seitdem sind die Zahlen der Antragstellungen in Sachsen deutlich gestiegen. Wieder wurde ein handfestes Stück Einkommensarmut sichtbar.

Denn den Vorschuss bekommen ja Alleinerziehende, deren ehemaliger Lebenspartner nicht in der Lage ist, zum Unterhalt der Kinder beizutragen. Oder der sich weigert, es zu tun.

In Deutschland galt lange Zeit genau die zweite Vermutung: Man unterstellte den zumeist männlichen Zahlungsverpflichteten, sie seien „Rabenväter“, die sich einfach aus ihrer Verantwortung stehlen würden. Staatsangestellte und alimentierte Politiker neigen augenscheinlich gern zu so einer Denkweise.

In ihren Einkommenssphären ist es unvorstellbar, dass Menschen so miserabel entlohnt sein könnten, dass für die Kinder kein Geld übrig bleibt. Selbst dann, wenn amtliche Einkommensstatistiken oder die Leipziger Bürgerumfragen genau diesen Tatbestand belegen.

Wir leben in einer Gesellschaft, die blind ist für die Folgen neoliberaler „Arbeitsmarktreformen“.

Ergebnis: Trotz so gern bejubelter sinkender Arbeitslosigkeit in Sachsen sind die Fälle von beantragtem Unterhaltsvorschuss nie wirklich gesunken. 2017 nahm die Zahl sogar rapide zu, weil endlich auch Kinder zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr berücksichtigt wurden.

„Es ist erfreulich, dass die Leistungen des Unterhaltsvorschusses auf Kinder bis zum 18. Lebensjahr ausgeweitet worden sind“, erklärt dazu die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, Susanne Schaper, die die neueren Zahlen extra bei der Staatsregierung abgefragt hat.

„Die steigenden Fallzahlen zeigen auch klar, dass dieser Schritt überfällig war. Erhielten in den Jahren 2015 und 2016 noch 6.631 bzw. 6.960 Kinder Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz, waren es 2017 schon 25.775. Bis dahin waren somit rund 19.000 Kinder leer ausgegangen, die Anspruch auf diese Leistung gehabt und diese wohl auch dringend benötigt hätten.“

Die Zahlen zum Unterhaltsvorschuss aus dem "Leipzigerf Sozialreport 2018". Grafik: Stadt Leipzig, Sozialreport 2018
Die Zahlen zum Unterhaltsvorschuss aus dem „Leipziger Sozialreport 2018“. Grafik: Stadt Leipzig, Sozialreport 2018

Und die Statistik macht auch wieder deutlich, dass die große Stadt Leipzig nach wie vor von einem großen Niedriglohn-Arbeitsmarkt dominiert wird.

Wurden hier 2015 noch 1.515 Fälle an Unterhaltsvorschuss bearbeitet, waren es 2016 dann 1.729 und im Jahr 2017 dann mit der Gesetzesänderung schon 7.527 Fälle.

Vergleiche sind innerhalb Sachsens schwer möglich, weil es etwa Dresden und einige Landkreise nicht fertiggebracht haben, die Fälle zu zählen, obwohl die Linksfraktion diese Anfrage quasi im Jahresrhythmus stellt.

Da sind es dann eher die lokalen Gesamtausgaben zum Unterhaltsvorschuss, die darauf hindeuten, dass Leipzig spürbar mehr Fälle an notwendigem Unterhaltsvorschuss hat als etwa Dresden. Denn während Leipzig 2017 immerhin 11,1 Millionen Euro an Unterhaltsvorschuss zahlte, waren es in Dresden 9,6 Millionen und in Chemnitz 6,1 Millionen.

Und dass es den sächsischen Kommunen nur gelingt, zwischen 10 und 29 Prozent des gezahlten Unterhaltsvorschusses von den zahlungsverpflichteten Elternteilen zurückzuholen, ist ein ziemlich sicheres Indiz dafür, dass die betroffenen Elternteile tatsächlich so miserabel verdienen, dass das Geld kaum einzutreiben ist. Man hat es eben nur zu einem geringen Anteil mit dem zu tun, was gutverdienende Büttenredner so gern „Rabeneltern“ nennen, zum größeren Teil aber mit Menschen, die unter den miserablen Einkommensverhältnissen in Sachsen leiden.

„Die Rückholquoten sind prozentual von 2015 bis 2017 gesunken. Das liegt wohl nicht zuletzt daran, dass die Ämter durch die zusätzlichen Anträge und ihre personelle Unterbesetzung nur unzureichend prüfen konnten, wie hoch die Einkommen der Unterhaltspflichtigen tatsächlich waren“, stellt Susanne Schaper noch fest.

„Problematisch ist allerdings, dass die sächsischen Landkreise und Kommunen 2017 knapp 20 Millionen Euro mehr für den Unterhaltsvorschuss ausgeben mussten als 2016. Nicht selten mussten sie deshalb an anderen Stellen freiwillige Leistungen streichen. Die sächsische Staatsregierung muss daher dringend dafür streiten, dass sich Bund und Land stärker an den Mehrausgaben beteiligen und die Kommunen entlasten.“

Leipzig fällt schon seit Jahren durch besonders niedrige Rückholquoten um die 10 Prozent auf, auch das ein Indiz dafür, dass die Stadt nach wie vor durch große Niedriglohnbereiche geprägt ist.

Und komplett geändert hat sich ja das Denken gutverdienender Geizhälse in Regierung und Parlamenten mit der Änderung von 2017 noch nicht. Denn während sie so gern von weiteren Steuersenkungen für Gutverdiener schwärmen, zählen sie bei den Bedürftigen jeden Cent noch einmal nach.

Susanne Schaper: „Problematisch bleibt auch, dass der Unterhaltsvorschuss bei Alleinerziehenden, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, als Einkommen angerechnet wird. Dadurch verringern sich die Sozialleistungen entsprechend – obwohl sie das soziokulturelle Existenzminimum absichern sollen. Damit es Alleinerziehende wirklich etwas leichter haben, plädieren wir für eine Kindergrundsicherung in Höhe von 573 Euro und ein höheres Kindergeld. Beides sollte nicht mehr in voller Höhe auf Sozialleistungen und den Unterhaltsvorschuss angerechnet werden.“

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