Eigentlich sitzt die 2b Ahead ThinkTank GmbH in Leipzig im Gerichtsweg , aber ihren 12. Zukunftskongress veranstaltete sie am 18. und 19. Juni in Wolfsburg. Eingeladen waren Manager, Medienleute, Technologieexperten aus verschiedensten Branchen. "Sie bilden ein unabhängiges und parteipolitisch neutrales Netzwerk der Innovations-Experten aus hunderten Unternehmen verschiedenster Branchen", sagt Initiator Sven Gábor Jansky.

Ergebnis des Treffens war eine “Wolfsburger Erklärung”, die an die Spitzenkandidaten von CDU, CSU, SPD, FDP, Die Linke, die Grünen und die Piraten verschickt wurde.

Sie bündelt die nach Ansicht der Experten wichtigsten Zukunftsfragen für unser Land und die formulierten Forderungen für die kommende Legislaturperiode, die immerhin von 2013 bis 2017 reicht.

Die wichtigste Feststellung der “Wolfsburger Erklärung”: Die Wahlprogramme der Parteien geben allesamt keine oder ungenügende Antworten auf die anstehenden Fragen. Sie fasst damit in Worte, was auch viele Bundesbürger fühlen: Die aktuelle Politik hat mit den Problemen der Gegenwart immer weniger zu tun. Der Politzirkus dreht sich um Themen, die vor 20, 30, teilweise 50 Jahren mal aktuell waren und bietet entsprechende überflüssige Lösungen an, während die drängenden Themen der Gegenwart immer wieder verdrängt werden. Von einer ernsthaften Diskussion oder gar der Suche nach Lösungen, Alternativen oder auch nur Kompromissen – keine Spur. Die nun mittlerweile mehr als zu häufig verkündeten “Basta!”, “Alternativlos!” oder die Verunglimpfung der “Wutbürger” sprechen eine deutliche Sprache von einer Politikkaste, die den Dialog scheut wie der Teufel das Weihwasser und die die drängenden Probleme des Tages verdrängt, wo immer es geht. Man denke nur an die Eiertänze der Bundesregierung um den NSA-Spähskandal. Man tut einfach so, als sei das nicht schlimm und ginge die Öffentlichkeit gar nichts an. Dahinter ahnt man aber die Überforderung. Mit Politikern, deren Weltverständnis irgendwann im Zeitalter Ludwig Erhardts hängen geblieben ist, lassen sich die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht meistern.

Sie wissen ja nicht einmal, worum es geht. Ums Internet kümmern sich die Praktikanten im Sekretariat. Neue Zukunftstechnologien für Deutschland? War das nicht das Automobil?

In der “Wolfsburger Erklärung” tauchen Visionen für die nächsten zehn Jahre auf, die derzeit noch nicht einmal in der Diskussion der etwas informierteren Öffentlichkeit sind. Was ja seine Gründe hat. Auch die Gesellschaft im Allgemeinen hat ja ihre Beharrungsmomente. Das der Zuspruch für eher konservierende Politiker nach wie vor so groß ist, hat ja auch mit der zunehmenden Überforderung vieler Gesellschaftsschichten zu tun, die zwar die Segnungen dieser Entwicklung gern wahrnehmen – sich mit den Folgen und Konsequenzen aber nicht auseinandersetzen (wollen). Man gibt zwar ungeniert die persönlichsten Daten in den Netzwerken großer us-amerikanischer Konzerne preis, sieht aber nicht die Folgen für die eigene Privatsphäre. Wohin verändert sich aber die Welt, wenn international agierende Konzerne derart eng mit staatlichen Geheimdiensten kooperieren und auch von den Behörden des eigenen Landes nicht daran gehindert werden?

Was wird aus den simpelsten Bürgerrechten, wie sie im Grundgesetz stehen, wenn schon der BND nach eigenem Gusto entscheiden kann, wo sie gelten – und wo nicht?

Und die modernen Informationstechnologien entwickeln sich ja weiter. Was heute möglich ist, ist erst die Grundlage für das, woran die innovativsten IT-Unternehmen längst schon forschen und arbeiten. Auch in Deutschland. Denn unbestritten ist: Die IT-Technologie ist aktuell die wichtigste Zukunftstechnologie. Wer hier über die neueste Technik und das beste Knowhow und vor allem den nötigen Forschungsvorsprung verfügt, spielt mit im Konzert der erfolgreichen Wirtschaftsnationen. Will Deutschland weiter mithalten und seine Prosperität bewahren, darf hier nicht ausgesessen werden, sondern muss investiert und gehandelt werden.

Das ist die zentrale Botschaft der “Erklärung”.
Und es geht nicht nur um das “Leinen los!” in der Technologieentwicklung. Es geht auch um die andere Seite der Medaille, die die aktuelle Bundesregierung gerade so beharrlich auszusitzen versucht: die ethische. Denn wenn man hochbrisante Technologien entwickelt, dann braucht es Kontrollinstanzen und Kontrollmaßstäbe: Was darf auf keinen Fall passieren, um die Grundlagen unserer Gesellschaft nicht zu zerstören?

Die Bundesrepublik braucht eine professionelle Ethikkommission. Die auch fähig ist darüber zu wachen, dass einige technologische Optionen eben nicht genehmigt werden. Stichwort “informelle Selbstbestimmung” und die zunehmende Fähigkeit von Geräten, selbstständig Entscheidungen anstelle ihrer Besitzer treffen zu können. Also muss auch für jedes neue Gerät ein “Ethik-TÜV” her. Und eine echte technische Veto-Möglichkeit, gerade wenn intelligente Geräte gehackt und damit fremdgesteuert werden können. Noch sind wir bei dieser Entwicklung ganz am Anfang – aber die jüngsten Hacker-Tests mit den elektronischen Steuerungen von Autos haben eigentlich deutlich gezeigt, wie weit die Entwicklung längst gediehen ist.

Da kann man nicht mehr mit alten Wertekategorien wie “Natürlichkeit”, “Normalität” oder “Tradition” kommen, befinden die Autoren der Erklärung. Das geht schief.

Logischerweise kommen sie gleich nach den mahnenden Worten zur Technologieentwicklung zum leidigen Thema Bildung. Die deutsche Schule ist nach wie vor darauf eingerichtet, allen Kindern dasselbe Wissen einzutrichtern. Und ist damit längst an ihre Grenzen gestoßen. Das Bildungssystem verstößt nicht nur die Kinder, die ihre Möglichkeiten aufgrund ihrer schlechter ausgestatteten Herkunft nicht entfalten können. Es frustriert auch die Kinder mit Talenten, die über das Schuleinerlei hinausgehen. Eigentlich auch kein neues Thema. Seit den 1980er Jahren macht diese “Null-Bock-Schule” von sich Reden.

Schon damals entsprach sie den Erfordernissen einer immer komplexeren und veränderlichen (Arbeits-)Welt nicht mehr. Was eine so hochentwickelte Gesellschaft braucht, sind Menschen, die ihre schöpferischen Potenziale entfalten, die das Problemlösen gelernt haben und wirklich wissen, was Kreativität ist. Das setzt natürlich eine bessere Ausstattung der Schulen und eine höhere Würdigung des Lehrerberufs voraus. Die Unterzeichner der Erklärung fordern folgerichtig eine Verdoppelung des Bildungsetats und vor allem – für jedes Kind einen Schulabschluss.

Auch das Gesundheitssystem muss sich gründlich ändern. Damit auch die Schlechterbetuchten länger gesund bleiben können, müssen Krankenkassen deutlich stärker in Prävention investieren.

Dazu kommt: Wenn wir alle älter werden und länger gesund bleiben, heißt das: Man kann nicht einfach stur weitermachen damit, Menschen mit 50, 60 Jahren einfach auszusortieren und in den “Ruhestand” zu schicken. Es braucht Angebote für echte Neuanfänge mit 50.

Und dann taucht logischerweise das leidige Thema “StartUp-Förderung” auf, das sich fast ausschließlich auf Universitäten und Studierende beschränkt. Andere Menschen, die mit 30, 40 ein StartUp wagen, werden von Finanzinstituten meist genauso verständnislos behandelt wie von den staatlichen Etatverwaltern (die so gern mit 60 in Rente gehen). Was dazu führt, dass für überflüssige Flughäfen und Flusshäfen Millionen verschleudert werden, der Mittelstand oder gar der Alleinunternehmer aber behandelt wird wie Pleps.

Was dann auch mit dem billigen Gerede vom “Lebenslangen Lernen” zu tun hat. Jeder, der sich wirklich mit dem modernen Arbeitsmarkt beschäftigt, weiß, dass bunte Job-Karrieren zum Normalzustand für die meisten Beschäftigten werden. Die “Wolfsburger Erklärung” spricht von “Projektarbeitern”. Aber wer in Leipzig so ein “Projektarbeiter” ist, weiß, dass er nicht nur beim Lohn veräppelt wird, sondern auch bei den Rentenansprüchen. Und wenn er dann gar beim Jobcenter landet, findet er zwar ein neues Angebot prekärer Jobs – aber keine echten Qualifizierungsangebote, die ihn mit ein bisschen Fleiß wieder in attraktive “Projekte” bringen.

Auch das Thema moderner Governance, die auch im Digitalzeitalter Chancengleichheit für alle herstellt, wird angesprochen.

Das Problem wird nur sein: Die meisten Angeschriebenen werden von den angesprochenen Themen überfordert sein. Sie sind es ja selbst schon mit den aktuellen gärenden Themen. Tatsächlich muss sich auch “die Politik” ändern und für die zunehmend komplexeren Herausforderungen des technologischen Zeitalters professionalisieren. Dann würden solche Abstürze ins Mittelalter wie die “Herdprämie” nicht passieren, sondern (das kommt in der Wolfsburger Erklärung noch nicht vor) man würde die modernen Familienbilder und die Anforderungen an die Vereinbarkeit von Familie und Arbeitsleben ganz anders beleuchten und so nach Lösungen suchen. Was eigentlich heißt: Politiker müssen zu Fachleuten der qualifizierten Lösungssuche werden.

www.2bahead.com
Die “Wolfsburger Erklärung” als PDF zum download.

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