Manche Interviews brauchen etwas Zeit. Tanner friemelte schon seit Jahren an einer Interviewanfrage an Fiedler herum aber dieser glitt ihm immer wieder durch die Finger. Jetzt hat Tanner sich den Dichter einfach auf der Straße geschnappt und festgenagelt. Schließlich gibt es Fragen - zum DLL, zur Lyrik und zum ganzen Universum drumherum.

Hallo Michael. 2012 erschien Dein Erstling im Poetenladen – in der Reihe Neue Lyrik. “Geometrie und Fertigteile” Gedichte – da fragt sich der Fragende ja – und Du als im Metier Verhafteter kannst da bestimmt Auskunft geben: Was, verdammt nochmal in aller Welt, ist denn Lyrik nun genau?

Darauf gibt jedes Gedicht seine eigene Antwort. Ganz allgemein geantwortet: Lyrik ist Atmung, Gesang und Faszination. Ihr Material ist Sprache. Sie wehrt sich gegen Zweckgebundenheit und ökonomische Grundlagen – und ist allein dadurch politisch.

In einer Rezie zu Deinem Buch las ich: “Fiedler präsentiert uns eine kulturpessimistische, gegoogelte Resterampe, eine globale Vermessung der Gegebenheiten mit historischen Bruchstücken.” Klingt ja nicht nach klassischen Gedichten, was da vom Rezensenten von Dir verkonsumiert wurde. Gegoogelte Resterampe, hmmmm…. Ist dies Deine Arbeitsweise, die Reste aufsammeln und zusammenkleben?

Dass sie aus vorgefundenem Material gearbeitet wurden, eint alle Texte in “Geometrie und Fertigteile”. Unterschiedlich sind die Methoden der Anordnung. Und tatsächlich: Schere und Leim waren wichtige Hilfsmittel.

Wo ist aber die Neuschöpfung?

Die Neu-Anordnung ändert das Beziehungsgefüge. Aus Lexika-Texten, Fachliteratur oder Suchergebnis-Anzeigen werden Texte, die – bestenfalls – anregend sind. Den Titel der Reihe “Neue Lyrik” verstehe ich vor allem als zeitlichen Bezugspunkt.

Du hast ja auch am DLL studiert – bist sozusagen Diplomdichter – was hast Du denn da gelernt? Solch ein Studium dauert ja auch. Und was gibt das hohe Haus der Gesellschaft zurück, von der es mitfinanziert wird?

Es muss sehr viel gelesen, diszipliniert geschrieben und Kritikfähigkeit erprobt werden. Das wichtigste waren und sind für mich die Menschen, die ich dort als Studierende, Gast-Dozenten oder Professoren kennenlernen konnte. Mit Mara Genschel, Julia Dathe, Lisa Elsässer, Norbert Lange, Tobias Amslinger, Konstantin Ames oder Hannes Leuschner gab und gibt es großartige Aufführungen und gute Zusammenarbeit.

Die zweite Teilfrage ist ein bisschen müßig zu beantworten. Würde es die Frage angemessen beantworten, die Abgänger und ihre Bücher aufzuzählen? Oder die Veranstaltungen, die aus dem Umfeld des Instituts entsprungen sind? Andere Kunsthochschulen sehen sich nicht einem solchen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt.

Ist es nicht eher Aufgabe der Gesellschaft, Institutionen wie das DLL zu fördern? Wird nicht gerade in anderen Studienfächern bemängelt oder etwa auch bei der Erwerbsarbeit, dass das kreative Moment zu kurz kommt und zu sehr auf bloße Wissensvermittlung gesetzt wird? Ich finde, es bräuchte Einrichtungen wie das DLL auch in anderen Studienfächern wie Soziologie, Rechtswissenschaften und Mathematik.

Ging’s nun auf Lesetour? Irgendwie muss das Buch ja auch seine Leser finden. Gibt es da irgendeine Strategie? Einen Masterplan? Oder wird nur auf Preise geschielt?

Andreas Heidtmann vom Poetenladen hatte einige Termine organisiert – z. B. bei der langen Lyriknacht in der HGB. Dafür war und bin ich sehr dankbar. Eine Vermarktungsstrategie für mich selbst habe und will ich auch nicht. Was die Preise betrifft: Miriam Zedelius ist mit der Gestaltung der Buch-Reihe Großartiges gelungen; es gibt ja auch Preise, die solche Leistungen würdigen.

Du hattest (kurz nachdem ich die Moderation abgab) die Möglichkeit, Europas älteste durchgehende Literaturreihe, den Durstigen Pegasus, mit zu organisieren und mit zu moderieren – im dreimonatlichen Turnus. Damals sagtest Du ab. Warum? Das interessiert doch einige, die sich im Bereich Leseshow tummeln? Was war der Grund, die Gründe, für Deinen Rückzug?

Während der Vorbereitung für die Zeit nach Dir, wurde ich Vater und Leiter eines Fachverlags für Versicherungsmakler. Ehrlich gesagt, sah ich da keine Zeit mehr für den Durstigen Pegasus. Es reicht ja auch nicht, aller drei Monate drei Stunden im Schwalbennest zu sitzen und zu plaudern. Man muss wissen, wer kommen soll, sich vorbereiten, den Webauftritt pflegen und nicht zuletzt für Besuche sorgen – das ist nichts, was ich einfach so nebenbei hinbekommen hätte. Und die Rolle als Entertainer, der mit Charme, Kenntnis und Humor die Gäste bei der Stange hält – die habe ich mir selbst nicht zugetraut.

Wie geht’s nun aber weiter? Ab wann ist man Schriftsteller? Reicht ein Buch?

Mein Sohn wird bald fünf Jahre alt, die Leitung des Verlags konnte ich abgeben; bis Juli 2015 brauche ich einen neuen Job. Ob man Dichter ist oder nicht, ist keine Frage der Steuererklärung. Nicht mal eine, die anhand der veröffentlichten Bücher beantwortet wird. Was zählt, ist der Blick auf die Welt und das Leben mit ihr. Das Bewusstsein für die Widersprüche und das Aushalten davon.

Danke Michael.

www.poetenladen.de/michael-fiedler.htm

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