Parteien klagen über Mitgliederschwund, Bürgerinnen und Bürger fühlen sich von den Parteien nicht mehr repräsentiert und extremistische Akteure sind, zumindest laut Umfragen, im Aufwind. Was ist los mit der Parteiendemokratie? Mit dieser Frage beschäftigte sich das XXIX. Theodor-Litt-Symposium, welches am 2. Dezember 2025 in Leipzig stattfand. Der Titel war „Parteiendemokratie in Bewegung – zwischen Vertrauenskrise, Reformbedarf und demokratischer Erneuerung“.
Wir waren vor Ort, haben das Symposium verfolgt und mit einigen Akteuren gesprochen. Es ist nicht möglich, die gesamte Veranstaltung hier zu schildern, wir beschränken uns auf einige Punkte. Wer Interesse hat, kann sich die Aufzeichnung im Internet anschauen. Der Artikel ließe sich schon mit den Namen und Funktionen der Mitwirkenden füllen, wir werden einige benennen, alle anderen finden Sie hier.
Dr. Roland Löffler, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, legte in seiner Einführung auch gleich vor, mit der Zustandsbeschreibung.
„Die Vertrauenswerte des Sachsen-Monitors 2023 lagen für Parteien bei nur 10 Prozent, bei einem Maximalwert übrigens von 20 Prozent in den letzten Jahren. Enttäuschungen über politische und wirtschaftliche Entwicklungen paaren sich mit dem Fehlverhalten einzelner Politikerinnen und Politiker sowie mit der allgemeinen Unzufriedenheit, der mangelnden Bereitschaft, sich selbst längerfristig in einer Partei zu engagieren, der Verschiebung der politischen Auseinandersetzung aus Parteien hin zu Bewegungen mit rechter und linker Propaganda gegen Parteien und deren Protagonisten.“
Er betonte auch, dass sich politischer Wille, in westlichen Demokratien, in Parteien sammelt und artikuliert und alle anderen Bewegungen, so wichtig und politisch sie sind, ihren Eigensinn haben und den vorpolitischen Raum abbilden. Wir leben eben in einer Parteiendemokratie.
Prof. Dr. Wolfgang Schroeder, Vorsitzender der Denkfabrik „Das Progressive Zentrum“ in Berlin, folgte mit den Ausführungen unter dem Thema „Ernüchterung oder Erneuerung? Parteiendemokratie in der (Dauer-)Krise“. Auch hier nur kurze Auszüge, er wies darauf hin, dass die Sache mit dem Vertrauen in Parteien nicht so einfach ist.
„Da gibt es ein doch sehr interessantes Phänomen, nämlich, Herr Löffler hat es schon gesagt, das Vertrauen in die Parteien liegt bei 10 %, aber das ist gar nicht der Punkt, sondern das Vertrauen in die Partei, die man wählt, liegt bei fast 50 %.“
Ist das nun gut, wenn Wählerinnen und Wähler ihre Stimmen einer Partei geben, der sie nur zu 50 % vertrauen? In den weiteren Ausführungen wies er auch darauf hin, dass die Rekrutierungsfähigkeit, im Hinblick auf die Gesamtbevölkerung deutlich abnimmt. Von einst 4 % auf aktuell unter 2 %. Haben wir hier schon entscheidende Momente, die den Zustand des gegenwärtigen Parteiensystems umreißen? Sinkt das Vertrauen in Parteien und Politik im Allgemeinen?
Es folgte ein moderiertes Gespräch mit Publikumsbeteiligung, bei dem sich die Teilnehmenden zu verschiedenen Aspekten äußerten. Es ging unter anderem um die Rolle von Bürgerräten, Beteiligung und viele andere Fragen. Zu einigen Themen haben wir drei der Teilnehmenden Fragen gestellt.
Marco Wanderwitz (CDU), der Politiker
Er ist den meisten Menschen als ehemaliger Ostbeauftragter der Bundesregierung ein Begriff. Wir fragten ihn:
Herr Wanderwitz, ist es eigentlich schlimm, dass es, 35 Jahre nach der Vereinigung, überhaupt noch das Amt des Ostbeauftragten geben muss?
Schlimm ist, würde ich sagen, das falsche Wort. Es gibt halt immer noch Gründe, dass es das Amt noch gibt. Es gibt immer noch Dinge, die einerseits teilungsbedingte Sonderbedarfe sind. Auf der anderen Seite Dinge, wo man sagt, da sind in den neuen Ländern Sachen, da wollen wir noch dahin, wo die alten schon sind. Insofern finde ich schon, dass jemand am Kabinettstisch sitzt und diese Interessen vertritt. Das wird’s nicht ewig brauchen.“
Im moderierten Gespräch äußerte Marco Wanderwitz: „Im Übrigen glaube ich, dass natürlich der Schlüssel vor allen Dingen auf der kommunalen Ebene liegt. Da kann ich aber auch als langjähriger Stadtrat meiner Heimatstadt berichten, dass die Zahl derer, die im Ehrenamt gewählte Stadträtinnen und Stadträte sind, die sich für Kommunalpolitik interessieren und zum Beispiel Stadtratssitzung besuchen, sehr überschaubar ist. Wenn es was zu kritisieren gibt, sind sie natürlich alle an Deck.
Wir fragten nach:
Ist das Repräsentationsproblem eigentlich das Problem, dass viel zu wenig Leute am demokratischen Prozess teilnehmen?
Meiner Wahrnehmung nach ein Stück weit schon. Man muss halt vorsichtig sein, wie man’s formuliert, dass es nicht gleich direkt als Vorwurf rüberkommt, aber irgendwie ein bisschen ist es das schon so.
Ich sage mal, jeder der sich ehrenamtlich engagiert hat, in einem Stadtrat, in einem Gemeinderat, im Kreisrat, aber auch in einem Verein, kann ein Lied davon singen, wie viele einfach nur nehmen wollen, die nächste Veranstaltung, diese oder jene Entscheidung, dass man ehrenamtlich Stunde um Stunde verbringt, aber selber tun sie nix dafür. Ich denke, wir müssen ein bisschen mehr den Pops hochkriegen und mittun.
Maria Knips-Witting, die Journalistin
Frau Knips-Witting führte im moderierten Gespräch aus: „Zu der Frage, welche Möglichkeiten wir nutzen oder haben, die Politik zu beeinflussen? So sehe ich meine Rolle als Journalistin nicht, es geht darum, die Menschen so gut wie möglich darüber zu informieren, was in der Politik passiert. Dass man genau hinschaut, und nicht die Politiker zu beeinflussen, denn wir sind Journalisten und keine Aktivisten.“
Frau Knips-Witting, ein Problem für Journalistinnen und Journalisten ist, meiner Meinung nach, dass wenn wir Politik, besonders Parteienpolitik, ruhig und sachlich darstellen, die Klickrate sinkt. Aufmerksamkeit wird fast nur generiert, wenn wir es spektakulär darstellen. Wie sehen Sie das?
Ich denke, das ist einfach der heutigen Zeit geschuldet. In den sozialen Medien geht es darum, der oder die Laute zu sein. Aber wir müssen als Journalisten versuchen, trotzdem Ruhe zu bewahren, immer unsere Fakten zu überprüfen und uns davon nicht mitreißen zu lassen, denke ich. Dann ist auch die Qualität unseres Journalismus besser.
Wie sollen wir Ihrer Meinung nach vorgehen?
Daran, wie das funktioniert mit der Aufmerksamkeitsökonomie, werden wir relativ wenig ändern. Wichtig ist für mich, nicht immer gleich auf den neuesten Trend aufzuspringen, sofort mitzumachen und zu dieser Empörungskultur beizutragen, sondern einfach Ruhe zu bewahren und unsere Aufgabe so wahrnehmen, wie sie eigentlich ist. Und zwar eben die, dass wir nicht Schlagzeilen generieren, sondern Aufmerksamkeit.
Dr. Danny Schindler, der Politikwissenschaftler
Dr. Schindler ist Politikwissenschaftler und Direktor des Instituts für Parlamentarismusforschung (IParl) in Berlin. Zum Thema, dass Parteien in sich zerstritten sind, sagte er: „Stichwort, dass über Koalitionsverträge auch abgestimmt wurde in einzelnen Parteien, weil es eben schwierige Koalitionen waren, lagerübergreifend und da bestehen auch schon Potenziale in den Parteien, eben die Mitglieder mitzunehmen, einzubinden, zu beteiligen und die Parteien als Wurzelwerk der Demokratie auch stärker zu erhalten.“ Wir haben nachgefragt:
Herr Schindler, Bürgerinnen und Bürger erwarten von einer Partei, dass diese geschlossen eine Meinung vertritt. Wir hatten vorhin das Beispiel mit der Kanzlerwahl von Merz, wo viele plötzlich feststellten: Die sind sich innerhalb einer Partei gar nicht einig. Ist es normal, dass es immer parteiintern strittige Punkte gibt, die sich dann bis hin in den Bundestag ziehen? Müssen wir uns daran gewöhnen, dass eine Partei kein homogenes Konsortium ist?
Das ist ein ganz wichtiger Punkt, Parteien sind auch intern pluralistisch. Am Ende des Tages muss, muss die Partei dennoch versuchen, mit einer Stimme zu sprechen und für Geschlossenheit zu sorgen. Das ist ganz wichtig, damit Wählerinnen und Wähler wissen, woran sie sind und damit der politische Prozess weitergeht, Entscheidungen entwickeln werden.
Wichtig ist aber, dass am Ende eine Position steht. Nicht, dass es, wie wir das ja häufiger in den letzten Wochen hatten, Kompromisse gefunden werden und danach bricht ein Streit über den Kompromiss aus, zwischen innerparteilichen Akteuren. Es gibt Freiheit in der Diskussion, man streitet sich und am Ende hat man dann idealerweise auch eine gemeinsame Position, die man dann auch vertritt.
Das wird dann als Parteidisziplin bezeichnet, ist aber eigentlich die Zustimmung zu einem Kompromiss, dem die Mehrheit zugestimmt hat?
Parteidisziplin finde ich eigentlich ein ganz guter Begriff. Manchmal geistert es ja auch von der Medienberichterstattung der Fraktionszwang durch die Lande. Und wenn dieser Begriff, ja der ist natürlich völlig verquer und der Fraktionszwang gibt es nicht. Ein Beispiel dafür ist die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf. Wenn es den Fraktionszwang gäbe, dann hätten den ja die Fraktionsführer ganz leicht verhängen können und dann wäre die Wahl durchgegangen.
Soweit einige Stimmen der Podiumsteilnehmenden. Nach der Mittagspause, in der es die Möglichkeit gab, die Dauerausstellung zu besichtigen, folgte eine Arbeit in Gruppen zum Thema „Zeit für Experimente? Chancen und Perspektiven in Deutschlands neuer Parteienlandschaft“. Der Vortrag „Ostdeutschland als Zukunftsmodell? Politik ohne Parteien“ mit einer nachfolgenden Gesprächsrunde schloss das Symposium ab.
Wir fragten während der Mittagspause Dr. Heike Tuchscheerer, für den Veranstalter Deutsche Gesellschaft, nach ihren Eindrücken.
Frau Tuchscheerer, sind Sie bisher mit dem Verlauf der Veranstaltung zufrieden?
Wir freuen uns über die breite Resonanz. Unser Thema heute ist ja Parteiendemokratie in Bewegung. Die deutsche Gesellschaft richtet die Theodor-Litt-Symposien bereits seit 2016 aus und wir machen seit über 35 Jahren politische Bildung. Wir wollen natürlich den Wandlungsprozess der Parteiendemokratie in der heutigen Veranstaltung aktiv behandeln.
Parteiendemokratie in Bewegung bedeutet ja im Moment nicht unbedingt etwas Gutes.
Es bedeutet vor allem, dass wir an Flexibilität gewinnen müssen, auch Parteistrukturen müssen sich schneller anpassen und auf neue Wählerstrukturen reagieren. Es gilt, den Anpassungsprozess mit neuen Ideen zu begleiten und nicht nur Probleme und negative Punkte der Entwicklung zu sehen, sondern auch Chancen und Lösungswege aufzuzeigen.
Fazit: Das Theodor-Litt-Symposium zeigte verschiedene Aspekte der Veränderungen in den Parteienstrukturen auf, auch neue Wege wie Bürgerräte und andere Beteiligungsformen wurden behandelt. Eine Lösung für die aktuellen Probleme der Parteien konnte selbstverständlich nicht gefunden werden, das war auch nicht der Anspruch der Veranstaltung. Auf jeden Fall war es ein lohnenswerter Tag.
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