Obwohl es, Herr, noch lange nicht Zeit ist, möchte ich es jetzt schon einmal sagen: Dieser Sommer war sehr groß! Unvergleichlich diese Stimmung, wenn sich schwere Hitze anhaltend übers Land legt und es die Menschen zu den Gewässern, in die Parks oder an schattige Plätze drückt. Nur, auf dass diese dann arglosen Tätigkeiten nachgehen, dass man fast die Hoffnung zu hegen beginnt, es könne doch noch alles grillgut werden auf dieser Welt.

Man hatte in diesem Jahr tatsächlich das Gefühl, dass die Luft nach wochenlanger Freiheit schmeckte, ein bisschen nach kindlichen Sommerferien mit dem Ferienprogramm von Flensburg bis nach Oberammergau, wo man täglich beim Origami-Mitfalten kläglich versagte, um die Schmach über einer Episode “Lucie, der Schrecken der Straße” zu vergessen, um sich später endlos draußen herumzutreiben und sich Zwillingsästchen mit Kirschen über das Ohr drapierte.

Für Erwachsene hingegen wäre dieser Sommer die perfekte Kulisse für federleichte Stücke mit Verve und Esprit gewesen  – ein bisschen Moliere, ein bisschen Goldoni, mit Weißwein am Tresen oder Fassbrause. Und die Stadt hätte es verdient gehabt – stecken ihr doch noch immer ein paar unendlich lang erscheinende Sommer der vergangenen Jahre wie ein Stachel im Herzen, in denen man auf Sommertheaterbühnen das Treiben eines Intendanten auszuhalten hatte, der kein Engel war und deswegen auch nicht mehr so hieß. Weitaus tougher war er, er war hart, Mann.

Wir erinnern uns:

Als endlich alle städtischen Spielstätten von Raider in Twix umgetauft worden waren, hatte man eines Tages diesem Leipzig-Re-Import vom Prenzlauer Berg fahrlässigerweise auch noch die Herrschaft über das Sommertheater vor der Gohliser Schlosskulisse überlassen, was unter anderem dazu führte, dass dort seither Stücke aufgeführt wurden, die “Genie und Verbrechen” hießen und im Grunde vor allem letzteres waren:

Da flatterte unvermittelt im lauen Sommerwindchen unausweichlich das entblößte Gemächt des Hauptdarstellers, während nur wenige Momente später ein ausgiebiger Analverkehr angedeutet wird, ohne dass dafür irgendeine dramaturgische Notwendigkeit auszumachen gewesen wäre. Ich erinnere mich, dass sogar blinde Theaterbesucher dem Geschehen noch vor der Halbzeit zu entfliehen suchten.

Da nicht jeder immer einen eigenen Sehbehinderten mit sich zu führen wusste, saß der Rest mit leidendem Gesicht weiter auf den Holzbänken ab, die seelischen Wunden eines sich Verarschtfühlenden exakt 16 Euro weit aufklaffend. Preiswert war Sommertheater schon damals nicht.

Trotz allem:

Vergeben und vergessen kann man das alles, vergleicht man es mit dem Schmierenstück, das gerade in der Stadt an Theater geboten wird. Obwohl man zunächst zugeben muss, dass die Spielstätten an Originalität  dazu gewonnen haben. Spielen an zweckentfremdeten Orten scheint en Vogue zu sein, eine Turnhalle musste es diesmal sein und bitte nicht irgendeine. Es musste DIE Turnhalle der Stadt sein. Die Ernst-Grube-Halle, ein Platz, mit dem Generationen von Leipzigern Erinnerungen und Traditionen verbinden, ein Ort, der noch heute zahlreiche Funktionen miteinander verzahnt. Es gehört einiger Mut dazu, diesen Ort räumen zu lassen. Auch wenn das Stück sehr wichtig ist. Manchmal ist Mut aber auch nur interdisziplinärer Ahnungslosigkeit geschuldet.

Sei es drum. Wenn Regisseure nicht vor Ort mit den am Stück Beteiligten arbeiten, sondern in der Landesregierung in Dresden sitzen und der Rest der hiesigen Mannschaft im Urlaub ist, dann kann es schon mal drunter und drüber gehen bei wichtigen Entscheidungen, bei der Besetzung von Hauptrollen zum Beispiel.

Zu dumm nur:

Da das zu spielende Stück voraussichtlich länger als eine Kombination aus Faust I und II dauern wird, möglicherweise bis Weihnachten sogar, hätten die Hauptdarsteller eine besondere Betreuung, eine spezielle Vorbereitung verdient gehabt. Stattdessen aber werden sie einfach auf eine Bühne gestellt, ohne Kulissen, ohne Trennwände, ohne Privatsphäre und sollen uns vorspielen, wie Leben geht.

“Gut”,  werden die sagen, die trotz Vollschatten unterm Pony ständig Sonnenbrille oder Basecap tragen, “Kost und Logis kriegen die doch gestellt, ist doch mehr als man verlangen kann. Jetzt sollen die doch erst mal zeigen, dass sie was drauf haben.” Blöderweise ahnt man bei solchem Wortlaut immer, dass die das auch noch ernst meinen. Genau wie es sich die Menschen noch immer nicht abgewöhnt haben, einander ordentlich die Fresse zu polieren, nur weil die einen die einen und die anderen die anderen sind.

Und so werden wir alle gemeinsam erleben, ob das Sommerstückchen in der Grube-Halle imstande sein wird, sich in eine richtige Komödie zu verwandeln. Ob sich all die momentan schwelenden Schwierigkeiten nur als retardierendes Moment herausstellen und das Happy End sich vielleicht längst anbahnt. Weil die Hilfswelle der Leipziger nicht abebbt zum Beispiel.

Deus ex machina?

Oder weil wir auf einen Deus ex machina hoffen dürfen, der unverhofft eingreift, weil so was im richtigen Leben ja auch ab und zu geschieht. Wenn dem täglichen Einerlei plötzlich eine Verliebtheit oder ein glücklicher Moment subkutan in die Quere pfeift oder einem unerwartet jemand sagt “Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise …”

Oder – obwohl am unwahrscheinlichsten – ob seitens der vom Wähler auserkorenen Regisseure doch noch eine kreative Idee geboren werden wird. Aber dort hat man offensichtlich die Übersicht übers Drehbuch verloren  oder schon zu viel Energie bei der Selbstinszenierung verbraucht.

Ich hätte es nie für möglich gehalten, dies einmal sagen zu müssen, aber:

Man wünscht sich fast den einfachen Analverkehr vorm Gohliser Schlösschen zurück.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar