Wer sich am 20. Februar 2017 auf den Richard Wagner Platz verirrte, fand ab 18:30 Uhr eine Versammlung der „Bürgerbewegung Leipzig“ vor, die partout nicht Legida sein wollte. Personelle Schnittmengen zu früheren Demonstrationen, wie beim „Langen aus Roßwein“ fielen dabei flott unter den Tisch. Der Tonfall auf der Bühne versuchte dennoch irgendwie wohlgefälliger zu sein, man hatte etwas mehr Kreide als in früheren Tagen zur Hand. Offen für alle wolle man sein, hieß es immer wieder, mancher versuchte mit „der Antifa“ ins Gespräch zu kommen und fast wirkte alles nur noch wie ein hilfloser Versuch, die letzten, meist älteren Teilnehmer bei der Stange zu halten.

60 hatten es auf den Platz geschafft, unter ihnen viele Gesichter, die früher bei Legida anzutreffen waren. Die Themen: der Friede auf der Welt (wichtig wegen der teuren Ausländer, die jetzt das ganze Land verunsichern), die SPD (und der ganze grün-rote Rest) und die LVZ (auch rot natürlich, dazu gleich mehr).

Irgendeinen Gegner brauchen die Nichtnachfolger von Legida eben doch und so war es bei ihrer zweiten Versammlung das System. Zu dem ein Redner zurecht anmerkte, es würden in diesem immer wieder Kriege geführt, welche dann auch zu Flüchtlingsbewegungen beitragen. Die alte Diagonale tauchte wieder auf: Frieden ist gut, weil dann weniger Menschen kommen. Eine friedliche Welt mit vielen Menschen die nach Deutschland kommen, scheint irgendwie unvorstellbar, so eng fühlte sich auch heute wieder die Verknüpfung beider Themen an.

Auch wenn das eifrig angebotene Bürgermikrofon keinen willigen Abnehmer fand, wurde wieder über das Übel im Allgemeinen und im Besonderen und die wichtige Erneuererrolle der AfD gesprochen. So wie es sich gehört auf einer nichtrechten Nicht-Legida-Veranstaltung an einem Montag auf dem Richard-Wagner-Platz.

Und an die anwesende kleine Gruppe (welche im Laufe der Veranstaltung um herüberkommende Gegendemonstranten der heutigen AfD-Veranstaltung anwuchs) wurde appelliert, den Dialog zu suchen. Schließlich sei ja gerade der Frieden ein gemeinsames Thema und das müsse doch jeden interessieren. Der fand dann auch kurz statt, die Gegenfrage aus der Gruppe lautete, ob der zu ihnen getretene Redner das Programm der AfD gelesen hätte. Als dieser bejahte, blieb die Frage über dem Platz hängen, wie er sie dann zur Wahl empfehlen könne.

Zu mehr Kommunikation hatten dann alle in der Folge keine Lust mehr und so sprach man weiter über Krieg und Frieden auf der Bühne.

Der "Lange aus Roßwein". Erst bei Legida, jetzt bei der Bürgerbewegung. Foto: Alexander Böhm
Der “Lange aus Roßwein”. Erst bei Legida, jetzt bei der Bürgerbewegung. Foto: Alexander Böhm

Weitere Themen waren dann in loser Reihenfolge: Die SPD ist an allem Schuld, weil sie die Agenda 2010 eingeführt hat, Martin Schulz habe massig Geld verdient als EU-Parlamentspräsident und man müsse eben aus Ermangelung von anderen Möglichkeiten die AfD wählen. Zudem habe man der LVZ, die die „Bürgerbewegung Leipzig“ als rechtspopulistischen Nachfolger von Legida titulierte, eine Unterlassungsverfügung geschickt – allerdings privat, nicht mittels Anwalt, aber unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis 4.999 Euro im Wiederholungsfall.

Bis 16 Uhr habe man der Zeitung am heutigen Tage Zeit gegeben, eine Erklärung abzugeben, zukünftig nicht mehr zu behaupten, die „Bürgerbewegung“ sei rechtspopulistisch und der Nachfolger von Legida. Was diese nicht tat, zur Empörung des friedensbewegten Redners – und zack, da war wieder wenigstens einmal an diesem Abend die „Lügenpresse, Lügenpresse“ zu hören.

Ein kleiner Zusammenschnitt des Abends. Für einige Nicht-Legidas endete der Abend unter “Merkel muss weg”-Rufen als Spontandemo vor der “Alten Handeslbörse”, in welcher die AfD zum “Extremismus”-Abend geladen hatte. Video: L-IZ.de

Beinahe hätte es gefehlt und das wäre irgendwie bei dieser Art Begegnungsritual keine runde Sache gewesen. Das Verhalten der Zeitung sei zudem ja irgendwie logisch, da sie ja (wie gestandene L-IZ-Leser seit 2009 durch die Berichterstattung über den Verkauf durch Springer an Madsack wissen) dem Madsack Verlag („einem von vier Konzernen in Deutschland“) gehöre und der wiederum einen „großen Anteilseigner“ namens SPD habe.

Suggerierte Schlussfolgerung: Die SPD ist (erneut) schuld. Manchmal konnte man den Eindruck gewinnen, die Zuwächse der SPD in den derzeitigen Umfragen sei manchem hier wie ein Albtraum angefallen, da der Wunsch nach einer 51-prozentigen AfD-Bundesregierung gerade irgendwie in weite Ferne gerückt scheint.

Weitere Highlights der etwa einstündigen Begegnung im Halbdunkel

Es blieb absolut friedlich auf allen Seiten. Ein (in Zahl 1) Nicht-Legida-Teilnehmer älteren Semesters machte es sich zur Aufgabe, die L-IZ – Fotografen ausgiebig mit einem kleinen Flackerlicht zu blenden, um sich nach der Kindergarteneinlage stolz wieder seinen Begleitern und der Bühne zuzuwenden. Dass es manierlich zuging, zeigte sich jedoch daran, dass der gleiche Herr früher noch Journalisten mit “linksfaschistisch” tituliert hatte und heute nur mit einer Taschenlampe herumspielte.

Der Versuch einer Heimleuchtung. Foto: Lucas Böhme
Der Versuch einer Heimleuchtung, auf der Bühne hoffte man auf liebe Presse. Foto: Lucas Böhme

Zwei Ordner neckten sich mit den wenigen jungen Nicht-Legida-Menschen und zeigten sich eifrig gegenseitig ihre Handys und aus der Ferne nicht ermittelbare Inhalte darauf.

Die Gegendemonstration, nur 15 Meter entfernt, wurde nach einer halben Stunde der wichtigen Beredungen vor und von der Bühne herab immer lauter, es trillerte und rief immer zahlreicher, dass der Nationalismus keinen Platz in den Köpfen haben dürfe. Woraufhin die Polizei um Einsatzleiter Frank Gurke die spontan wachsende Demonstration um die Gruppe „Kaltland Reisen“ als demonstrationsstörend einstufte und nach einer Aufforderung sich zurückzuziehen, die jungen Menschen Richtung Zentrum auf dem Wagnerplatz im gemächlichen Spazierschritt abdrängte. Auch dies verlief friedlich und die Polizei wusste wieder, dass sie nicht umsonst gekommen war.

Dieser Einsatz fand beifällige Zustimmung aufseiten der Nicht-Legida-Nachfolger und man konnte sich wieder wichtigen Themen zuwenden, nachdem man Ruhe und Ordnung wieder hergestellt sah. Kurz nach 20 Uhr waren dann die Trailerbühne und die Einsatzkräfte verschwunden und ein leiser Nieselregen hing über dem Platz.

Kaltland Reisen ar auch dabei und organisierte den Gegenprotest. Foto: Lucas Böhme
Kaltland Reisen war auch dabei und organisierte den Gegenprotest. Foto: Lucas Böhme

Offen blieb die Frage, was es sonst noch zu berichten gegeben hätte. Man hatte am Ende der Veranstaltung Fairness von der anwesenden Presse eingefordert, doch diese war wohl mehrheitlich bei der AfD-Vortragsveranstaltung in der Alten Handelsbörse gelandet, weshalb die L-IZ die Bitte hiermit gern überbrachte. Der Rest hatte den Blendversuch eines (früheren!) Legida-Teilnehmers erlebt und dennoch ganz hübsche Fotos und Filmchen gemacht (diese folgen in Kürze). Ansonsten fühlte man sich vergleichweise gut, weil nicht aggressiv attackiert, aufgenommen bei den Bewegten, auch wenn man dem Sinn des Ganzen nur teilweise folgen konnte.

So konnte man noch erlauschen, dass es wohl auch mal Veranstaltungen in geheizten Leipziger Räumen im Sitzen geben soll, zu denen dann auch alle wieder eingeladen seien. Eine gute Idee, denn heute hatten einige Teilnehmer mit weniger ausdauernder Standfestigkeit die Demonstration vorzeitig wieder verlassen, der Rest zog nach dem Schlusswort ohne Polizeieskorte rasch von dannen.

Alles in allem: Man möchte bald wieder demonstrieren und sammelte zu diesem Zwecke Geld mittels Klingelbüchse. Viel kam nach oberflächlicher Beobachtung nicht zusammen.

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