Was für ein Frühlingstag! Da draußen überbietet die Sonne übermütig die Zielvorgaben, die der Wetterbericht mit ihr vereinbart hatte, es ist Sonntag, einer der bezauberndsten Tage der Woche, die Natur leistet sich den schönsten verzeihlichen Kitsch des Jahres, sogar der Flieder will tatsächlich schon raus und man selbst schleicht nicht mehr hustend und schwach wie eine Schwindsüchtige durchs Gedränge. Und dennoch: Die meisten der Passanten schleppen sich nicht recht glücklich aussehend umher. Kaum einer lacht oder scherzt mit der Begleitperson, missmutig oder leer so viele Gesichter. „Verdammt“, möchte man rufen, „was braucht es denn nun noch zum Frohsinn ...?!“

Besieht man sich ein paar Eckpunkte der kommenden Woche, wird schließlich rasch offenbar, dass bei Weitem nicht alles so großer Mist ist auf der Welt: Gründonnerstag zum Beispiel beginnen die Osterferien, auch wenn nicht alle gleichermaßen davon profitieren. Während viele von uns dann einhalten dürfen, Erwerbstätigkeit und andere lästige Pflicht hinter sich lassen, müssen einige jedoch noch durch: Der Handel zum Beispiel hat gefälligst zur Hochform aufzulaufen und eine Rekordsumme an verkauften Schokoladenosterhasen zu erreichen. Ärzte und medizinisches Personal müssen wie stets wachen Sinnes am Start bleiben, um erwartbare Gallenkoliken und anderes Ungemach zu lindern. Mitarbeiter der Deutschen Bahn haben einer erhöhten Anzahl an Fahrgästen Wünsche von den Augen abzulesen.

Selbst ältere Herren sind nicht gänzlich von allem befreit. Papst Franziskus zum Beispiel muss nächste Woche richtig ran: Er wird am Gründonnerstag wie immer Füße waschen. Diesmal handelt es sich um die Extremitäten inhaftierter Ex-Mafiosi, die sich geständig gegeben haben und auf der „Festung der Unsichtbaren“ – eine Autostunde von Rom entfernt – ein halbwegs sicheres Häftlingsleben führen.

Ich weiß, wir leben in Mitteldeutschland und der Papst ist im Gegensatz zu Luther in seiner Merchandising-Produkt-Verwertbarkeit gerade nicht das Stadt-Land-Fluss-Gespräch. Auch fungiert er für viele sicher als eher marginaler Grund für Frohsinn und gute Laune, ich aber rufe: Für mich ist das anders, denn dieser Papst will einfach nicht aufhören, mir zu gefallen – und das nicht erst seit Erscheinen seines Positionspapiers zum ganz konkreten fare l’amore, in dem es heißt: „Wir dürfen also die erotische Dimension der Liebe keineswegs als geduldetes Übel oder als eine Last verstehen, sondern müssen sie als Geschenk Gottes betrachten.“

Oder um es mit Ed Sheeran zu übersetzen: „I’m in love with your body“ zu sagen und auch noch danach zu handeln, scheint offensichtlich doch keine so große Sünde zu sein. Da war doch schon mal Aufatmen angesagt.

Da Sexiness heute ohnehin ein fester Pfeiler unserer Gesellschaft ist, gestehe ich: Ich finde das sexy. Noch sexier (steigert man das so?) finde ich fast, dass der Papst auch Themen wie Luther und die Reformation nicht ignoriert, was in keiner Weise als selbstverständlich gelten kann.

Es für wesentlich zu halten (und sogar öffentlich auszusprechen), dass man beim Reformationsgedenken nicht Gefangener der Vergangenheit bleiben darf, immer nur der Frage auf der Spur, wer Recht oder Unrecht hatte, auch das erscheint mir ein gewaltiger Sprung nach vorne zu sein.

Um es klar zu sagen: Vom in der Geschichte praktizierten Katholizismus fühle ich mich eher wenig enthusiasmiert. Viel Geschrei, viel Zeter und Mordio, viel Widersprüchlichkeit, zu viel Inquisition, zu viele verbohrt formulierende Männer (gerne alt), die Wasser predigen und beim heimlichen Weintrinken diskret frische Knaben vernasch(t)en.

Oder einfach nur die Haushälterin dornenvögelten, ohne den Effekt einer gelassenen Zufriedenheit offensichtlich, weil immer noch im „richtigen“ Leben Verdammnis und Ausgrenzung forcierend. Das jahrhundertlange Hinnehmen jener Doppelt- und Dreifachmoral fetzt eben nicht für jeden.

Ich ahne aber, dass es Millionen Katholiken ernst ist mit ihrem Glauben, dass sie ihn aufrichtig zu leben versuchen und durch die ihm innewohnende Begrenzung auch eine gewisse Festigkeit für ihr eigenes Leben erlangen. Trost und Orientierung inklusive. Dies kann und will man nicht infrage stellen, wenn man halbwegs für sich beansprucht, geistig noch nicht im Palliativmodus gelandet zu sein.

Papst Franziskus kann man vielleicht dafür kritisieren, dass er im falschen Verein sei. Aber das bringt überhaupt nüscht und ist auch nicht sicher. Sicher aber scheint mir: Da ist ein Mensch. Endlich ein richtiger Mensch am Drücker. Der sein Christentum in erster Linie als eines der Nächstenliebe versteht, der sich zur Öffnung der Kirche aufmacht, der mit Protestanten gemeinsam an die Reformation erinnert, der sich zu Migration als Chance äußert, der nicht im Herzen verurteilt, sondern tausend Brücken zu schlagen begonnen hat, der uns daran erinnert, dass wir unseren Kompass verlieren, wenn wir in der Abkapselung „nur die Luft unseres Wohlstandes atmen“ und dass es eben nicht normal ist, Obdachlosigkeit und Armut wie irgend etwas diffus „zur Stadtlandschaft Dazugehörendes“ hinzunehmen, dann ist das vor allem eines – ein verdammt gutes Gefühl.

Fassen wir folglich im österlichen Vorfreudenhaus fröhlich zusammen: Es lebe das Franziskus-Fieber, auch Wittenberg liegt jetzt am Tiber!

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