Über die Alles-Schwarz-Seher hab ich ja schon geschrieben. Aber was steckt dahinter? Warum können so viele Leute keine Zukunft mehr sehen? Warum können sie sich nicht vorstellen, dass das Ganze, „wenn es so weitergeht“, nicht doch ein Leben mit Freude beherbergen könnte? Irgendjemand fragt da falsch. Wahrscheinlich leider doch die Konrad-Adenauer-Stiftung.

Denn deren Frage, die so viel Fatalismus bei AfD und Linke offenlegte, lautet ja nicht: „Wenn das so weitergeht, sehe ich schwarz.“ Sondern: „Wenn das so weitergeht, sehe ich schwarz für Deutschland.“ Das ist ein Unterschied. Das vermengt die Zukunftserwartungen der Befragten mit einem emotional und ideologisch aufgeladenen Begriff: „Deutschland“.

Unter dem sich die meisten Befragten völlig unterschiedliche Dinge vorstellen.

Eigentlich verbietet es sich, überhaupt so eine unbedarfte Frage zustellen. Denn natürlich spricht sie genau das irrationale Denken in der AfD-Gemeinde an, wo Deutschland wieder so heilig aufgebrezelt beschwärmt wird wie zu Zeiten Wilhelms II. Es ist dort eindeutig ein mythisch aufgeladener Begriff.

Während andere Parteianhänger – bei CDU, FDP und SPD bestimmt – wohl eher den Staat vor Augen haben, die „Bundesrepublik Deutschland“ in ihrer Rolle auf internationalem Parkett und als staatlicher Definitionsraum.

Schon diese beiden Sichtweisen zeigen, dass die Leute mindestens zwei verschiedene Fragen gelesen haben.

Eine dritte steckt in der nur zu berechtigten Kritik, ob Deutschland nun ein nationalistisch aufgeladener Topos ist, der für das Ideal einer homogenen, kulturell sortierten Gesellschaft steht (sozusagen die brachiale Realisierung des Mythos), oder ob es ein modernes, lebendiges, weltoffenes Land bleibt. Denn natürlich gibt es viele Menschen, die sehen das weltoffene Land in Gefahr, wieder ein militaristischer, totalitärer Staat zu werden. Auch da kann man dann „schwarz für Deutschland“ sehen.

Das wäre schon die dritte Grundhaltung zu dieser Frage. Es sieht ganz so aus, sehr geehrter Prof. Dr. Norbert Lammert, als hätte ihre Stiftung eine ziemliche Blödsinn-Frage stellen lassen.

In Wirklichkeit erfährt man überhaupt nicht, wer warum schwarz für „Deutschland“ sieht.

Das man auch so schreiben könnte: „„Deutschland““.

Denn es ist – immer noch und immer wieder – ein hochgradig schwammiger Begriff. Er schillert und er verändert sich, wenn man ihn aus dem Bereich der Sprache in den der Innenpolitik verschiebt. Und jeder weiß, dass er sich im Bereich der Außenpolitik schon wieder verändert. In der Geschichte war er sowieso sehr veränderlich. In der Literatur auch. Usw.

Er trägt eine riesige Last von Vorstellungen mit sich herum. Was spätestens spürbar wird, wenn Leute, die mit Heines Sarkasmus überhaupt nichts anfangen können, vor sich hin nölen: „Denk ich an Deutschland in der Nacht …“

Passiert mir eigentlich nicht, dass ich nachts ausgerechnet an so etwas Abstraktes wie „Deutschland“ denke. Ich muss ja nicht im Exil in Frankreich leben. Da könnte das dann schon passieren. Aber wer von diesen Nölern weitergelesen hat, weiß, dass es in diesem Text gar nicht um das romantisch aufgebrezelte Deutschland geht, das damals von den Romantikern erfunden und heute von den Nationalsentimentalisten gedacht wird, sondern um Heines Mutter, die er sehr vermisst. Denn: Heinrich Heine ist ja Flüchtling. So denkt ein Flüchtling an das Land, aus dem er fliehen musste.

Horrido.

Bleibt trotzdem die Erkenntnis: Es gibt einen klaren Anteil an der Bevölkerung, der mit Bangen in die Zukunft schaut. In Sachsen sind es 22 Prozent – laut „Sachsen-Monitor 2017“. Hier ging es um die ganz persönlichen Zukunftsaussichten. Der „Sachsen-Monitor“ ist von der wissenschaftlichen Tragfähigkeit deutlich belastbarer als die Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung. Es vermeidet die mythischen Begriffe möglichst. Denn da käme allerlei Unfug bei heraus, egal, ob man dann nach dem Gesundheitszustand Deutschlands, Sachsens oder des Heiligen Dresdens fragen würde.

Denn unsere Erfahrung zeigt: Darüber wissen die meisten Leute fast nichts. Sie wissen nicht, wie robust unsere Wirtschaft ist, unsere Verfassung oder unser Staat, wie gut unsere Auslandsbeziehungen und unser Bildungssystem … Alles Dinge, nach denen die Nationalromantiker nie fragen, wenn sie ihre romantischen Fragen stellen. Denn die suggerieren ja nur zu gern, dass das arme, kleine Deutschland sich vor ihren Augen auflösen könnte wie Zucker im Muggefuck.

Sie haben nie gelernt, die Stärke unserer Sprache und die Strahlkraft unserer Kultur einzuschätzen. Sie schwafeln von Leitkultur – und negieren schon damit, dass Kulturen nicht leiten, sondern präsent sind und atmen. Kulturen sind wie große Sterne, die eine riesige Anziehungskraft ausüben, so stark, dass die klugen Menschen aus aller Welt zum Studieren, Arbeiten, Leben extra in diese Kultur einreisen. Kluge Staatsmänner stärken diese Wirkung. Und so betrachtet, war Bismarck ein kluger Staatsmann. Und die CDU-Erfindung „Leitkultur“ war eine Schnapsidee. Oder eine Bieridee. Der Alkoholgehalt ist jedenfalls beträchtlich.

Wer mit einem mythisch aufgeladenen Begriff hantiert und ihn permanent mit negativen Bildern auflädt, muss sich nicht wundern, wenn haufenweise Leute meinen, mit dem armen Deutschland ginge es bergab. Das Verblüffende ist: die deutschen Nationalromantiker verbreiteten auch schon vor 130 Jahren genau so eine Stimmung. Burgmentalität nannte man das damals.

Das riesige, wirtschaftlich prosperierende Reich war in ihren Proklamationen ringsum von Feinden umgeben, der Untergang nahe. Eine ganze gesellschaftliche Elite hat sich in regelrechte Untergangsphantasien hineinschwadroniert. Das exemplarische Werk dafür ist das seit 1912 entstehende „Der Untergang des Abendlandes“ von Oswald Spengler, einem Mann, der schon die Demokratie für den Untergang des Landes hielt.

Dieses Großwerk großdeutscher Untergangsstimmung begann ab 1918 zu erscheinen. Da sind wir also wieder. Zurück in den Untergangsphantasien der demokratiefeindlichen deutschen Elite von 1912.

Da kommt man raus, wenn man über eine komische Frage des Konrad-Adenauer-Institus nachdenkt.

Hätte ich jetzt auch nicht gedacht.

Die ganze Serie „Nachdenken über …“

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