Es ist verblüffend, aber wahr: Niemand hat so schnell und gründlich gelernt, wie man das Internet für seine Zwecke gebrauchen kann, wie die Rechtsradikalen. Wenn wir heute die zunehmende Panik beobachten, die immer mehr Bürger ergreift, dann hat das damit zu tun. Denn dort, wo die meisten glauben, am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen, dominieren die Rechtsextremen.

Wobei Rechtsextreme alles umfasst – von den bestens vernetzten gewaltbereiten Netzwerken über die Altright Bewegung aus den USA bis zur AfD. Dass die AfD so stark wurde in der Wählergunst, hat Gründe. Und das sind kommunikative. Wer die meisten Menschen mit seinen Positionen, Schlüsselworten, Denkweisen erreicht und die aktuellen Diskussionen immer wieder an sich zu reißen vermag, der bekommt natürlich auch Wählerzuspruch.

Und dominiert die Diskussion. Und zwar ziemlich schnell. Das Ganze hat Methode. Und wer aufmerksam ist, merkt es, wenn die aktiven Guerilla-Krieger in den Netzwerken auftauchen und die Diskussion in eine andere Bahn lenken. Das Thema also einerseits besetzen und dann auch noch dafür sorgen, dass es keine wirklich offene Diskussion mehr gibt.

Man zwingt allen anderen seine eigene Sichtweise auf. Die ist nun freilich bei Rechtsextremen immer eine fatalistische. Sie malen düstere und bedrohliche Bilder. Stichwort: Frames.

Wer hier fleißig mitgelesen hat, weiß, was das ist und wie es funktioniert.

Und keine Plattform eignet sich besser dafür, die ganze Diskussion in Frames zu zwängen, wie die „social media“, wo es nun einmal keine Moderation gibt.

Das klägliche Versagen von Facebook 2016 hat es ja überdeutlich gezeigt: Die hübsche Tech-Idee eines riesigen, völlig unregulierten Diskussionsraumes, in dem alle alles sagen dürfen, führt dazu, dass ein paar wenige die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen und ganze Wählergruppen beeinflussen können.

Der Fokus liegt zwar bis heute auf den viel diskutierten russischen Einflussnahmen.

Aber noch viel intensiver haben die rechtsextremen Netzwerke gearbeitet.

Und warum sie mit ihrer Methode, die politische Diskussion zu überschreiben, solchen Erfolg haben, hat der Leiter des MIT Media Lab, Joi Itō, in einem Interview der „Zeit“ benannt: „Ich muss zugeben, dass ich am Anfang aber auch daran geglaubt habe. Gerade in den frühen Tagen des Internets. Da habe ich noch gedacht: Könnte jeder Mensch nur seine Stimme erheben, dann käme der Weltfrieden. Das ist ja eigentlich auch die richtige Idee. Es stellte sich bloß heraus: Gibt man jedem eine Stimme, sind die Arschlöcher die Lautesten. Sie übertönen alle anderen. Wir waren sehr naiv damals, als es mit dem Netz losging. Manche sind es bis heute. Aber eigentlich bin ich wirklich ein Optimist.“

In Wirklichkeit reißen die Schreihälse die Diskussionen an sich, lassen ein freies Gespräch unter Gleichberechtigten nicht mehr zu. Und sie sorgen dafür, dass das Misstrauen wächst. Ganz systematisch. Das Misstrauen in das Funktionieren der Demokratie, in die Medien, in die Wissenschaft, in die politischen Parteien, die kurzerhand zur „Elite“ erklärt werden. Und wenn man von einer abgehobenen Elite regiert wird, kann ja nichts, was aus einer dieser Parteien kommt, in irgendeiner Weise vertrauenswürdig sein, oder?

Wer aber das Misstrauen in die Funktionsfähigkeit der Demokratie schürt, der strebt, wie Renate Künast in einem Interview mit der F.A.Z. erklärt, den „Systemsturz“ an. Wobei schon das Wort System aus dem Vokabular der Nationalsozialisten stammt. Damit haben sie „das System“ der Weimarer Republik angegriffen und diskreditiert.

Wenn heute genau solche Frames aus dem Vokabular der Nazis wieder im gesellschaftlichen Diskurs auftauchen, dann hat das selbst System. Dann wird gezielt und beharrlich und mit einer Menge Ressourcen daran gearbeitet, den politischen Diskurs an sich zu reißen und sogar die konkurrierenden Parteien dazu zu zwingen, rechtsradikale Begriffe zu übernehmen und letztlich ihre eigene Politik immer weiter nach rechts zu verschieben, weil es ja so aussieht, als würde „das Volk“ ganz etwas anderes wollen.

Aber will es das?

Wer will das wissen? Immer dann, wenn wir einen von den wirklich Aufgeregten und Wütenden, die sich in unseren Diskussionen zu Wort melden, zu einem wirklich offenen Gespräch bringen, stellt sich heraus, dass sich hinter dem ganzen Wirrwarr aus dem rechtsradikalen Bildgebrauch echte, menschliche Sorgen und Probleme verstecken. Aber sie werden nicht benannt, sie finden nicht zur Sprache, weil das „Themensetting“ der Rechtsradikalen so wirkt, dass immer ein Schuldiger gesucht wird, immer irgendein imaginärer oder scheinbar realer „Feind“ für alles verantwortlich ist.

Es legt sich wie Mehltau über die Diskussion, stellt Renate Künast fest.

Oder im ganzen Wortlaut: „Aber natürlich haben die Politiker da etwas versäumt. Wir müssen wieder die Alltagsfragen der Menschen zum Kern unserer Politik machen: Kinder, Bildung, Gesundheitsversorgung, Pflege. Und sie für neue Jobs qualifizieren, die durch unsere Anstrengung für den Klimaschutz entstehen. Vor allem müssen wir aber klar sagen, was die AfD will: die Abschaffung unserer demokratischen Strukturen und des Respekts. Und das müssen wir sagen, ohne unsererseits respektlos zu sein. Die Migrationsfrage lag wie eine Art Mehltau über allem anderen und hat kaum zugelassen, dass wir uns sichtbar den anderen Themen gewidmet haben. Aber das wird inzwischen anders.“

Kinder, Bildung, Gesundheitsversorgung, Pflege – das sind die Sorgenthemen unserer Zeit. Stattdessen wird immer wieder über „Flüchtlinge“ debattiert, „kriminelle Ausländer“, „islamistische Bedrohung“. Sie merken schon, wie allein das Zitieren solcher Worte wirkt: übermächtig, bedrohlich. Es zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Logisch, dass dann nur noch Panik dominiert. Als ginge es tatsächlich um Homogenität versus Multikulturismus, beides übrigens Frames der Rechtsradikalen. Muss man ja mal sagen. Es suggeriert auch, dass wir mit unserem Erwirtschafteten prima zurechtkämen, wenn wir nur alle Leute wieder rausschmeißen, die nicht unsere Hautfarbe oder Religion haben. Oder gar unsere Leitkultur.

Das weite ich jetzt nicht aus. Aber jeder merkt es überall, wo Diskussionen immer wieder ins selbe Fahrwasser gelenkt werden. Das passiert ganz professionell.  So nebenbei sorgt es dafür, dass sich nachdenkliche und kritische Menschen aus diesen Diskussionen immer mehr zurückziehen. Was erst recht den Effekt verstärkt, dass in den Kommentaren und Diskussionen nur noch Häme, Verachtung und Panik herrschen.

Was aktuell gerade droht, auch in die Wirklichkeit zu schwappen. Das Gefühl haben immer mehr Menschen.

Wenn man ein wenig darüber nachdenkt, merkt man, dass Demokratie sogar zwingend auf eine gute Moderation angewiesen ist, eben damit nicht die Schreihälse die wirklich wichtigen Debatten an sich reißen und zuschütten mit ihrem Hass auf eine freie, offene und demokratische Gesellschaft.

Das freie Gespräch braucht eine gute Moderation.

Erstaunlich, dass man das noch so betonen muss. Sonst kommen die Nachdenklichen, Rücksichtsvollen, Respektvollen nämlich nicht mehr zu Wort.

Oder mit Renate Künasts Worten: „Wir alle müssen im Alltag wieder lernen, zuzuhören und Respekt einzufordern, für uns und andere Menschen. Und wir müssen uns klar abgrenzen von rechter Hetze, indem wir nicht die gleichen Begriffe verwenden. Und natürlich müssen wir Politiker die Probleme auch anpacken die da sind.“

Und zwar die richtigen Probleme richtig. Und nicht die verdrehten Probleme falsch.

Die Serie „Nachdenken über …“

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Es gibt 9 Kommentare

Zur Frage Mathias 1 zurückzukommen; unter zivilisierten Menschen ist ja gar keine Moderation nötig, die kommen schon klar. Das gesellschaftliche Klima begünstigt jedoch Krakeler, die sind durchsetzungsfähig, wettbewerbsfähig etc. Dass momentan die Schaumschläger und Bauernschlauen dominieren (siehe auch Politik, Wirtschaft), hat mit unseren Vorstellungen von Erfolg zu tun. Macher werden gefeiert, Denker verachtet. In einer solchen Gesellschaft sind Moderatoren automatisch Menschen, die Diskutanten auch einmal die Position des Anderen erklären, mäßigend (moderierend) eingreifen müssen. Nur eine Demokratisierung aller Lebensbereiche, Teilhabe (als Recht und Zwang) und ständiges Üben unter Aufsicht eines Moderators können, m.E., daran etwas ändern. Und mit Ellen bedeutet das auch die Schaffung von Sanktionsmöglichkeiten gegen diejenigen, die den Lernfortschritt behindern. Die Schule der Demokratie ist der öffentliche Raum.

Es geht hierbei auch um die Kompetenz von Social-Media-Teams und die Verantwortung von (Online-)Zeitungsredaktionen.
Wenn man sich die Kommentare unter dem Renate Künast Artikel in der FAZ anschaut, ist da eine Troll-Armee zu Gange.
Über 300 Kommentare mit deutschen Nutzernamen ohne Überschneidungen, inhaltlich gegen Frau Künast persönlich, gegen Grüne, Verharmlosung der AfD..
Liest sich, wie verschiedene (Schein-)Argumente in einer Datenbank zu den Themen zusammengestellt mit sich textlich möglichst wenig überschneidenden Aspekten.
Eine ‘Trollarmee’ am Werk, wobei man hier nicht auf die Anzahl der Mitglieder schließen kann.
Die Kommentarfunktion einfach zu schließen, ohne mindestens einen einordnenden Kommentar der FAZ-Redaktion obendrüber, wirkt einfach verantwortungs- und hilflos.

Bei der FAZ muss man sich zum Kommentieren nur mit Namen und Email-Adresse anmelden.
Anonyme Emailadressen auszuschließen wäre ein erster Schritt, zumal diese nur dem Portal bekannt sind.
Dann könnte man auch bei solch einem Cyber-Angriff sinnvoll Anzeige erstatten.

Mit ‘normaler’ Moderation und der Hoffnung auf vernünftige Gegenkommentare der Leser kommt man hier nicht weiter, das geht einfach unter.

Genau das ist das Problem: wer immer wieder angegriffen wird, weil er sich einfach nur auf geltendes Recht beruft, der wird irgendwann still, zieht sich zurück.
Das dürfen wir aber nicht. Denn umso lauter empfindet man die Hetzer. So entsteht dann der Eindruck, dass die in der Überzahl sind, es setzt ihnen ja keiner mehr was entgegen.
Nee nee, wir dürfen nicht nachlassen. Wir müssen nicht laut sein, aber da sein, sichtbar, immer.

Als gute Moderation empfinde ich es, wenn auf einen halbwegs respektvollen Ton geachtet und bei Nichteinhaltung dann auch eingegriffen wird (so wie es auf der Facebookseite der L-IZ ja auch geschieht). Beleidigungen, Hetze und Drohungen dürfen da auch gern gelöscht werden, das hat mit Zensur ja nichts zu tun. Auch Hinweise, doch mal beim Thema zu bleiben, sind ganz sinnvoll, erst recht, seit sich ganze rechte Trollgruppen gebildet haben, um jedes noch so harmlose Thema für ihre Hetze zu missbrauchen. Selbst unter Artikeln zur letzten Dürre konnte man Sachen wie “Dann fühlen sich Merkels Gäste wenigstens wohl” finden, und leider greifen die wenigsten Zeitungen rechtzeitig ein und es schaukelt sich immer weiter hoch. Da gibts ja gerade auch in Leipzig mit der LVZ ein Parade-Negativbeispiel. Denen scheinen die Hetzer ganz recht zu sein, so kann man wohl künstlich die Lesezahlen hochjagen. Hetzer bringen ja meist einen ganzen Trupp Gleichgesinnter mit.
Natürlich brauchts da auch besonnenen Gegenwind anderer Leser, die ziehen sich aber schnell zurück, wenn sie vom Seitenbetreiber nicht wenigstens vor persönlichen Angriffen geschützt werden.
Das hat auch mit freier Meinungsäußerung nur noch wenig zu tun und ist im Gegenteil oft im strafbaren Bereich.

Danke für die Hinweise, doch denke ich, daß gegen ganz bewußte Disruption auch ein guter Moderator machtlos ist. Dann hilft nur noch löschen und sperren. Und ich bin wieder bei meinen Fragen oben.

Moderation bedeutet Vermittlung. Wie soll ein Moderator zensieren – es ist doch dann schon gesagt? Oder liegt eine Verwechslung mit Diktat vor?

Klar, ohne Moderation übernehmen die Schreihälse. Aber Moderation bedeutet immer auch Zensur. Irgendjemand legt fest, was gesagt werden darf und was nicht. Dies steht aber im Widerspruch zur freien Meinungsäußerung.
Wer soll moderieren?
Soll es wirklich keinen keinen freien Raum geben?
Wenn doch, wie müßte er aussehen?
Dies Fragen sind für mich offen.

Es gibt das Sprichwort: “Den Sack schlägt man, den Esel meint man.” Wir sollten bei allen Emotionen den Esel klar benennen, der sich unter einem großen Sack verborgen hat. Dabei sollten wir, als Menschen, nicht vergessen ob wir uns an seinen “Esel-Vorgaben” gänzlich abarbeiten wollen oder lieber lernen unser eigenes Leben selbst-bewusst gestalten und zu leben. Dann sollte doch das Futter für den Esel knapp werden.

Schreiben Sie einen Kommentar