Am Freitag, 28. Dezember, starb einer der ganz Großen und Nachdenklichen in der Literatur: der israelische Schriftsteller Amos Oz. Der „Spiegel“ veröffentlichte aus diesem Anlass noch einmal ein Interview mit ihm aus dem Jahr 2017. Mit einer kleinen Wahrheit, die beschreibt, warum wir die schönste aller Welten den Trunkenbolden und Westernhelden zum Fraß vorwerfen.

Natürlich wurde dieser aufrichtige Pazifist, dessen Romane in einigen ruhigeren Stunden unbedingt wieder zu lesen sind, nach dem ewig scheinenden Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern gefragt. Und nach den vertanen Chancen, diesen Konflikt endlich zu lösen. Und Oz stand immer für eine kluge Zweistaatenlösung. Aber die Chance, zu dieser Lösung zu kommen, wurde vertan.

Nicht, weil die betroffenen Völker es nicht wollen, sondern weil machtbesessene Männer um ihrer Macht willen immer wieder überreizt und alles auf Konfrontation gebracht haben.

Männer, die sich wie fiese Leinwandhelden benommen haben. Und benehmen.

Amos Oz im Interview: „Das weiß ich nicht. Die Antwort liegt nicht allein hier. Die Demokratie steckt an vielen Orten der Welt in einer schweren Krise. Politik wird zu einem Teil der Unterhaltungsindustrie. Die Menschen wählen nicht mehr den besten Politiker, sondern den unterhaltsamsten, lustigsten Kandidaten.“

Oder eben den, der die Rolle des allwissenden und tatmächtigen Helden am besten spielt.

Und das sind in der Regel alles Männer, die keine Rücksicht nehmen. Unterstützt in der Regel von gleichgesinnten Männern, die ebenso bereit sind, aufs Ganze zu gehen, rücksichtslos über den politischen Gegner wegzuwalzen, weil sie diese Art politisch zu denken für normal halten. Teilen, spalten, unterwerfen, das sind ihre Methoden, ihrer Meinung und ihrem Willen Platz zu schaffen.

Ein ganz fataler Vorgang in einer Demokratie, die eben nicht bedeutet, dass jemand im Namen des Volkes die Macht an sich reißt und alle anderen dazu zwingt, nach seiner Pfeife zu tanzen.

Aber so sind unsere Filme gestrickt. Die erfolgreichsten Blockbuster triefen von Krieg und Gewalt. Gegner werden niedergemetzelt, die Städte der anderen zerstört. Mental sind wir – was unsere riesige Unterhaltungsindustrie (bis hin in die noch immer gefeierten gewalttätigen Online-Spiele) – noch immer im Alten Testament zu Hause, da, wo ein finsterer Gott seine Krieger ausschickt, die fremden Stämme samt Frauen und Kindern niederzumetzeln.

Und dieses Bild vom gnadenlosen Kriegerkönig haben sehr viele aufstrebende Politiker in der letzten Zeit verkörpert. Sie wirken wie Erlöser in scheinbar chaotischen Zuständen. Obwohl wir weit davon entfernt sind, wirklich in bedrohlichen Umständen zu leben. Im Gegenteil: Noch nie hatten wir so viele Möglichkeiten, die Dinge zu ändern und – zu gestalten.

Aber etwas hat sich gründlich geändert. Möglicherweise genau seit Margaret Thatchers berühmten Mantra „There is no alternative“, das Angela Merkel so nonchalant übernommen hat. Politik scheint regelrecht erstarrt, als hätte jemand den Stecker rausgezogen und den so wichtigen Streit aus der Demokratie vertrieben. Den richtigen Streit, den, in dem es um Argumente geht, Haltungen, Lösungsvorschläge und Alternativen.

An seine Stelle ist ein theatralischer Streit getreten, wie er in Talkshows zu erleben ist. Die nur allzu oft an die berühmten Showdowns in amerikanischen Western erinnern: Mit Worten wird so lange provoziert, bis einer aus der Rolle fällt, also symbolisch zum Colt greift.

Mit echtem Streit hat das nichts mehr zu tun.

Ein Thema, das die „Frankfurter Rundschau“ in einem Interview mit der Politikwissenschaftlerin Astrid Séville aufgegriffen hat. Denn selbst den hartleibigsten ist mittlerweile aufgefallen, wie sehr sich das, was wir als politische Auseinandersetzung erleben, verroht hat. Dass es überhaupt keinen echten Streit über wirklich kluge Alternativen und Lösungsansätze mehr gibt.

Es scheint wie eine gläserne Decke zu sein, die selbstreferenzielle politische Nicht-Gespräche über allem schweben lässt, während die Betroffenen nur noch entsetzt zuschauen können, wie sich ihre Demokratie in etwas verwandelt, das erschreckenderweise der fliegenden Insel Laputa aus Gullivers Reisen ähnelt, die über dem schönen Land Balnibarbi schwebt, mit hochvergeistigten Bewohnern, die sich aber anmaßen, die Bewohner von Balnibarbi schikanieren zu dürfen.

In gewisser Weise hat das genau mit dem zu tun, was uns Politiker/-innen wie Thatcher als neue Politik verkauft haben – alternativlos. Schon damals hätte man schreien müssen. Aber augenscheinlich haben sich überall ganze Parteien dieser Alternativlosigkeit angedient und begonnen, eine Art des Sprechens zu etablieren, die die Wähler nur noch anödet, abschreckt, erschreckt, mit tiefstem Grausen erfüllt.

„Nein, Sprache ist natürlich ein Symptom unserer Politik. Darum geht es ja auch gerade: zu zeigen, dass Sprache und Politik unmittelbar zusammenhängen und dass Floskeln symptomatisch sind für einen bestimmten Politikstil. Gerade in den letzten Jahren hörten wir unzählige technokratisch-verschwurbelte Worthülsen und dahinter steckte schließlich auch ein technokratischer Politikstil.

Die Parlamente haben gegenüber den Regierungen an Bedeutung verloren; Krisenmanagement ging zulasten parlamentarischer Debatten und Kompromissfindung“, sagt Astrid Séville in der „Frankfurter Rundschau“. Und sagt damit etwas, was unsere öden Redner und ihre windigen Redenschreiber vergessen haben: Dass Worte nicht nur den Politikstil prägen, sondern auch Macht haben.

Einlullende Macht, wie wir nun nach 15 Jahren Angela-Merkel-Stil wissen.

Astrid Séville setzt die „maskulin-väterlich auftretenden Typen“, die Macher, „die sich hinstellen und sich ihrer Sache immer sicher sind und Durchsetzungsstärke signalisieren“ dem abwägenden Politikstil Angela Merkels entgegen. Obwohl gerade dieser Stil für Alternativlosigkeit steht.

Ich halte diese Art „Wahlmöglichkeit“ für falsch. Und Séville eigentlich auch, denn kurz vorher spricht sie etwas an, was wir schon viel zu lange von vielen Politiker/-innen vermissen: „Dabei sind das die Debatten, die wir führen müssen. Und ich würde mir zudem wünschen, das klingt vielleicht anspruchsvoll, dass Politikerinnen und Politiker auch kommunizieren, dass etwas manchmal unsicher und unstet ist. Dass sie nicht den Bürger in falschen Erwartungen bestärken und ihm keine falsche Sicherheit und unumstößliche Wahrheit suggerieren, die es in der Demokratie nicht gibt.“

Amos Oz stellte erbittert fest, dass solche Politiker, die ihre Wähler auch teilhaben lassen an der Suche nach einer besseren und vor allem gemeinsamen Lösung, kaum eine Chance haben, gewählt zu werden. Politik ist im Lauf der letzten Medienjahrzehnte immer mehr selbst zum Medienzirkus geworden und wird immer mehr von Typen dominiert, die klassische biblische Helden verkörpern, und von ihrer gnadenlosen Art, die Macht zu ergreifen und über andere zu urteilen und zu richten.

Es gibt auch noch die anderen. Sie tauchen sogar wieder vermehrt auf, weil immer mehr Wähler, die sich über die erlebte Alternativlosigkeit Gedanken machen, andere Politiker wünschen, solche, die wieder in Alternativen zu denken und zu sprechen vermögen. Eher zurückhaltende Typen, die so gar nicht in das Showgeschäft der zumeist männlichen Eitelkeiten zu passen scheinen, die auch mal wagen zu sagen: „Das weiß ich nicht.“

Die sich selbst nicht herausnehmen und so tun, als seien sie als Politiker per definitionem Alles- und Besserwisser. Abgehobene Geistesleuchten, die in ihrer schwebenden Insel mit Verachtung auf die Bauern unten in Balnibarbi herabschauen und dann, wenn die Bauern mal murren, Steine regnen lassen.

Das Problem, das dahintersteckt, spricht die amerikanische Psychologin Meg Jay ebenfalls in einem „Spiegel“-Beitrag an: „Warum erfolgreiche und starke Menschen sich oft unsicher fühlen“. Es hat nicht nur mit der im Leben erworbenen Resilenz zu tun, auch in belastenden Situationen die Kraft zu bewahren, die Situation zu meistern. Es hat auch mit dem Wissen zu tun, dass man scheitern kann, dass man Fehler machen kann und dass man für Fehler auch persönlich blutet. Denn wirkliches Wissen schützt nicht vor Fehlern. Im Gegenteil. Es sorgt dafür, dass man eben nicht mehr knallhart und alternativlos wird, sondern fähig ist zur Korrektur, zu Kompromissen, zum Zuhören und auch zu Vereinbarungen mit anderen, der oft so angefeindeten Opposition.

Zum Suchen nach dem Punkt, an dem man das Vertrauen derer erwirbt, denen man gestern nur alles Schlechte zutraute. Eine Kompromissbereitschaft, sie auch unsere heutigen – nach Hollywood geformten – medialen Erzählmuster selten honorieren. Da werden eher die Knallharten, Unbiegsamen als Macher und Erlöser gefeiert, sogar dann noch, wenn sie nach der Wahl nichts zu bieten haben als Arroganz, Ruppigkeit und – ja – ignorante Überheblichkeit.

Wir sollten wirklich wieder lernen, auch den Zauderern, den Suchenden und Lösungsorientierten eine Chance zu geben, Politik machen zu können. Solchen, die uns wesentlich ähnlicher und vertrauter sind als alle diese alten Cowboys und Westernhelden, die sich in den Talkshows herumfläzen mit dem Habitus der dreckigsten Charaktere aus Sergio Leones Filmen. Die Welt ist kein Westerndorf. Wir können uns diese Cowboytypen einfach nicht mehr leisten.

Lesetipp: Astrid Séville „Der Sound der Macht“, C.H. Beck, München 2018, 14,95 Euro

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