Zwei neue Amokläufe erschütterten am Wochenende die USA. Erst der in El Paso, Texas, mit 20 Toten. Dann der in Dayton, Ohio, mit zehn Toten, darunter dem Schützen. In beiden Fällen waren es fremdenfeindliche Motive, die die Täter dazu brachten, andere Menschen zu erschießen. Auf den ersten Blick also die Saat, die ein Donald Trump mit seinen Tiraden gesät hat. Wäre es nur Trump allein. Denn Hass hat Wurzeln in Hilflosigkeit. Das hören nur die wütenden weißen Männlein nicht so gern.

Denn sie sind nur Männlein. Ihre Verachtung gegen andere Menschen ist eine Rüstung. Mit lauter scheinbar männlichen Verhaltensmustern (Wut, Gewaltbereitschaft, mit Lautstärke und verbaler Aggression) kaschieren sie zuallererst einmal eine Position der Hilf- und Ratlosigkeit. Wenn denn mal Psychogramme der diversen Amokläufer publik werden, werden immer wieder ganz ähnliche Muster der Introvertiertheit sichtbar, der Sprachlosigkeit im sozialen Kontext, der Verschlossenheit und einer diffusen Angst vor der Zukunft, die wie eine Ausweglosigkeit aussieht.

Als trauten sie sich nicht zu, aus einem als ungreifbar und zu komplex empfundenen Leben etwas Lebenswertes zu machen. Was oft einhergeht mit tiefem Gekränktsein, Spielsucht und einem geradezu geharnischten Stolz, der sich dann in Heldenrollen flüchtet, die oft genug direkt aus den Online-Spielen zu stammen scheinen, die sie zuvor oft mit beängstigender Ausdauer gespielt haben.

Ist das jetzt ein Argument gegen die Gamer-Szene?

Das müssen die Gamer selbst wissen.

Mich selbst schrecken die meisten dieser Spiele schon deshalb ab, weil fast immer das gezielte Töten anderer Menschen und Lebewesen die Lösung dafür ist, das nächste Level zu erreichen. Eine Lösung, bei der ich mich nur an den Kopf fasse: Wer kann so etwas als kluge Spielidee begreifen? Was hat das mit der Realität zu tun, in der diese Art „Lösung“ jedes Mal dazu führt, dass die Dinge noch schlimmer werden, noch mehr Leid über die Menschen kommt … Nein, es sind nicht die Generäle und Supermänner, die alles wieder in Ordnung bringen. Das müssen dann wieder die friedlichen Helfer machen – die Krankenschwestern, Ärzte, Maurer, Elektriker, Lehrer und Friedensstifter.

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Nur so als Anmerkung. Das andere Problem ist die unendliche Zeit, die in diesen Spielen vergeudet wird. Die auch deshalb vergeudet wird, weil etliche dieser jungem Menschen gar nicht wissen, was sie sonst mit dieser Zeit anfangen könnten. Sie nehmen das leichter erreichbare Angebot an, ihre Zeit „rumzubringen“, letztlich auch zu entwerten. Und eben nicht zu nutzen, sich der Kompliziertheit einer menschlichen Welt auszusetzen, in der man eben nicht immer „Gewinner“ ist oder Held, in der man Absagen bekommen kann oder in seinen Gefühlen verletzt wird, in der man sich oft genug richtig bemühen muss, um etwas zu erreichen. Nicht nur mit Muskelkraft, auch mit sozialen Begegnungen. Oft genug muss man die richtigen Freunde, denen man wirklich vertraut, erst suchen. Dasselbe gilt für Freundinnen, mit denen man sich nicht nur schmückt, sondern in denen man das findet, was wirklich die Basis für Nähe ist.

Das wissen auch viele Männer nicht, die keine Ballerspiele spielen, Waffen horten und mit dem Gedanken spielen, es jetzt denen, vor denen man sich irgendwie fürchtet, endlich mal zu zeigen. Denn hinter dem Hass steckt die Angst. Da man sich ja selbst nie getraut hat, diesen anderen, fremden Menschen offen zu begegnen, funktionieren die implementierten Angstbilder der Trumps und all ihrer Wesensverwandten. So funktioniert auch die Mühle der AfD, und zwar in den geschlossenen sozialen Blasen besonders gut.

Sie funktioniert, weil sie den Bewohnern dieser Blase suggeriert, dass all diese Menschen (Ausländer, Andersliebende, Grüne, Linke, Andersgläubige, die da oben …) sich quasi in geheimen Zirkeln zusammengetan haben, um ausgerechnet ihnen, den ratlosen weißen Menschlein, das Leben zur Hölle zu machen, sie irgendwie dazu zu zwingen, selbst so zu werden. Eine Suggestion. Aber eine, die funktioniert, wenn sie auf Menschen trifft, die nicht gelernt haben loszugehen und sich die Dinge aus der Nähe zu betrachten.

Regelrecht zu riskieren, sich den eigenen Befürchtungen zu stellen.

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Lieber glauben sie Leuten, die ihnen erklären, alles werde wieder gut, wenn nur die anderen alle (wieder) verschwinden, wenn das, was sie so verstört, einfach nicht mehr sichtbar ist. So, dass man nicht jeden Tag damit konfrontiert wird, dass die Welt eben doch irgendwie nicht kindgerecht ist. Jedenfalls so, wie sich manche Leute eine geschützte Kinderwelt vorstellen, aus der sämtliche Verstörungen ferngehalten werden.

Kluge Eltern zeigen ihren Kindern früh, dass die Welt kein naiver Ort ist, schon gar kein eindimensionaler, sondern einer, der herausfordert. Und dass auch elterliche Liebe, die nichts fordert, keine Liebe ist, sondern Lüge. Ein Trug, der nur zu natürlich ist. Denn viele groß gewordene Menschen wollen ja vermeiden, was sie schon als Kind zu vermeiden gelernt haben: von anderen infrage gestellt, kritisiert und damit verunsichert zu werden.

Sie reagieren wie verletzte Tiere, wenn sie sich infrage gestellt fühlen. Ihnen fehlt die innere Souveränität, die dadurch entsteht, dass man sich selbst infrage zu stellen gelernt hat. Wenn man gelernt hat, das Leben als ein Sichausprobieren zu begreifen – verbunden mit der Bereitschaft, aus Fehlversuchen und Niederlagen auch etwas zu lernen. Freilich nicht unbedingt, dass man jetzt den Kopf einzieht und sich im Schneckenhaus verkriecht. Sondern jeden Tag als Herausforderung betrachtet, auch als Ermutigung, weil man sich zutraut, da rauszugehen und sich den komplizierten Dingen zu stellen. Und immer wieder aufzustehen. Immer wieder. Und die Herausforderung sogar als Gewinn zu betrachten …

Kurz Atemholen.

Denn auch das stimmt: Wohlstandsgesellschaften wie die unsere bevorzugen andere Menschentypen, solche, die sich führen und verführen lassen, die sich anpassen und bereit sind, die Surrogate der Warenwelt als Ersatz anzunehmen für das, was sie an eigenem Mut zum Leben nicht aufbringen.

Zu weit gedacht?

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Nicht wirklich.

Denn es ereilt uns eben leider auch als eine Politik der Entmündigung, der paternalistischen „Liebe“, die ihren Kindern verspricht, ihnen nichts zutrauen zu wollen, schon gar nicht die Bereitschaft, sich ändern zu können.

Was mir am Wochenende in der Kolumne von Bernd Ulrich in der „Zeit“ auffiel: „Die Ja-aber-Sager“.

„Ja aber“, so beginnen die Sätze von Menschen, die sich auf Herausforderungen nicht einlassen wollen, die lieber seitenlang erklären, warum sie Dinge nicht wissen, nicht tun und nicht ändern wollen. So wie viele Auskünfte der sächsischen Staatsregierung an die gewählten Landtagsabgeordneten. Wir haben eine „Ja aber“-Regierung mit Leuten, die irgendwie keinen Mut haben, die Dinge beim Namen zu nennen, ernsthafte Lösungen vorzuschlagen, die Ärmel hochzukrempeln und dann zu arbeiten.

Und Ulrich macht das als ein regelrechtes Symptom in der Art der CDU, Politik zu machen, aus: „Nun könnte man einwenden, wozu streiken, Politik und Öffentlichkeit sind aufgewacht, nie zuvor gab es so viele Bekenntnisse zur Klimawende, die Sache läuft. Doch die FFFler sind gebrannte Kinder. Als sie das Licht der politischen Welt erblickten, wurde bereits viel übers Klima geredet, der Himmel füllte sich mit guten Worten – und mit CO₂. Misstrauen ist also angezeigt. Denn noch immer steht seitens der CDU – jener Partei, auf die es vor allem ankommt – hinter jedem Bekenntnis zur Klimawende mindestens ein aber, meist mehrere.“

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Und wer genauer hinschaut sieht, dass es die AfD noch eine Nummer schärfer treibt, deren Argumentation klingt eher wie: „Nein. Denn die da …“

Man sieht jedes Mal den kleinen, tränenüberströmten, aber schrecklich wütenden Jungen vor sich, der auf das selbst erschrockene Nachbarskind zeigt und brüllt: „Die da hat das getan! Wuähhhhh!!!“

Und zwar ein aggressives Wuähhh, denn man will ja Papa dazu bringen, das Nachbarskind jetzt ganz fürchterlich zu bestrafen. Dumme Väter machen das dann auch. Denn wer den eigenen Heldensohn so zum Weinen bringt, der kann nur ein ganz bösartiges Wesen sein.

Natürlich muss dieser Heldensohn später kein Hasser oder Amokläufer werden. Wobei die Polizeimeldungen ja voll sind mit vielen kleinen Amokläufen, in denen überforderte Menschen mit Messer, Fäusten und Füßen aus lauter Überforderung über ihre liebsten Mitmenschen herfallen.

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Und auch der Umgang der so pfleglich in weiße Watte Gepackten mit Klimawandel und Asylsuchenden erzählt ja von einem Versuch, die tatsächlichen Probleme durch geballte und organisierte Aggression wieder aus dem Kinderzimmer zu schaffen. (Und „Heimat“ ist nichts anders als ein peinliches Synonym für „Kinderzimmer“.) „Wuähhh! Schaff das weg!!!“ Denn mehr Inhalt hat ja diese Politik nicht. Sie ist keine Politik für Menschen die gelernt haben, dass Erwachsenwerden die Freude daran ist, sich auf andere Menschen einzulassen und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.

Man kann natürlich die möglichen Wähler immerfort pampern und ihnen versprechen, dass alles gut wird.

Aber das ist keine erwachsene Politik, sondern falsch verstandene Erziehung.

Oder richtig verstandene Erziehung, wenn man dahinter Absichten vermuten kann, Habsucht, Gier und Machtbesessenheit wie bei Trump und seinen Wesensverwandten. Denn wenn man Menschen derart mit falschen Bildern verführen kann, ergibt das auch Macht. Eine unheimliche Macht, die Menschen gefangen bleiben lässt in ihrer kindlichen Erwartung, die Welt müsste ihnen alle ihre Wünsche erfüllen. Und wenn das nicht passiert, können das nur finstere Mächte sein, die das verhindern. Also …

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Vielleicht ändern sich ja auch die so frenetisch gefeierten Online-Spiele einmal und nicht derjenige gewinnt, der die meisten „Feinde“ erledigt, sondern der, der die klügsten Strategien entwickelt, Konflikte aufzulösen. Das ist etwas anstrengender, da braucht man ein bisschen mehr Ausdauer, aber es ist auch wesentlich befriedigender. Auch weil es glücklicher macht und sogar neue Freunde und Partner erzeugt. Wenn man sich traut.

Aber wer sich traut, lernt mutiger zu sein und Stück für Stück ein bisschen selbstsicherer, weil er nicht mehr in allem, was da draußen geschieht, eine drohende Gefahr für sein zerbrechliches Ich sieht.

Das ist jetzt etwas länger geworden. Aber wir Menschen sind nun einmal nicht ganz so einfache Wesen, wie uns die großen dicken Zampanos gern einreden wollen.

Die Serie „Nachdenken über …

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