Es ist ja richtig sรผร, wie unsere Brรผder im Westen jetzt versuchen, das erwartbare Wahlergebnis in Brandenburg und Sachsen zu erklรคren und dabei irgendwie zu โOssiโ-Verstehern werden. Manche veranstalten โ wie die โFrankfurter Rundschauโ โ kleine Foren in Frankfurt, um herauszukriegen, was da so schiefgelaufen ist, dass ein Viertel der Wรคhler eine zutiefst rassistische Partei gewรคhlt haben.
Heribert Prantl in der โSรผddeutschenโ griff gleich zum ganz groรen Hammer, als er von Alpha (der Friedlichen Revolution von 1989, die er sichtlich verklรคrt) und Omega (dem Triumph der Rechtsradikalen bei der Landtagswahl) erzรคhlte. Das Omega ist natรผrlich so gar nicht verstรคndlich, wenn man 1989/1990 gleich mal mit dem โZauber des Anfangsโ verklรคrt. Den hatte auch die โWendeโ nur ganz kurz โ im Herbst 1989. Was nach dem 9. November folgte, hatte mit โZauberโ oder (in der ostdeutschen Variante) โWunderโ gar nichts mehr zu tun.
Spรคtestens ab Dezember 1989 war Wahlkampf, bildeten sich harte Fronten und feierte der Nationalismus (auch befeuert durch westdeutsche Parteiunterstรผtzung) frรถhliche Urstรคnd.
Oder um es mal so zu sagen: Der โZauberโ war nicht erst 1993 weg, als die Treuhand ihr Werk getan hatte. Der war schon im Mรคrz 1990 weg, als klar war, dass es fortan nur noch darum ging, die DDR schleunigst an die BRD anzupassen.
Heribert Prantl formuliert es sehr schรถn, wenn er schreibt: โDie Einheit war die Erweiterung der alten Bundesrepublik, nicht die Vereinigung zweier Staaten; die Bรผrgerinnen und Bรผrger wollten es 1989/90 auch so. Sie wussten nicht, was auf sie zukommt: Die einrรผckende Maschinerie der Marktwirtschaft fraร die Sicherheit, das Selbstvertrauen, den Stolz auf die Wende; sie fraร die Vorbilder, den staatlich verordneten Anti-Faschismus und die meisten Politiker der ersten und zweiten Wende-Stunde. Vor ein paar Jahren konstatierte Katrin Hattenhauer, die vor dreiรig Jahren das erste Transparent einer Montagsdemo entrollt hatte: Man habe 1989 ,das Land erobern wollenโ. Aber dann sei es anders gekommen: ,รbernommen hat es dann ein System, das da war. Eine Demokratie, die existierte, sagte: ,Danke fรผr deine Arbeit. Alles Weitere machen wirโ.โโ
Erklรคrt das aber wirklich das, was er vorher quasi durch einen Gedankenschritt hergeleitet hat?
โDie Einheit, die er gestalten sollte, ist ein Weltwunder der Moderne. Aber der Aufbau Ost verwundete die Hoffnungen auf das Soziale in der sozialen Marktwirtschaft, er schlug tiefe Wunden. Wunderwunden. Gewiss: Noch nie in der Weltgeschichte hat es ein so gewaltiges Hilfsprogramm gegeben. Aber vielen Menschen in den neuen Bundeslรคndern war und ist es so, als sei ihr Leben unter diesem Billionenberg begraben worden.โ
Das kann wirklich nur ein Kommentator aus dem Elfenbeinturm so schreiben. Unรผbersehbar der alte Frame: WIR Westdeutschen haben die ganze deutsche Einheit bezahlt.
Da werden dann meist alle Transferleistungen von West nach Ost zusammengerechnet, jede Subvention, jedes Aufbau-Ost-Programm. Als wรคre der Osten eine exotische Insel weit fort, wo die Eingeborenen das โgeschenkteโ Geld dann horten und auf goldgefรผllten Matratzen schlafen. Da erwรคhnt Prantl den Markt, weiร aber augenscheinlich nicht, wie so ein Markt funktioniert. Und dass Geld nie bleibt, wo es hintransferiert wurde (Offshore-Konten diverser Superreicher mal ausgenommen).
Praktisch die komplette Summe wurde verkonsumiert โ entweder in Infrastrukturen gesteckt, die alle nutzen und brauchen, oder in Sozial- und Rentensysteme, wo das Geld auch wieder nur weiterflieรt in Pflegeheime, Krankenhรคuser, Therapiekliniken, in (westdeutsche) Supermarktketten, in echten Konsum also, der seit 1990, seit die Ostdeutschen D-Mark in der Bรถrse hatten, vor allem westdeutsche Eigentรผmer reicher gemacht haben. Oder auch ganze Firmenketten gerettet haben.
Ich fรผhre das nicht aus, weil das nur ein Aspekt unter vielen ist.
Und der gar nicht erklรคrt, warum der 1990 so sichtbare Nationalismus, der die ganze DDR รผberlebt hatte, heute noch immer so leicht anzufixen ist. Denn etwas anderes ist das nicht, wenn ein Viertel der โ dagebliebenen โ Ostdeutschen bereitwillig den rechtsradikalen Scharfmachern der AfD hinterhertrotten.
Was รผbrigens nicht nur in Ostdeutschland so ist.
Das hat schon 2015 einer der besten deutschen Kabarettisten auf den Punkt gebracht. Kurz nach dem Attentat auf โCharlie Hebdoโ war das, als Torsten Strรคter auf seine unheimlich schรถne trockene Art feststellte: โDie Welt wird schleichend dรผmmerโ.
Torsten Strรคter รผber Meinungsfreiheit, Terror und #pegida
Das Ganze kippte eben nicht erst mit Angela Merkels โWir schaffen dasโ, auch wenn es den Lautsprechern der AfD bis heute prima gelingt, selbst gestandenen Medienmachern genau das einzureden. Nicht nur die AfD war schon im Herbst 2014 gewaltig auf Rechtsrutsch. Befeuert von den Algorithmen der โsocial mediaโ kochte der โVolkszornโ auch damals schon โ in Westdeutschland genauso wie in Frankreich, den Niederlanden, den USA, รsterreich, England, Italien โฆ Es ist ein Symptom, das den gesamten Westen betrifft.
Und gerade das Portrรคt von โZeit Campusโ รผber die ehemalige Vorsitzende der Jungen Alternative in Sachsen, Franziska Schreiber, zeigt ein wenig, wie das funktioniert. Denn aus ihrer Innensicht der AfD weiร Franziska Schreiber, wie eine Sekte entsteht, wie sich ein Sprachgebrauch durchsetzt, wenn er normiert ist und man nur dazugehรถrt, wenn man genau diese Sprache spricht. Deswegen ist es ein wenig frech, wenn โZeit Campusโ sie die โBekehrteโ nennt. Denn die rassistische Ideologie der AfD ist keine Religion, die AfD auch keine Glaubensgemeinschaft. Eine Sekte schon eher, denn ihre Kraft gewinnt sie daraus, dass sie die Welt teilt in Menschen, die dazugehรถren โ und alle anderen, die sie verachtet.
Genauso, wie sie praktisch sรคmtliche Werte einer offenen und freien Gesellschaft verachtet und abwertet. โZeit Campusโ: โIrgendwann habe sie in Pressemitteilungen nicht mehr das Wort Flรผchtlinge benutzt, weil es hรคtte Mitleid erzeugen kรถnnen. Stattdessen schrieb sie Asylbewerber oder Wirtschaftsflรผchtlinge. Sie lernte, die Angst zu schรผren, die die AfD verbreitete.โ
Das ist nicht nur Framing, das ist die verbale Produktion von Hass
In der deutschen Militรคrpropaganda seit 1914 bis zur Perfektion getrieben. Aber selbst in George Orwells โ1984โ findet man es. Dort wird es als โHasswocheโ praktiziert. Die eingeschworene Gemeinschaft wird dadurch bestรคrkt, dass sie ihren Hass auf den Gegner lenkt, und der ist sogar egal. Man definiert sich dadurch als unรผbertrefflich, dass man sich fรผr besser erklรคrt als andere. Als alle anderen.
Das hat bei den rechtsextremen Parteien System. Sie haben diese Methoden seit 100 Jahren ausgefeilt. Es ist eher verblรผffend, wie leicht es ihnen fรคllt, damit heute wieder eine Menge Leute fรผr sich zu begeistern. Wir dรผrfen nicht vergessen: Diese Leute hรถren niemals auf, ihre Vorstellungen, wie die Welt zu sein hat, beharrlich zu verbreiten. Im Osten arbeiten sie seit 29 Jahren daran.
โDie gesellschaftliche Rechte sei erstarkt, sagte Anna Spangenberg, Mitherausgeberin von ,Generation Hoyerswerdaโ. Diese Rechte verfolge ihr Projekt, die Gesellschaft nach ihren Vorstellungen zu verรคndern, immer erfolgreicherโ, stellt die โFrankfurter Rundschauโ fest. Die mit der linken Landtagsabgeordneten Kerstin Kรถditz aus Sachsen auch jemand im Podium sitzen hatte, die die Erscheinungsformen in Sachsen bestens kennt. Und auch weiร, wie sehr es die ganze Zeit immer den โlinkenโ Parteien und den mutigen gesellschaftlichen Initiativen รผberlassen blieb, sich gegen die auftrumpfenden Rechtsradikalen zu positionieren.
(Weshalb die AfD-Fraktion in Sachsen immer wieder betont nassforsch nachfragt, ob diese ganzen linken Initiativen vom Freistaat gefรถrdert werden. Dazu zรคhlen auch Hilfsprogramme fรผr Flรผchtlinge, Initiativen fรผr Weltoffenheit, Demokratie und Teilhabe โฆ)
Kรถditz bringt es auf den Punkt, wenn sie von der nicht nur fehlenden Unterstรผtzung spricht, sondern von der perfiden Masche aller bisherigen CDU-Regierungen in Sachsen, die Linken mit den Rechtsextremen immer hรผbsch in einen Sack zu stecken. Motto: Alles gleich schlimm.
Das hat nicht aufgehรถrt, auch nicht mit dem Aufkommen der AfD, die eigentlich erst richtig gezeigt hat, wie offen die rechte Flanke der Union ist. Nicht nur im Osten. Wer von der CDU Unterstรผtzung bei Protesten und Demonstrationen gegen rechtsextreme Aufmรคrsche erwartet hรคtte, der wurde immer wieder enttรคuscht.
Am stรคrksten 2011, als es die Dresdner Polizei fertigbrachte, den kompletten demokratischen Protest gegen den Februar-Aufmarsch der Rechtsradikalen zu kriminalisieren und Landtagsabgeordnete, Gewerkschafter und Pfarrer vor Gericht zu zerren mit der Behauptung, sie hรคtten ihr Demonstrationsrecht zu Gewalttaten oder Aufrufen zur Gewalt missbraucht.
Eigentlich sind da solche AfD-Wahlergebnisse in Sachsen keine รberraschung. Denn sie bestรคtigen nur das, was unterschwellig immer auch CDU-Politik war. Dazu gehรถren dann einige Punkte โ auch der, den Prantl erwรคhnt, wenn er Katrin Hattenhauer zitiert: โรbernommen hat es dann ein System, das da war. Eine Demokratie, die existierte, sagte: ,Danke fรผr deine Arbeit. Alles Weitere machen wirโ.โ
Das ist die Entmรผndigung, die durchaus eine Menge Ostdeutsche (und nicht nur AfD-Wรคhler) als Machtlosigkeit und Einflusslosigkeit erfahren. Verschรคrft รผbrigens um etwas, was Prantl nicht erwรคhnt: Den mittlerweile schamlos offenen Einfluss groรer Konzerne und Lobbyverbรคnde auf die Politik. Was die AfD aber nicht benennt. Auch hier verschiebt sie den Fokus und lenkt den Hass auf die โAltparteienโ und โalte Elitenโ, um sich selbst als frischen Wolf in der Herde anzubieten. Wer kann besser jagen? Und wer mรถchte gern wieder zu den Jรคgern gehรถren, nachdem er 70 Jahre lang Schaf war?
Das ist eine ganz einfache Rolle. Da reicht ein Schlachtruf, ein Schwarzes Schaf und los geht es.
Obwohl etwas anderes fรคllig wรคre โ nรคmlich eine Diskussion darรผber, was politischer Anstand ist, was demokratische Prinzipien sind und was eine echte politische Diskussion. Ohne die schon wieder so offensichtliche Rechthaberei derer, die das Gewรคhltwerden mit Rechthaben verwechseln.
Man kรถnnte ja seine Hoffnung darauf setzen, dass die ganzen Rundtischgesprรคche und Bรผrgerforen auch von Ministerprรคsident Michael Kretschmer in den letzten Monaten fruchten und auch die Diskussionskultur in Sachsen und dem Sรคchsischen Landtag รคndern. Aber irgendwie nagt der Zweifel. Denn auch wenn Prantl zumindest andeutet, dass der Osten tatsรคchlich eine Wirtschaftstransformation hingelegt hat, wie sie der Westen nie erlebt hat, fehlen die Politiker, die das als Projekt begreifen, das transparent und ehrlich fortgesetzt werden muss. Und die das auch sagen. Denn der Osten war die ganze Zeit auch immer Experimentierfeld fรผr neoliberale Arzneien.
Nein, es reicht wirklich nicht, den Rechtsextremismus im Osten mit den Spรคtfolgen von 1990 zu erklรคren. Denn diese Machtlosigkeit einem entfesselten Markt gegenรผber, den konservative Politiker sich gar nicht mehr trauen zu regulieren, bringt auch ganze Gesellschaften in anderen Lรคndern ins Rutschen und erzeugt das gรคrende Gefรผhl der Machtlosigkeit. Die AfD beherrscht die Kunst, dafรผr lauter Schwarze Schafe zu finden. Aber sie bietet keine einzige Lรถsung an โ weil sie im Wirtschaftsteil ihrer Programme genauso tickt: radikal neoliberal.
Und wenn man das nur mit jeder Menge Hass auf andere Leute auffรผllen kann, scheint das eine Menge Leute geradezu in einen Rausch zu versetzen, der ihnen Macht suggeriert, auch wenn es eine wรถlfische Macht ist. Eine Macht, die auch zeigt, was mit einer Gesellschaft passiert, wenn Menschen in ihrer (medialen) Umgebung nicht mehr Rรผcksicht nehmen mรผssen auf ein friedliches Miteinander.
Worauf im Forum der โFrankfurter Rundschauโ der Rechtspopulismus- und Ungleichheitsforscher Mullis einging: โSolche Orte zum Zusammenkommen mรผsse man wieder finden. Allerdings zeigte sich Mullis skeptisch, ob das gelingen kann: Die Brille, durch die die Menschen auf die Welt blickten, werde zunehmend durch Rassismus bestimmt. ,Ich habe 2015 als Dammbruch erlebtโ, sagte Mullis. Damals habe sich etwas verรคndert โ ,und nicht zum Gutenโ.โ
Und das ist zuerst in den Internetforen passiert, befeuert von organisierten Trollkommandos, um dann auch in den รถffentlichen Raum zu schwappen. Womit wir wieder an dem Punkt sind: Man kann nicht nicht kommunizieren. Wer all das duldet, toleriert und รผber Jahre so laufen lรคsst, der sagt eigentlich auch: โIst schon o.k.โ
Da ist einem die klare Haltung eines Torsten Strรคter wirklich lieber.
Die Reihe โNachdenken รผber ..โ
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