M-44 ist keine gute Abkürzung, denn sie verkürzt für gewöhnlich das Leben. Hinter M-44 verbirgt sich zum Beispiel ein russisches Repetiergewehr. Oder eine amerikanische Panzerhaubitze. Außerdem im M-44-Abkürzungs-Angebot: der Prototyp eines ungarischen Panzers, ein spanisches MG, eine finnische Panzerabwehrmiene und eine amerikanische Streubombe voll mit Chemie. Wobei ich wohl besser von zwei amerikanischen Chemiebomben sprechen sollte.

Die erste Bombe – von den Militärs mit Chinuclidinylbenzilat, einem hochgiftigen Psychokampfstoff, gefüllt – wurde im Rahmen des amerikanischen Chemiewaffenprogramms in den 1960er Jahren entwickelt und rund 1.500 mal produziert. Die Bombe sollte von einem Flugzeug abgeworfen werden und das Gift sich über die Leute am Boden verteilen, die daraufhin nicht starben, sondern durchdrehten – und zwar komplett und für Tage.

Damals glaubten sie in der US-Army, derartige nicht-tödliche Waffen würden die Kriegsführung revolutionieren. Die Generäle träumten von einem „Krieg ohne Tote“. Und so gab es in den 1960er und 70er Jahren im Grunde zwei Psycho-Welten, die parallel existierten: Während sich die Hippies unter der kalifornischen Sonne mit Haschisch zudröhnten, entwickelten sie im Pentagon eifrig Chemiebomben. Es war die militärische Form des Drogen-Konsums.

Allerdings wurde die M-44-Streubombe nie im Kampf eingesetzt, und Ende der 1980er Jahre wurden die Bestände vollständig verschrottet.

Die andere M-44-Chemiebombe wurde ebenfalls in den 1960er Jahren entwickelt. Im Gegensatz zu ihrem Namensvetter wurde sie von den Amerikanern aber tatsächlich im Kampf eingesetzt und erst 2017 – und dann auch nur in manchen Gebieten – verboten.

Hinter M-44 verbirgt sich in diesem Fall allerdings keine militärische Großkampfwaffe, sondern eine kleine, mit einem Giftköder gefüllte Vorrichtung, die Koyoten anlockt und ihnen beim Draufbeißen hochgiftiges Natriumcyanid ins Maul spritzt. Der Grund, warum die Koyoten erst draufbeißen und dann draufgehen sollen, ist einfach: Sie werden von vielen Farmern und folglich auch vom US-Landwirtschaftsministerium als Schädlinge betrachtet.

Jedes Jahr werden tausende Koyoten auf diese Weise erlegt. Allerdings töten die M-44-Giftfallen auch immer wieder Wölfe, Bären, Hunde und andere Fleischfresser. Laut offiziellen Zahlen machen die fehlerhaften Tötungen 3 % der Gesamtmenge aus. Angesichts der Tatsache, dass in dem für die Giftköder verantwortlichen Wildlife Service das Motto „shoot, shovel, shut up“ („erschießen, verscharren, Schnauze halten“) regiert, dürften es in Wahrheit aber deutlich mehr sein.

Und die Kollateralschäden werden zunehmen, denn bereits 2018 hat die amerikanische Umweltschutzbehörde EPA einer vom Center for Biological Diversity eingebrachten Petition zum generellen Verbot der Giftköder ihre Unterstützung verweigert. Aber damit noch nicht genug: Seit dem 5. Dezember hat die EPA den Einsatz von M-44 wieder rundum erlaubt. Und das, obwohl der Entwurf der entsprechenden Verordnung von über 22.000 Menschen kommentiert worden war, von denen 99,9 % ein Verbot der Giftköder gefordert hatten.

Themenwechsel: Weg von den Giftködern, hin zu den Geschirrspülmaschinen. Und zu Rick Perry, dem amerikanischen Energieminister, der zum Jahresende zurücktreten will. Wobei er mir nicht als Energie-, sondern als Geschirrspülmaschinen-wieder-schnell-mach-Minister in Erinnerung bleiben wird. Die amerikanischen Geschirrspülmaschinen sind seit den 1980er Jahren nämlich immer langsamer geworden.

1983 brauchten sie im Schnitt 70 Minuten für einen Waschgang, 2018 waren es dagegen schon 140 Minuten. Der Grund: eine Reihe von Umweltschutzgesetzen hat den Energie- und Wasserverbrauch der Maschinen im Laufe der Jahre immer weiter beschränkt, was die Hersteller nur durch längere Laufzeiten umsetzen konnten. Oder wollten.

Aber wie dem auch sei, fest steht, dass Rick Perry für ein Ende dieses Trends gesorgt hat. Allerdings nicht, indem er die Hersteller zwang, schneller zu werden, sondern indem er ihnen erlaubte, Geräte auf den Markt zu bringen, die mehr Energie und Wasser verbrauchen, die Arbeit dafür aber ein bisschen flotter erledigen. Zeit ist schließlich auch Geld – und für die meisten Amerikaner ist Zeit teurer als Wasser und Strom.

Grundlage des neuen Gesetzentwurfs war eine Petition des Competetive Enterprise Institute, eines politisch konservativen Think Tanks, der sich die Einschränkung staatlicher Vorgaben und der Förderung des freien Marktes auf die libertäre Fahne geschrieben hat. Für seine Petition hatte das CEI Dutzende Modelle getestet und nach eigenen Angaben tausende Besitzer von Geschirrspülern befragt. Dabei kam heraus, dass die Maschinen immer langsamer, lauter und unzuverlässiger werden.

Außerdem hatten die Recherchen ergeben, dass die Leute im Energieministerium keinen blassen Schimmer von den Entwicklungen hatten und weiterhin davon ausgingen, dass Geschirrspülmaschinen im Schnitt nur eine Stunde für ihre Arbeit benötigen. Die Freimarkt-Freunde vom CEI ließen sich die Gelegenheit natürlich nicht entgehen, Energieminister Rick Perry mitzuteilen, „dass diese Zahl um Jahrzehnte veraltet ist“.

Außerdem, so schrieben sie ihm, habe der Kongress 1987 bei der Verabschiedung des Nationalen Energiespargesetzes für Haushaltsgeräte festgelegt, „dass Energiesparmaßnahmen nicht durch den Verlust wichtiger Nutzungseigenschaften für den Konsumenten erzielt werden dürfen“. Alles Gründe für Rick Perry der Petition beizupflichten, zumal auch aus der Bevölkerung kein Widerstand kam.

Als die neue Regelung im Juni 2018 veröffentlicht und zur Diskussion gestellt wurde, ergriffen jedenfalls 2.320 US-Bürger die Chance, dem Energieminister mitzuteilen, dass ihre neuen Geschirrspülmaschinen die Tassen und Teller nicht sauber machten, weshalb sie sie oft zwei Mal waschen müssten und dadurch mehr Wasser und Energie verbrauchten als mit den alten Maschinen.

Doppelte Spüldauer für die halbe Sauberkeit – das war Rick Perry der Dishwasher-Dialektik dann doch zu viel. Und als er sah, dass viele „Make Dishwashers Great Again“ in die Kommentarleiste schrieben, war es um sämtliche Wasser- und Energiesparrichtlinien geschehen. Rick Perry unterzeichnete das Gesetz und ließ sich als Retter der Geschirrspüler feiern.

Zwar argwöhnten viele, die Neuregelung werde von Umweltschutzgruppen vor Gericht gezerrt und dort keinen Bestand haben, aber bisher hat noch keine Gruppe Klage gegen die Neuregelung eingereicht oder Derartiges auch nur angekündigt, und das, obwohl das Amtsblatt der Vereinigten Staaten, das „Federal Register“, die Kommentarfrist für die Neuregelung bis zum 16. Oktober 2019 verlängert hatte.

Ob die Umweltschützer alle noch in ihren Büroküchen stehen und darauf warten, dass ihre A+++ Geschirrspüler endlich eine saubere Tasse ausspucken, damit sie einen Kaffee trinken und mit der Arbeit fortfahren können, weiß ich nicht. Aber eines ist sicher: Alle Petitionen sind gleich, aber manche sind politisch gesehen nur Petitessen.

Und die Moral von der Geschicht’? Ganz einfach: Giftköder sind keine Geschirrspülmaschinen, und das Center for Biological Diversity nicht das Competetive Enterprise Institute. Aber so ist das nun mal: Auf der einen Seite wird sauber gespült und auf der anderen dreckig gestorben – das war schon immer Amerika.

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