Mit zunehmender Umstellung aller Lebensbereiche durch die Corona-Krise, die sehr wahrscheinlich noch mehrere Monate anhalten wird, stellt sich auch die Frage nach der Versorgungslage Obdachloser. Nachdem bereits eine Vielzahl an Nachbarschaftsinitiativen und anderen solidarischen Aktionen gegründet wurden, ist in den letzten Tagen ein weiteres Phänomen hinzugetreten: Gabenzäune. Die Idee besteht darin, an Zäunen im öffentlichen Raum Tüten oder Beutel anzubringen, die wiederum mit Nahrungsmitteln und Hygieneprodukten, teilweise auch mit Schlafsäcken und Kleidungsstücken gefüllt sind. Doch ist das eine sonderlich gute Idee im Hinblick auf die Eindämmung des Coronavirus?

Sind die Gaben so virenfrei, wie es die Hinweisschilder an den Zäunen anmahnen? Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass das Virus bis zu sechs Tage auf Plastikoberflächen infektiös bleibt. Das Robert-Koch-Institut hat dies in einem Steckbrief zu COVID-19 festgestellt, durch den Vergleich mit anderen SARS-Viren. Man erwarte eine ähnliches Verhalten bei SARS-COV-2 (dem aktuellen Coronavirus). Berichte vom Kreuzfahrtschiff Diamond Princess sprechen mittlerweile sogar von bis zu 17 Tagen.

Zwar wird dem Ansteckungsrisiko an den Aushängen Rechnung getragen. Der Hinweis „Tragt beim Packen (selbstgebastelten) Mundschutz & Handschuhe“ findet sich so oder in ähnlicher Form an den Gabenzäunen.

Doch wer stellt sicher, dass die Tüten auch tatsächlich virenfrei sind?

Gelegenheiten, das Virus unbemerkt in die Beutel einzubringen, gibt es zur Genüge. Beim Packen, beim Transport, beim Anbringen der Beutel an die Zäune und natürlich durch Menschen, die nicht zielgerichtet eine Tüte greifen, sondern verschiedene Tüten anfassen.

Die gut gemeinte Intention, jenen zu helfen, die es am dringensten brauchen, gehört zum urbanen Selbstverständnis vieler. Vor allem die Figur des ,Obdachlosen in Not‘, der in einer durch Ausgangsbeschränkungen leergefegten Stadt es durchaus schwerer hat zu betteln oder an Pfandflaschen zu gelangen, erfreut sich neuer Beliebtheit.

Dabei bleibt allerdings offen, inwiefern die Hilfe in Form von Mandarinen und Hausschuhen (so gesehen an einem Gabenzaun in Dresden) eher der Selbstvergewisserung dient, man habe etwas Gutes getan, als tatsächlich die vielschichtig gelagerten Bedürfnisse von Obdachlosen anzugehen.

Vereinzelt waren am gestrigen 23. März noch Obdachlose in der City anzutreffen. Doch selbst am "Hotspot" Hauptbahnhof nicht mehr als drei. Foto: L-IZ.de
Vereinzelt waren am gestrigen 23. März noch Obdachlose in der City anzutreffen. Doch selbst am „Hotspot“ Hauptbahnhof nicht mehr als drei. Foto: L-IZ.de

Zur Verringerung der Ansteckungsrate für die Obdachlosen hat die Stadt Leipzig bereits Maßnahmen ergriffen – einerseits die Schließung von Tagesaufenthaltsräumen wie der „Oase“ oder der „Insel“, andererseits die aktive Aufforderung durch Streetworker und den Hilfebus an die Obdachlosen, ganztägig die städtischen Notschlafstellen aufzusuchen, eine weitere Notschlafstelle ist geplant. Hier wird auch die Versorgung mit Essen und Getränken organisiert.

Der Preis der Gabenzäune?

Es könnte schnell ein hoher sein, wenn ein Obdachloser sich durch ein nachlässig gepacktes oder anderweitig kontaminiertes Care-Paket mit der Krankheit infiziert. Das alles spricht nicht gegen ein Engagement für Obdachlose. Die entscheidende Frage bleibt, wie Hilfe zu organisieren ist, die über den Vitamingehalt einer Mandarine hinausgeht. Hinzu kommt, dass auf Nachfragen meist das Aufkommen von Obdachlosen in Leipzig gern auf „mindestens 500“ geschätzt wird.

Zum Vergleich: die Stadt Leipzig hält etwa 100 Notschlafplätze bereit, welche auch in strengeren Wintern noch nie überfüllt waren.

Vielleicht sollten sich die, die derzeit so engagiert Hilfsgüter eintüten, darauf verlegen, sich dort zu engagieren, wo es wirklich Not tut – beispielsweise vermittelt über die Freiwilligen Agentur Leipzig. Auch bei der Tafel Leipzig geht die Arbeit weiter, hier werden mittlerweile Tüten professionell gepackt und verschickt.

Video: Timmi to Help zur Corona-Soforthilfe 

Szenekenner starten Hilfsaktion

Seit heute hat die bekannte Leipziger Obdachlosen-Hilfsorganisation „Timmi to help” überdies eine Aktion gestartet, welche per Crowdfunding Obdachlose mit 20 (gebrauchten) Notfallhandys mit Prepaid-Karten austatten und Gutscheine für Nahrungsmittel verteilen soll. Die „Corona-Soforthilfe” der szenekundigen Engagierten benötigt für die passgenaue Idee lediglich 2.400 Euro gesamt.

Alles Engagements, die dann vielleicht auch über die Krisenzeit hinaus wirksam bleiben.

Unter diesem Beitrag finden sich weitere Links und Initiativen, wo man mithelfen kann. Sie kennen weitere gute Initiativen, die anderen Menschen helfen? Schreiben Sie uns an redaktion@l-iz.de – wir berichten sehr gern darüber.

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