Über die amerikanische „Bundesbehörde für den einheitlichen Gebrauch geografischer Namen“ schreiben sich die Journalisten hierzulande nicht gerade die Finger wund. Um ehrlich zu sein, habe ich in den entsprechenden Zeitungs- und Zeitschriftendatenbanken keinen einzigen Text gefunden, der sich mit der Behörde und ihrer Arbeit beschäftigt.

Auch der deutschsprachige Wikipedia-Eintrag zum „United States Board on Geographic Names“ ist nicht gerade das, was man einen vielgelesenen Artikel nennt. In den rund fünf Jahren, in denen der Eintrag existiert, wurde er genau 3.531 mal abgerufen. Das macht im Schnitt zwei Seitenaufrufe pro Tag, wobei der Schnitt in den letzten zwölf Monaten Jahr auf eins gesunken ist und aktuell, das heißt in den vergangenen drei Wochen, nur noch 0,5 beträgt.

Die Zahlen des englischsprachigen Eintrags sehen zwar naturgemäß etwas besser, letztlich aber auch nicht gut aus. 60 Seitenaufrufe pro Tag im Schnitt der letzten fünf Jahre. Wenn man die letzten zwölf Monate zugrunde legt, sind es noch 49. Und während der vergangenen drei Wochen bloß noch 37. Tendenz: auf niedrigem Niveau weiter sinkend. Statistisch gesehen also eine Behörde, für die sich hier wie da kaum jemand interessiert.

Und trotzdem dürfte die Behörde in den kommenden Wochen in den Fokus geraten, schließlich besteht ihre Aufgabe nicht nur darin, den einheitlichen Gebrauch geografischer Namen sicherzustellen und Neubenennungen durchzuführen, sondern auch über Umbenennungen zu entscheiden. Und da könnte es in nächster Zeit durchaus einige Anträge geben, denn ein Blick in die behördliche Datenbank macht klar, dass aktuell noch immer über 700 Flüsse, Bäche, Berge und Inseln das Wort „Negro“ im Namen tragen.

Wobei das „Negro“ in den allermeisten Fällen bis 1963 ein „Nigger“ war. Aber dann hat der damalige Innenminister Stewart Udall die Behörde angewiesen, das Wort „Nigger“ aus den Namen zu streichen, weil es schon damals als rassistisch galt, und es durch „Negro“ zu ersetzen, was damals nicht als rassistisch galt.

Nur am Rande: Sprachwissenschaftler bezeichnen solche Verschiebungen als „Euphemismus-Tretmühle“. Die These dahinter: Ein neuer, politisch korrekter Begriff nimmt mit der Zeit wieder die gleichen negativen Konnotationen an wie der alte Begriff – und zwar so lange, wie sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht ändern. Was mich freilich zu der generellen Frage führt, ob die zunehmende sprachliche Korrektheit tatsächliche reale Erfolge vorweisen kann?

Und zwar in dem Sinne, dass dadurch rassistische Einstellungen tatsächlich zurückgegangen sind. Denn: Vielleicht hat sich der Rassismus ja einfach nur verschoben bzw. kann sich jetzt ganz anders – und noch viel wirkmächtiger – ausdrücken. Was freilich kein Plädoyer für die Benutzung des Wortes „Nigger“ sein soll, sondern dafür, gewisse Grundannahmen und Implikationen zu hinterfragen.

Was nun das Board on Geographic Names betrifft, so verzeichnet die dortige Datenbank aktuell noch 764 „Negro“-Namen. Angesichts eines Gesamtbestandes von 2.296.772 geografischen Namen, sind das exakt 0,03 %, was man unter quantitativen Maßstäben nicht gerade ein großes Problem nennen würde, zumal die meisten, wenn nicht gar alle dieser Namen nur Einheimischen bekannt sein dürften.

Aber ich fürchte, die lokalen Einschränkungen und die geringe Zahl sind für viele Umbenennungswünsche nicht entscheidend, allein schon deshalb nicht, weil wir in einer Zeit leben, in der jeder Furz zu einem Erdbeben hochgekocht wird. Außerdem ist die political correctness, wie jede Ideologie, anti-empirisch. Womit ich weder fürs Unsensibel-Sein plädiere noch fordere, die „Negro“-Namen mögen doch bleiben. Mir ist die ganze Sache – wie so viele – im Grunde herzlich egal. Alles, was ich versuche, ist ein bisschen Licht in jenes Dunkel zu bringen, aus dem heraus so viele agieren.

Zumal die historischen Gründe für die „Negro“-Namensgebungen sehr verschieden sind und nicht per se rassistische Ursprünge haben, weshalb sich die lokalen Akteure – auch Afroamerikaner – mitunter gegen eine Umbenennung entscheiden. Zumindest war das bisher so. Aber es ist gut möglich, dass die aktuellen Proteste an diesem recht breiten Panorama etwas ändern. Allein schon, weil der Druck zur Konformität auf allen Seiten wächst.

Aber wie dem auch sei, ich spiele statt Zausel-Ideologe lieber noch ein bisschen Zahlen-Jongleur, zumal die Benamungs-Behörde dafür auch ausreichend Daten liefert. Im Steuerjahr 2019, das heißt zwischen dem 1. Oktober 2018 und dem 30. September 2019, hat die Behörde jedenfalls genau 165 Anträge bearbeitet, in denen es darum ging, einen geographischen Namen innerhalb der USA zu ändern. 138 davon wurden genehmigt, 27 abgelehnt. Wobei nur die wenigsten Anträge solche geografischen Orte betrafen, die das Wort „Negro“ im Namen führten.

Da Antragstellung und Prüfung mit einer Menge Arbeit verbunden sind, stammen die 165 Anträge mehrheitlich aus den Jahren 2017 und 2018, derweil jene, die aktuell verhandelt werden, meist 2019 gestellt worden sind und damit aus der Zeit vor den Protesten stammen. Was vielleicht auch erklärt, warum von den 360 Anträgen, die sich auf der aktuellen „Action List“ finden, nur 28 die Umbenennung eines „Negro“-Ortes fordern.

Es wird interessant sein zu sehen, ob sich die Anteile im Zuge der aktuellen Proteste tatsächlich verändern und wie viele Anträge – gerade mit Blick auf das Wort „Negro“ – in der nächsten Zeit eingereicht werden. Und vor allem: wie darüber entschieden wird. Offiziell bedarf es eines triftigen Grundes für eine Namensänderung, wobei die Sache mit der Triftigkeit naturgemäß von jedem anders beantwortet wird.

Was aber feststeht, ist, dass die Meinung der lokalen Bevölkerung wichtig für die Entscheidung ist, da nicht wenige Anträge von Menschen kommen, die außerhalb des – zumeist ländlichen – Gebietes leben, dessen Name sie gern geändert haben wollen. Was erstens auf gewisse „urbane Arroganzen“ verweist. Zweitens auf die Verschiedenartigkeit von Werten und Normen. Und drittens darauf, dass die Menschen innerhalb eines Landes verschiedene Sprachen sprechen. (Was den politisch besonders Korrekten unter den Diversitätsaposteln freilich ein wenig zu viel der Diversität ist.)

Aber zurück zum Thema: Laut des United States Board on Geographic Names stellt „eine Namensänderung, die lediglich auf die Korrektur eines historischen Namens zielt oder einen historischen Namen wieder einführen will, an sich keinen hinreichenden Grund dar, um einen Namen zu ändern.“ Wobei Namen, die verunglimpfend sind, einen solchen Grund ausdrücklich nicht brauchen. Allerdings ist auch das Verunglimpfungs-Empfinden sehr verschieden.

Kurzum: Die Sache ist kompliziert. Zumindest komplizierter als jene, deren „Werk“ in Twitterempörungen und dem Weiterleiten von Facebook-Posts besteht, gemeinhin wahrhaben wollen.

Aber wie dem auch sei. Jetzt, wo allerorten über Rassismus diskutiert wird, Statuen geschleift und Straßen, Plätze und Gebäude umbenannt werden, dürfte es bald auch den amerikanischen Flüssen, Bächen, Bergen und Inseln an den (weißen) Kragen gehen. Wobei die Lage auch hier weitaus verworrener ist, als es die Ideologen links wie rechts wahrhaben wollen. Das geht schon bei den Denkmälern und öffentlichen Gebäuden los.

In den Vereinigten Staaten gibt es noch etwa 1.500, die sich positiv auf die Konförderierten beziehen und damit – sehr vereinfacht gesprochen – auf die Südstaaten und die mit ihnen verbundene Sklaverei. Nicht wenige dieser Gebäude und Denkmäler wurden zu Zeiten der aufkommenden Bürgerrechtsbewegung errichtet und sind als solche Ausdruck der Gegnerschaft zu ebendieser Bürgerrechtsbewegung und ihren Forderungen. (Siehe dazu auch das Tagebuch vom 10.06.)

Schaut man sich aber die Straßennamen an, so wird die Sache schon diffuser. Zwar sind in Bundesstaaten wie Alabama und Virginia (noch) sehr viele Straßen nach Konförderierten benannt. Dennoch gibt es in Alabama, das in der öffentlichen Wahrnehmung nicht gerade als Hort des antirassistischen Kampfes gilt, mehr Straßen, Plätze und Denkmäler, die an schwarze Bürgerrechtler erinnern als solche, die auf Vertreter der Konförderierten verweisen.

Was eben auch daran liegt, dass der berühmte, von Rosa Parks initiierte Busboykott von Montgomery (1955/56) ebenso in Alabama stattfand wie die antirassistischen Freedom Rides (1961) oder die sogenannten Selma-nach-Montgomery-Märsche (1965), die einen der – hierzulande weithin vergessenen – Höhepunkte der Bürgerrechtsbewegung in den USA darstellten und auch Martin Luther King nach Alabama brachten. (Der übrigens 1963 in seiner berühmten I-have-a-Dream-Rede das Wort „Negro“ zur Selbstbeschreibung benutzte. Siehe dazu auch das Tagebuch vom 15.06.)

Was nun aber die amerikanischen Berge, Bäche, Flüsse und Inseln betrifft, so könnte es da mit „Negro“ bald vorbei sein, denn im Rahmen der aktuellen Proteste wird, so steht zu vermuten, ein regelrechter Hagelschauer an Umbenennungswünschen über dem bisher nur wenig bekannten Board on Geographic Names niedergehen. Wobei nicht verschwiegen werden soll, dass sich die Zahl der Anträge aktuell noch sehr in Grenzen hält. Aber vielleicht liegt das auch einfach daran, dass ein solcher Antrag einiges an Zeit braucht und mit allerlei Recherchen verbunden ist.

Aber so ist das nun mal. Veränderung macht Arbeit. Und eine eigene Meinung zu entwickeln ebenso. Selbst das bloße Informieren ist mit ein paar einfachen Klicks nicht (mehr) zu haben. Es reicht eben nicht, nur die eigene Blase zu durchstechen, man muss auch andere zum Aufplatzen bringen. Dafür braucht es aber ein bisschen mehr als nur Protest und allgemeine Entrüstung, so wichtig sie auch sind. Denn eines steht fest: Empörung ist nicht gleich Empowerment. Weder für sich selbst, noch für andere.

Alle Auszüge aus dem „Tagebuch eines Hilflosen“.

Direkt zum „Tagebuch eines Hilflosen“.

 

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