Seit 1989 kämpft der RosaLinde Leipzig e. V. gegen Diskriminierungen rund um Geschlechtlichkeiten und sexuelle Orientierungen. Der Verein setzt sich für die Rechte der LGBTQ*-Community ein, möchte Vorurteile abbauen und Sichtbarkeit schaffen. Außerdem bietet er Beratung für queere Menschen und deren Angehörige aus Leipzig und dem Leipziger Umland an.

Stefanie Krüger ist mit zwei Kolleg/-innen für die Bildungsarbeit bei der RosaLinde zuständig. Diese umfasst zum einen das Programm „Liebe bekennt Farbe“. Hierbei geben junge Erwachsene, die selbst homo-, bi-, asexuell, trans oder inter sind, Informationen zum Thema und beantworten die Fragen von Schulklassen. Wann und wie hast du es gemerkt? Wie haben deine Eltern reagiert? Hast du durch dein Coming-Out Freunde verloren? Wo lernst du Menschen für Beziehungen kennen? Willst du später mal Kinder haben? Außerdem unterstützt der RosaLinde e. V. Schulen bei der Einrichtung von Regenbogen-AGs. Hier können sich interessierte Schüler/-innen inhaltlich mit sexuellen Orientierungen und Geschlechtlichkeiten auseinandersetzen. Außerdem finden Jugendliche im Coming-Out-Prozess hier einen Schutzraum und werden in ihrer Entwicklung unterstützt.

Stefanie selbst ist vor allem für die Fortbildungen zuständig, die sich an Studierende, Lehrpersonal, Erzieher/-innen und verschiedene pädagogische Fachkräfte richten. In einem Hintergrundgespräch mit der Leipziger Zeitung (LZ) erklärt sie, welche Ziele die RosaLinde bei der Bildungsarbeit verfolgt, welche Probleme queere Kinder und Jugendliche im Schulalltag haben und wie Pädagog/-innen helfen können.

Schule der Vielfalt

Regenbogen-AGs, Workshops für Schulklassen, Fortbildungen für das Lehrpersonal. Der RosaLinde Leipzig e. V. möchte mit dem Projekt „Schule der Vielfalt“ die Schulen selbst dazu befähigen, diese drei Aspekte zu sexueller Orientierung und Geschlechtlichkeiten zu vereinen. Schulen, die damit einen sicheren Lernort, insbesondere für queere Kinder und Jugendliche, schaffen, sollen als solche gekennzeichnet werden.

„Es kommen oft Eltern auf uns zu, die anfragen, wenn ihre trans-Kinder die Schule wechseln – wegen Umzug oder schlechten Erfahrungen an der vorherigen Schule. Denen können wir dann natürlich vor allem die ‚Schulen der Vielfalt‘ ans Herz legen“, erklärt Stefanie. Das Projekt sei ähnlich gedacht wie ‚Schule ohne Rassismus/Schule mit Courage‘.

Man wolle das Projekt nachhaltig gestalten, so die RosaLinde-Mitarbeiterin. Daher müssen sowohl die Schul- als auch die Gesamtlehrerkonferenz dieses mit einer Mehrheit absegnen. „‚Schule der Vielfalt‘ heißt dann also, dass nicht nur drei sehr aktive Menschen dahinterstehen, sondern wirklich ein Großteil der Schule.“ Bisher arbeitet der Verein mit einer Handvoll Schulen im Einzugsgebiet zusammen.

Sichtbarkeit schaffen

Die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Queeres Netzwerk Sachsen beklagt, dass die Aufklärung über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt derzeit über den sächsischen Rahmenlehrplan nicht verpflichtend vorgeschrieben ist.

„Von konservativer Seite wird ja oft die Befürchtung geäußert, dass man durch solche Unterrichtsthemen die Kinder zu früh sexualisiert. Wenn man ihnen sagt, was es so gibt, dann würden sie auch so werden“, beklagt Stefanie. Daher sei man froh über die Einführung des sächsischen Orientierungsrahmenplans für Familien- und Sexualerziehung.

Er greift Themen wie Pubertät, Verhütung, Gleichberechtigung, aber auch sexuelle und geschlechtliche Vielfalt auf. Ein Fortschritt, heißt es seitens der RosaLinde. Dennoch wolle man weiterhin für Verbindlichkeiten kämpfen – allein um der Realität der heutigen Jugend gerecht zu werden.

„Zu meiner Schulzeit vor 15 Jahren kamen Themen wie Sexualität und Geschlechtlichkeit in der Gesellschaft noch selten auf. Aber heutzutage ist das doch die Lebensrealität der Jugendlichen – auf Netflix beispielsweise tummeln sich Serien mit queeren Inhalten. Sie wachsen damit auf“, erläutert Stefanie den Sachverhalt.

Diese Tatsache sollte und kann in jedem Unterrichtsfach thematisiert werden. Im Deutschunterricht könne man einen Coming-Out-Roman lesen, in Englisch Diskussionen zu queeren Themen schreiben. Und auch der Matheunterricht bietet sich hierbei an: „Einfach mal bei einer Textaufgabe ein homosexuelles Pärchen nennen.“ Einfach mal Sichtbarkeit schaffen.

Ratlosigkeit unter Lehrer/-innen

Doch all diese Vorschläge müssen mit Leben gefüllt werden. „Wenn man sich das derzeitige Lehramtsstudium anschaut: da kommen diese Themen nicht vor. Es gibt vereinzelte Seminare, Projektstellen, die nur über einige Jahre laufen“, kritisiert Stefanie die Lehrer/-innenausbildung. „Außerdem kommen da ja allerhand Themen vor: Verhütung, Konsens. Da ist geschlechtliche Vielfalt noch gar nicht dabei.“

Dennoch: Viele Lehrer/-innen wissen, dass sie in ihrer Laufbahn mit trans-Jugendlichen konfrontiert werden – und mit sexueller Orientierung erst recht. In ihren Schulen wird es Coming-Outs geben. Doch wie sie damit umgehen sollen, weiß kaum jemand. Es fehle zum einen an Grundlagenwissen, berichtet Stefanie: „Heißt: wie geht es den Leuten damit überhaupt? Wie schwer ist so eine jahrelange, heimliche Suche nach der eigenen Identität?“

Aber gerade bei konkreteren Fragen ist das Lehrpersonal oft überfordert: Wie unterstütze ich jemanden, der sich outet? Was mache ich mit „schwul“ als Schimpfwort? Wie löse ich das Problem mit binär aufgeteilten WCs, Umkleiden oder beim Sport? Ohne entsprechende Ausbildung im Studium oder Fortbildungen in den Schulen vollkommen verständlich, so Stefanie.

Fehlende Vorbilder

Ein weiteres Problemfeld: Zu wenig Vorbilder für Kinder und Jugendliche, die auf der Suche nach der eigenen Identität sind. Mit dem bereits genannten Programm „Liebe bekennt Farbe“ versucht die RosaLinde, Abhilfe zu schaffen. Durch Ehrenamtliche, die selbst ihre Coming-Out-Erfahrungen teilen, werden die Kinder und Jugendlichen natürlich nicht nur für das Thema sensibilisiert: „Für die Jugendlichen, die selbst in ihrem Coming-Out-Prozess stehen, wird eine zusätzliche Unterstützung angeboten. Die Leute, die jetzt vor ihnen stehen, hatten vor 5, 10 oder 15 Jahren wahrscheinlich genau die gleichen Gedanken und Sorgen. Und jetzt sind die cool mit sich, stehen vor einer Klasse und erzählen offen darüber.“

Doch auch unter Lehrkräften sollte mehr Offenheit für das Thema herrschen, so Stefanie. „Bei großen Schulen von 100 Lehrpersonen ist es statistisch gesehen höchst wahrscheinlich, dass da eine Handvoll dabei ist, die auf die eine oder andere Weise Coming-Out-Erfahrungen hat.“

Doch viel zu oft würde darüber nicht gesprochen: „Klar können die Leute sagen: Das ist meine persönliche Entscheidung, ich muss da nicht drüber reden. Aber die Hetero-Cis-Lehrkräfte tun das ja auch – erzählen zum Beispiel von ihrer Familie. Es geht ja nicht darum, sich vor irgendwen zu stellen und alles bis ins Detail zu erklären, sondern ganz normal von sich und seiner Familie zu erzählen.“

Dafür muss aber selbstverständlich die Atmosphäre an einer Schule stimmen. Aber wenn man die Möglichkeit hat, sollte man versuchen, eine Vorbildrolle einzunehmen, appelliert Stefanie.

Ausgrenzung, Schulabbrüche und Suizidversuche

Wenig ausgebildete Lehrkräfte, kaum Vorbilder, Mobbing, binär aufgeteilte Toiletten. Was machen all diese Faktoren mit queeren Kindern und Jugendlichen? „Grundsätzlich kann man sich das erstmal durch den Minderheitenstress erklären lassen – ein Modell, das aus der Psychologie kommt. Es besagt, dass, wenn man einer Minderheit angehört, man zusätzlichen Stress erfährt im Gegensatz zu den Mehrheitsgruppen“, beantwortet Stefanie die Frage.

„Das gilt auch bei dunkler Hautfarbe beispielsweise. Ich mache schlechte Erfahrungen und rechne damit, dass diese sich in allen möglichen Alltagssituationen wiederholen. Wie auch als Frau Unsicherheit im öffentlichen Raum zu erleben, sexualisiert zu werden.“

Als schwule, lesbische oder bisexuelle Person bekommt man ständig unangenehme, sehr private Fragen gestellt. Man weiß daher, welche Gedanken in der Gesellschaft verbreitet sind, die auf einen projiziert werden. Trans- oder inter-Personen lösen bei einigen Leuten Verwirrung oder vielleicht sogar Angst aus – wenn beispielsweise jemand mit weiblichem Erscheinungsbild eine tiefe Stimme hat.

„Die Minderheiten wissen das und haben Angst vor Anfeindungen oder auch einfach nur vor komischen Blicken. Das macht einfach zusätzlichen Stress zu dem Stress, den auch wir im Alltag haben: einkaufen gehen, Beziehungsführung, Kindererziehung. Und dieser Stress zieht Ressourcen ab“, führt Stefanie aus.

Queere Schüler/-innen versuchen meist, einfach nur durch den Schultag zu kommen, ohne beleidigt zu werden. Dass Kinder nicht in allen Belangen reif sein können, verstehe Stefanie. „Das Berufsverständnis des Lehrpersonals sollte aber sein, die Kinder so gut es geht zu fördern und zu beschützen. Aber das ist leider allzu häufig nicht der Fall. Es gibt Lehrkräfte, die dann mitdiskriminieren, Sprüche bringen, Ausschlüsse verstärken. Ein Zustand, der nicht haltbar ist.“

Für trans-Kinder kommen weitere Probleme hinzu. „Auf welches WC gehe ich? Ich ertrage es nicht, auf die Mädchentoilette zu gehen, weil ich mich eigentlich als Junge sehe. Das ist mir schon lange klar, ich habe mich aber noch nicht geoutet. Bei den Jungs wiederum bin ich aber nicht willkommen“, schildert Stefanie ein mögliches Szenario.

Statistiken belegen beispielsweise, dass trans-Personen häufiger an Harnwegsinfektionen leiden, weil sie den Urin über den Tag zurückhalten und nichts trinken – um nicht jeden Tag die Toilettenfrage erneut durchmachen zu müssen. Kopfschmerzen und Konzentrationsmangel sind die Folge.

All diese Faktoren führen zu dramatischen Leistungsabfällen bei queeren Kindern. Schulabbrüche, Schulwechsel, Suizidversuche und Drogenkonsum sind häufige Folgen.

Was kann ich als Lehrer/-in tun?

In ihren Fortbildungen bietet Stefanie für Lehrpersonal und Studierende Informationen und Lösungen an. Zunächst vermittelt sie Grundwissen zu Begriffen und Problemen von LGBTQ*. Im Anschluss geht es dann um Fragen zu Diskriminierung, um konkretes Unterrichtsmaterial und -methoden. Wie kann der Sportunterricht für trans- und inter-Kinder gerecht gestaltet werden? Und auch das Problem von binär aufgeteilten Toiletten und Umkleiden spielt eine Rolle.

Des Weiteren gibt sie kleine Tipps: Beispielsweise der Eintrag in das Klassenbuch oder auf dem Zeugnis – die Änderung des Vornamens ist rechtlich möglich und bedeute keine Urkundenfälschung, erklärt Stefanie. „Das reduziert erwiesenermaßen das Stresslevel von queeren Jugendlichen und ist mit sehr geringem Aufwand machbar.“

Neben den Workshops, die man für das eigene Kollegium buchen kann, bietet Stefanie derzeit auch offene Fortbildungen an. Diese finden über Zoom statt und sind kostenlos. Die Termine für das Online-Bildungsformat „Schule queer gedacht“ werden auf der Seite des RosaLinde Leipzig e. V. veröffentlicht.

„,Das ist ja voll schwul!’ – Womit queere Kinder und Jugendlicher in der Schule zu kämpfen haben“ erschien erstmals am 30. April 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG.

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