Die Corona-Pandemie bestimmt das gesellschaftliche Leben nun schon seit über einem Jahr. Monatelange Lockdowns inklusive Homeschooling beziehungsweise Online-Studium und dem Wegfall von Freizeitaktivitäten und sozialen Kontakten haben ihre Spuren hinterlassen. Viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene hatten mit den gleichen Problemen zu kämpfen: Isolation, fehlender Ausgleich, Ungewissheit.

„Oft sind diejenigen stärker betroffen, denen es auch vorher nicht gutging, die sozusagen schon vorbelastet waren“, so Psychologin Melanie Eckert. Auch das Thema häusliche Gewalt hat durch die räumliche Enge und den zusätzlichen Stress neue Dimensionen angenommen. All diese Faktoren bewogen Eckert und fünf Kolleg/-innen dazu, eine neue Beratungsplattform ins Leben zu rufen: Krisenchat. „Uns war klar, dass eine sehr hohe Belastung auf die Kinder und Jugendlichen zukommen wird.“ Deshalb habe man Krisenchat so schnell wie möglich während der ersten Welle gegründet, im April 2020. Das gemeinnützige Unternehmen richtet sich an alle jungen Menschen bis 25, die sich mit jedem Anliegen an die Berater/-innen wenden können. Die Beratung läuft per WhatsApp und SMS. „Weil wir so vertraulich und anonym sind, trauen sie sich bei uns häufig zum ersten Mal davon zu sprechen“, erklärt Mitgründerin Eckert. Sie ist psychologische Leiterin bei Krisenchat.

„Häufige Themen in den Beratungen sind depressive Symptome, Ängste, aber auch Liebeskummer und suizidale Gedanken. Außerdem leiden einige Personen unter häuslicher oder sexueller Gewalt.“ Mit ihrem Angebot wollen die Krisenchat-Gründer/-innen den Kindern und Jugendlichen eine erste Hand reichen. „Wir verstehen uns ganz klar als Krisenintervention, aber nicht als Langzeitberatung oder Therapie“, so Eckert.

„Bei einigen Themen reicht es schon aus, dass die Leute darüber sprechen können und wissen, dass jemand da ist und zuhört“, erklärt die Psychologin. Wenn aber klar wird, dass es einen höheren Bedarf gibt, erklären die Berater/-innen, wie die Hilfesuchenden beispielsweise an einen Termin in einer psychotherapeutischen Praxis oder einer Spezialberatungsstelle kommen. „Diesen Schritt muss die Person dann aber alleine gehen.“

In über 30.000 Beratungen konnte so schon 12.000 jungen Menschen geholfen werden. Dafür arbeiten knapp 300 Ehrenamtliche in zweistündigen Zeitslots rund um die Uhr. Denn Krisen finden oft außerhalb der üblichen Öffnungszeiten von Beratungsstellen statt.

Die Ehrenamtlichen haben alle einen fachlichen Background, erzählt Eckert: „Wir arbeiten mit Psychologen, Sozialpädagogen mit einem abgeschlossenen Studium und vergleichbaren Leuten mit viel Berufserfahrung zusammen.“ Nach dem dreimonatigen Trainingsprogramm werden die Berater/-innen durch ein psychologisches Leitungsteam bei ihren ersten Chatberatungen unterstützt.

Doch nicht nur die Zielgruppe scheint von dem Projekt begeistert zu sein: Auch die Universität Leipzig kam auf die Gründer/-innen zu. „Krisenchat ist wirklich ein tolles, niedrigschwelliges Projekt, das professionelle Beratung anbietet und eine Lücke schließt“, so Christine Rummel-Kluge vom Universitätsklinikum. Sie ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und leitet darüber hinaus eine Arbeitsgruppe, die zum Thema E-Mental-Health forscht.

„Das Kommunikationsmittel Chat passt perfekt in die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen“, erklärt die Ärztin. Viele junge Menschen hätten beispielsweise Hemmungen zu telefonieren. Außerdem sei für ein Telefonat ein separater Raum nötig. Weiterhin hebt Rummel-Kluge die Hochwertigkeit durch professionelle Beratung und den 24-Stunden-Bereitschaftsdienst hervor. Sie und ihr Forschungsteam evaluieren nun das Beratungsangebot von Krisenchat.

„Es ist uns auch sehr wichtig, dass das extern passiert und nicht intern“, so Krisenchatterin Melanie Eckert. Der erste Schwerpunkt der Evaluation ist die Beschreibung der Zielgruppe, die Nutzung für bestimmte Anliegen sowie die Zufriedenheit der Nutzer/-innen. Dazu werden die Metadaten der Beratungen verwendet, ohne die Chatverläufe inhaltlich auszuwerten. Die Zufriedenheit der Nutzer/-innen wird mit drei Feedback-Fragen am Ende jeder Beratung untersucht.

Der zweite Teil der Evaluation beschäftigt sich mit der Wirksamkeit der Beratung. Vier Wochen nach dem Chatgespräch werden die Teilnehmer/-innen, die einer Nachbefragung zustimmen, gefragt, ob sie die Empfehlungen umgesetzt haben oder umsetzen konnten. Wenn dem so ist, wird untersucht, ob der empfohlene Lösungsansatz zu einer Verbesserung der Situation geführt hat.

Wenn die Empfehlung nicht umgesetzt wurde, versucht man herauszufinden, welche Gründe es dafür gab. „Die Idee von Krisenchat ist, dass nach der Beratung bei Bedarf ein Übergang in das reguläre Versorgungssystem erfolgt. Wir würden gerne herausfinden, ob das tatsächlich funktioniert“, so Christine Rummel-Kluge.

Die Zusammenarbeit von Krisenchat und der Universität Leipzig wird vom Bundesministerium für Gesundheit noch bis Ende Januar 2022 gefördert. Am Ende der Evaluation sollen mehrere Publikationen zu den Ergebnissen entstehen.

„Krisenchat: Universität Leipzig evaluiert Beratungsangebot für junge Menschen“ erschien erstmals am 30. Juli 2021 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 93 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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