„Wir stehen hier am Mittelpunkt des alten Leipzigs, die geographische Ausgangslage, wo sich Flüsse und Verkehrswege kreuzten“, eröffnet ein Mitarbeiter des Pro Leipzig e. V. die Führung rund um das Areal des Matthäikirchhofs. Vor 1.000 Jahren entstand hier die erste deutsche Burg „Libzi“; anschließend wurde der Gebäudekomplex in eine Klosterkirche, später in ein Alliierten-Hauptquartier und ab 1950 in eine Stasi-Zentrale verwandelt.

Die Neugestaltung des historischen Ortes ist eines der zentralen Projekte im Arbeitsprogramm 2023 der Stadt Leipzig. Und soll sich laut Verwaltung zu „einem vitalen Ort gelebter Demokratie entwickeln“. Das heißt eben auch, Bürger und Bürgerinnen in den Planungsprozess mit einzubeziehen.Nach einer Auftaktveranstaltung im April, einer Online-Umfrage und mehreren Fachwerkstätten starteten am Sonntag, 19. September die Aktionstage. Bis Mittwoch, 22. September werden dabei Ausstellungen, Führungen und Diskussionsrunden angeboten, wobei letztere mit nur einem Format zur Jugendbeteiligung recht kurz kommen.

Doch nicht nur das Programm lässt erahnen, dass es mittlerweile kaum noch um richtungsweisende Entscheidungen geht. Das Fundament für Fachwerkstätten und Aktionstage bildete das in der Ratsversammlung im November 2020 beschlossene „Positionspapier der Stadt Leipzig zum Matthäikirchhof als Grundlage der Beteiligung (Vorlage des Arbeitsprogramms 2023)“. 

30 Prozent der Grundstücksfläche sollen demnach auf das „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“ entfallen, das schon jetzt aufgrund einer männergeführten Debatte um Gleichberechtigung in der Kritik steht. Außerdem soll neuer Wohnraum geschaffen sowie öffentliche Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen angesiedelt werden. 

Bis zu 40 Prozent des Areals sollen von Bebauung freigehalten werden, um Freiräume zu schaffen und ein Absatz des Positionspapieres deutet auf die Ansiedlung einer Konzernzentrale hin. Glaubt man den Worten des OBM Burkhard Jung auf einer Pressekonferenz der Agentur für Arbeit, siedelt sich auf dem Matthäikirchhof also bis 2023 ein großer Konzern an – und dieser wird wohl genau das einnehmen, was außerhalb des „Forums“ noch an Baukörper denkbar wäre. 

Die Spielräume der „frühzeitigen“ Bürgerbeteiligung, die knapp vier Jahre nach dem Beschluss der Stadt zur Neugestaltung des Areals und gut zwei Jahre vor Fertigstellung des Projektes eröffnet wurde, scheinen also begrenzt. So wirken die Tagträumereien der Pro Leipzig-Führung etwas illusioniert: „Schon damals erfüllte der Matthäikirchhof als Wärmestube solidarische und soziale Zwecke. Solch ein Konzept wünsche ich mir auch für die Neugestaltung.“

Außerdem sollte der Charme des alten Leipzigs mit den ruhigen, gemütlichen Innenhöfen wiedererweckt werden. „Ohne historisch nachzubauen, könnte man hier am Matthäikirchhof wieder solch eine Atmosphäre schaffen“, so der Guide. 

Pro Leipzig e. V. wünscht sich für den Matthäikirchhof eine ruhige, gemütliche Innenhof-Atmosphäre. Foto: Antonia Weber

Informativ sind die Veranstaltungen, die auf dem Richard-Wagner-Platz beginnen und sich um Vergangenheit und Zukunft des Matthäikirchhofs drehen, allemal. Und mit den Planer/-innen vor Ort reden, könnte ja doch noch die ein oder andere Bürger/-innen-Idee in den Prozess integrieren. Voranmeldungen sind nicht nötig. Hier geht’s zum Programm.

Nach den Aktionstagen und einer letzten Fachwerkstatt wird die erste Beteiligungsphase mit einer Abschlussveranstaltung im ersten Quartal 2022 beendet. Anschließend beginnt der Städtebauliche Wettbewerb, bei dem sich die Bürger/-innen ebenfalls einbringen können sollen.

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