Was würde geschehen, wenn wir uns bewusst wären, welche Macht und Kraft in unserer Aufmerksamkeit liegt, die wir anderen zuteilwerden lassen. Schon in persönlichen Gesprächen blühen Menschen auf, wenn wir ihnen Aufmerksamkeit schenken und ihnen zuhören. Sie verstärken positives Verhalten, wenn sie Lob und Anerkennung dafür bekommen.

Im großen gesellschaftlichen Zusammenhang hat unsere Aufmerksamkeit, haben unsere Klicks und Likes, unsere Abonnements und Follows eine riesige Gestaltungskraft. Sie ermutigen nicht nur persönlich, sondern sie bestimmen auch über Reichweiten und Werbeeinnahmen. Was wäre, wenn wir sie ganz bewusst und gezielt einsetzen würden?
Stellen Sie sich vor, wir würden unsere Aufmerksamkeit viel stärker denen schenken, die Dinge wissenschaftlich sorgsam erforschen als jenen, die zu allem schnell eine Meinung haben.

„Jugend Forscht“ würde vermutlich sämtliche Castingshows im Fernsehen verdrängen. In Jugendzimmern würden Porträts und Veröffentlichungslisten von Professor/-innen an den Wänden hängen. Für die Live-Galas zu Verleihungen von Wissenschaftspreisen müsste man Fußballstadien mieten. Sie würden selbstverständlich zur Prime-Time im Fernsehen laufen.

Talkshows würden nur noch dann Einschaltquoten generieren, wenn sie zu den Themen ausschließlich namhafte Expert/-innen präsentieren könnten. Diese müssten dann nicht mehr darüber diskutieren, ob evidenzbasierte und gut erforschte Fakten Handlungsgrundlage sein sollten, sondern könnten sich darüber austauschen, was konkret zu tun ist.

Politiker/-innen würden im Publikum sitzen und mitschreiben. Sie wüssten genau, dass ihre Vorschläge nur dann eine Chance auf öffentliche Aufmerksamkeit und damit auf Mehrheiten hätten, wenn sie an solchen wissenschaftlich fundierten Vorschlägen orientiert wären. Unvorbereitetes Erscheinen zu Interviews und mangelnde Kenntnis relevanter Fakten und Studien wäre dann ein Rücktrittsgrund. Mancher Talkmoderator, der sich nicht daran gewöhnen kann, Expertinnen ausreden zu lassen, dürfte höchstens noch eine Kochsendung irgendwann nachts im dritten Programm gestalten.

Zeitungsredaktionen würden Expert/-innen bei Interviewanfragen versprechen, ihnen genügend Platz auch für komplexe Zusammenhänge und für mindestens 4 Info-Grafiken einzuräumen.

Zeitung
Die letzte LZ des Jahres 2021, Nr. 97 Titelblatt. Foto: Screen LZ

Schauspieler/-innen und Sänger/-innen würden hauptsächlich für ihre künstlerischen Leistungen mit Sendezeiten belohnt werden. Als Expert/-innen wären sie ausschließlich dann gefragt, wenn es um Unterhaltungs- und Kulturthemen geht. Verbreiter/-innen von Falschmeldungen und Hassnachrichten würden ein sehr einsames und unbeachtetes Leben führen.

Stellen Sie sich vor, wir würden unsere Klicks vor allem an Menschen verteilen, die sich für andere engagieren und sich für Umweltschutz und für das Gemeinwohl einsetzen.

Kleine Vereine, Kirchen und Initiativen wären bekannt und würden mühelos Mithelfende für ihre sozialen Projekte finden. Geflüchteten helfen, Kranke besuchen und für alte Menschen da sein wäre „in“. Spenden und gesellschaftliches Engagement wären die neuen Statussymbole.
Vor Unverpacktläden würden sich lange Schlangen bilden. Die Marketingabteilungen von Autokonzernen würden verzweifelt für ihre Werbekampagnen versuchen, Fahrräder in die Kofferräume der nahezu unverkäuflichen übergroßen Vehikel zu quetschen.

Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Schon in der Bibel (Jakobus 3) heißt es: „Denkt an ein Schiff: Es ist groß und wird von starken Winden getrieben; trotzdem wird es mit einem winzigen Ruder gesteuert, ebenso ist es mit der Zunge: Sie ist nur klein und bringt doch gewaltige Dinge fertig.“ Was wir sagen oder teilen hat eine immense Wirkung! Das gilt umso mehr für unsere Likes und Klicks, die sich im Netz vervielfältigen!

Was würden Sie gerne verstärken? Was spricht Sie am meisten an? Zeigen Sie es! Der Traum beginnt vielleicht schon mit dem nächsten Klick.

Mehr aktuelle Träume auf L-IZ.de, in der Coronakrise 2021 und aus den letzten Jahren

„Wenn Leipziger/-innen träumen: Das Ruder aktiv in die Hand nehmen“ erschien erstmals am 17. Dezember 2021 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 97 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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