Der Söder sieht in Deutschland Weimarer Verhältnisse dräuen. Weswegen er, kurz nachdem er eines der schlechtesten Wahlergebnisse der CSU ever eingefahren hat, dem Kanzler anbietet, dass er doch die FDP und die Grünen entlassen und eine neue GroKo bilden sollte. Mit ihm im Kabinett – darf man vermuten.

Angesichts der Katastrophen der letzten Wochen könnte Zeitungslesen ja zum bevorzugten Frühsport von Masochisten geworden sein. Söders Rede sticht in ihrer Unverschämtheit dennoch heraus.

Natürlich will Söder keine andere Regierung. Zumal der Kanzler auch gar keinen konkreten Grund dazu hätte, die Ampel aufzulösen. Was der Markus will, ist sich als Kanzlerkandidat der Union ins Spiel zu bringen. Beim Merz wackelts ja schon so ein bisschen, seit er  – für alle natürlich völlig unvorhersehbar – dann doch die Kante zur AfD nicht so richtig erfolgreich klarziehen konnte. Oder will der Söder doch eine neue Regierung und plant ernsthaft den Kanzlersturz im Bundestag?

Immerhin hat der Mann sich schon zu Hause in der bayrischen Bastion von einem mit antisemitischen „Jugendsünden“ belasteten Koalitionspartner einigen müssen. Was, da muss man sich nichts vormachen, kein leichter Gang für Söder war.

Jetzt hat die AfD auch noch im Westen heftig zugelegt und gibt mit ihrem Erfolg den Granden der christlich-sozialen Volksparteien unangenehme ideologische Denksportaufgaben auf, für die sie nicht gut gerüstet sind, nach fast zwanzig Jahren intellektuellem Stillstand, der sich zu lange mit dem Spruch: „Erfolg gibt recht“ legitimieren ließ.

Was, wenn demnächst auch in Hessen oder Ba-Wü die Stärke der AfD zu unbequemen Regierungsformen zwingt, wie sie das ja bereits in Thüringen tut? Wo die lokale Union immer wieder aufmuckt und mit den Blauschlümpfen liebäugelt, die ihnen irgendwie doch demokratischer erscheint als Ramelows Linke, mit der eine Union partout koalieren will.

Der Merz greift angesichts des AfD Gespensts in die Asyltrickkiste.

Cover Leipziger Zeitung Nr. 117, VÖ 28.10.2023. Foto: LZ

Bisher tut er das mit eher mäßigem Erfolg.

Nur kann die AfD Rassismus und Ausländerhass nun mal deutlich besser als die Union, weil bei der noch gewisse humanistische Bremsklötze wirken, die die Blauen schon längst als überholt deklariert haben.

Dann droht auch Sahra Wagenknechts neue Partei am Horizont, deren Wählerpotenzial sich eben nicht nur aus Ex-Linken, enttäuschten AfD-Wählern und ein paar Esoterikgrünen rekrutiert, sondern auch aus von den Zeitläuften überforderten Unionswählern, die bislang noch zu zögerlich gewesen waren, es mal mit den Schlipsnazis an der Wahlurne zu versuchen.

Von unten drängelt die Sahra, von rechts die Alice und die Angela Traumata hat er auch noch nicht so richtig verarbeitet – man kann schon behaupten, dass der Söder kein (politisches) Glück mit den Frauen hat.

Was er allerdings auch nicht getan hat, ist seine Partei intellektuell fit fürs 21. Jahrhundert gemacht zu haben. Was sind denn die Werte und Ziele der CSU? Außer Floskeln und einem politischen Pragmatismus für den Machterhalt um jeden Preis sehe ich da nicht viel. (Und bin über informierte Hinweise in den Kommentarspalten dankbar.)

Aber ohne ideologische und intellektuelle Richtschnur wird die CSU und wird die Union weiter auf Sicht fahren müssen. Angesichts der Tatsache, dass die Welt sich um uns gerade in atemberaubender Geschwindigkeit ändert, ist es keine beruhigende Erkenntnis, dass den deutschen Konservativen nichts weiter einfällt als die Greatest political Hits ihren zur Bestechlichkeit neigenden Altkanzlers zu kopieren.

„Haltungsnote: Karaoke-Show bei der Union“ erschien erstmals im am 27.10.2023 fertiggestellten ePaper LZ 118 der LEIPZIGER ZEITUNG.

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