Ein Blauschlumpf mit Finanzvergangenheit und EU-Parlamentsmandat hat neulich behauptet, echte Männer seien rechts. Boah, denkste dir da als ostdeutsch sozialisierter Mann mit sächsisch eingefärbter Redekultur, was wird das denn jetzt?

Angesichts der regelmäßigen Wahlerfolge der AfD vor allem unter ostdeutschen Männern steht dann wohl fest, dass du als Ossi-Kerl grundsätzlich Eier aus Stahl hast und die gendergrünweichgespülte West-Männerblase an deiner Camp-David-Shirt gestählten Brust nur noch devot abflutschen dürfte.

Nachdem wir Ostdeutschen, dem Leipziger Professor Dirk Oschmann zufolge, ja nix weiter seien als eine westdeutsche Erfindung, aber wir laut der Historikerin Katja Hoyer und ihrem DDR-Sachbuchbestseller die Köpfe wegen unserer bösartigen DDR Diktatur-Vergangenheit nicht mehr gar so tief hängenzulassen brauchen, kommt jetzt der AfD-Powerschlipstroll und verleiht uns OmPs (sprich:  Ossis mit Penis) eine ganz neue Identität als Anti-Flauschbastion?

Ich bin verwirrt.

Bin ich als linksliberaler, semiprofessioneller Blauschlumpfbeschimpfer mit sächsischer Identität, aber strikten Anti-AfD-Wahlzettelwerten berechtigt, mich noch als harter Hund der deutschen Krimiszene zu geben oder sollte ich mich lieber solidarisch zu den (vermeintlichen) Halbeiern im Kumbaya-Singekreis in Bochum-Nord oder Sylt-Südwest zuordnen?

Die eine spricht mir – zumindest suggestionsweise – mein 89er-Revolutionsheldentum ab, der andere zweifelt – ebenfalls mit Bestsellerstatusreputation – an meiner Identität und der dritte, bei weitem unangenehmste, versucht mir einzureden, dass nur noch bislang vor allem als Ningelkönige, Protestwähler und Viertel-Halb-oder Vollnazis aufgefallene OmPs sich als echte Männer betiteln dürfen.

Um das Dilemma mit Lenin (kein Ostdeutscher!) auf den Punkt zu bringen: „Was tun?“

Cover Leipziger Zeitung Nr. 115, VÖ 29.07.2023. Foto: LZ

Hm, ich könnte zur Geliebten gehen und eine brachial persönliche Orgasmusauslösungsstatistik aufstellen um mein verwirrtes Männerego ein bisschen aufzuhübschen. Neulich sass ich aber auch mit drei Thüringern in einem verwilderten Kleingarten und habe mich beim Streit darum, wer die Grillzange schwingen darf, kläglich nicht durchgesetzt. Deutlicher Minuspunkt auf der harten Kerle-Skala oder bloß insignifikanter tagesformabhängiger Durchsetzungsausrutscher?

Hah! Ich könnte meine Buchverkäufe der letzten 15 Jahre zusammenaddieren und mich dann mit meinem Status als (fast) erfolgreicher Medienmensch trösten.

Das brächte mich zwar nicht an der Männerhärtefront weiter, aber immerhin könnte ich, so Dirk Oschmann, den Finger zeigen und müsste mich eben nicht mehr als Opfer kultureller Überstülpung und Dauerverlierer fühlen. (Oschmann bezeichnete meinen einheimischen Dialekt als Verlierersprache).

Aber was ist mit dieser „In-der-DDR-war-nicht-alles-bloß-russisch-Brot-und-bloß-lauwarmer-Ersatzkaffee“-Nummer von Frau Hoyer?

Deren Sachbuch hat so richtig Flak aus der westdeutschen Feuilletonszene gekriegt. Sollte ich mich der Gruppe der Hoyer-Belehrer*innen zuschranzen und damit wenigstens mein Trost-Ego als Teilnehmer einer Revolution gegen eine Diktatur retten?

Die Geliebte ist gerade nicht greifbar, um die Orgasmusvermittlungsstatistik zu erstellen.  Ich kriege seit fünfzehn Jahren auf der Kleinkunstlesebühne meinen Verliererakzent nicht richtig eingefangen und 89 ist so lange her, dass meine persönliche Erinnerung an eventuell dabei vollbrachte Oppositionsheldentaten total verschwimmt.

Mangels Musikalität und Taktgefühl darf ich mich auch keinem Singekreis zumuten. Bleiben noch die Buchverkaufszahlen. Die sind gar nicht übel. Die setzen sich aus Verkäufen sowohl im Westen wie im Osten zusammen. Identitätskrise am Arsch, Freunde. Wir alle sind mehr als unsere Geburtsgeografie und wer sich anmaßt, daraus mehr zu konstruieren als eben nur einen von stets mehreren persönlichen Sozialisierungsfaktoren, der handelt letztlich immer mit Läusekämmen.

„Haltungsnote #53: Blauschlümpfe im Eierkocher“ erschien erstmals in der Juli-Ausgabe, ePaper LZ 115, der LEIPZIGER ZEITUNG.

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