Wenn wahr ist, dass sich die Qualität und Größe eines Künstlers über die zunehmende Tragik seines Lebens definiert, wird der in der Nacht zum 11. Mai 2025 einsam und lebensunwillig gestorbene Leipziger Maler Michael Zschocher einmal einer der ganz Großen gewesen sein. Seine Bilder haben die Qualität und sein Leben die Tragik. Geboren wurde Zschocher als Sohn eines aus dem KZ Buchenwald Befreiten am 23.10.1948 in Leipzig. Ein großer Schatten, aus dem herauszutreten natürlich und besonders in einem Land wie der DDR nicht so einfach war.
Gelungen ist Michael Zschocher das, nach mehreren mehr oder weniger gescheiterten Berufsversuchen, dann endlich mit dem Beginn seines Studiums an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst in den Achtzigerjahren, an der er als Schüler von Heinz Wagner und Bernhard Heisig innerhalb der berühmten Leipziger Schule seinen ganz eigenen Stil finden konnte.
Vielversprechend, wenn nicht gerade zu diesem Zeitpunkt in Gestalt der DDR-Staatssicherheit die Tragik seines Lebens ihren ersten schweren Schritt getreten hätte. Zschocher wurde verfolgt, verhört, psychisch unter Druck gesetzt, was ihn letztlich dazu zwang, 1988 eine Künstlerreise zur Flucht aus der DDR zu nutzen.
Das war also kurz bevor der Eiserne Vorhang zu fallen begann, und wäre Michael Zschocher – der Tragik nächster Schritt – zu dieser Zeit in Leipzig gewesen, er wäre vermutlich ähnlich erfolgreich in der nun Neuen Leipziger Schule gewesen, wie es beispielsweise seine Mitstudenten Neo Rauch, Judy Lybke und andere waren.
Und weil die Tragik nur selten von ihrem Weg abweicht oder ihn gar verlässt, war es folgerichtig, dass der ja doch Leipziger Michael Zschocher partout nicht in der Lage war, sich zu seiner künstlerischen Herkunft zu bekennen, ja noch nicht einmal zu seiner Heimatstadt. Vielmehr versuchte er, in Berlin Fuß zu fassen, was aber auch dort ohne Label und Vergangenheit schwer, eigentlich unmöglich war. Auch Kunst verkauft sich nicht ohne das passende Etikett.
Immerhin konnte er kurz und überraschend einen achtbaren Erfolg feiern, als ihn die berühmte Galerie Brusberg am Westberliner Kurfürstendamm unter Vertrag nahm. Das war ganz am Anfang der Zweitausenderjahre und endete im Zerwürfnis zwischen Künstler und Galerist.
Daraufhin folgte der Versuch, genug Kraft für eine weitere Schaffensperiode aufzubringen. Was nicht gelang. Zunehmend wurde aus der Anstrengung an der Arbeit mit den eigenen Bildern ein Kampf mit diesen, der Zschocher über die Zeit zwang, mit dem Malen aufzuhören und später sogar seine Bilder aus seinem Blickfeld und immer mehr auch aus seinem Bewusstsein zu verbannen.
Ja, und möglicherweise ist es ja gerade das, was große Kunst ausmacht und fordert, möglicherweise braucht diese die ganze Kraft ihres Schöpfers, von denen einige offenbar und tragischerweise nicht in der Lage sind, genug für sich zurückzubehalten. Michael Zschocher, still die letzten Jahre, wurde trotzdem und immerhin 76 Jahre alt.
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