Was ihm 2021 passierte, war ein regelrechter Schock für ihn. Irgendwie war die Nachricht in die Welt gelangt, dass Gunter Preuß gestorben sein könnte. „Nach dem unsäglichen Dilemma um meine vorzeitig in die Öffentlichkeit geratene Todesanzeige soll nun schnell der Schwamm drüber sein“, schrieb er damals an all seine Freunde. Und mit dem ihm ganz eigenen Humor machte er im nächsten Jahr gleich ein Buch daraus, das er im Passage-Verlag veröffentlichte: „Vor Toresschluss“. Ein Buch, mit der er für sich schon einen Schlusspunkt setzte. Denn eins war endgültig klar: Das Leben ist endlich.

Und das war nicht das erste Mal, dass sich der 1940 geborene Leipziger Schriftsteller, mit dessen Jugend- und Kinderbüchern viele heute Ältere aufgewachsen sind, mit der Vergänglichkeit des eigenen Lebens konfrontiert sah. Schon 2018 hatte er sich mit „Mensch, Mensch – ein vorhergesagter Nachruf“ mit diesem Abschiednehmen auseinandergesetzt, das die meisten Menschen aus ihrem Leben verdrängen. Und es war nicht nur sein Körper, der ihn daran erinnerte, dass alle Wege endlich sind.

Wer nicht über sich selbst lachen kann …

Und mit wenig hatte sich Gunter Preuß in den letzten Jahren so intensiv beschäftigt wie mit der Endlichkeit des Lebens. Eine Endlichkeit, die er auch mit Schmerzen im Körper mit Humor nahm. Denn: „Wer Humor hat, benötigt keinen Zerrspiegel, um über sich hellauf lachen zu können.“

Manchmal steckte auch der Eulenspiegel in ihm. Der Mann der zugespitzten Kleintexte sowieso. Wenn die Zeit sowieso schon knapp ist, dann ist der beste Weg, sie trotzdem produktiv zu nutzen, die kurze Form. Vorbilder gibt es genug. Er fand sie bei Nietzsche und Lichtenberg. Seine im Passage-Verlag und im HeRaS Verlag verÜffentlichten Epigramme waren wie Funksprßche aus der Abenddämmerung.

Zu sagen gab es immer noch etwas. Über das Große und Ganze und das Leben im Kleinen und Menschlichen. „Anachronistische Telegramme“, so definierte er die Form des Epigramms, mit der er auch in den letzten durchwachsenen Jahren das Welt-Erfahren auf den Punkt brachte.

Mit jenem verschmitzten Blick auf die menschliche Hochmütigkeit, die er nicht nur bei seinen zuweilen sehr seltsamen Zeitgenossen beobachte. Menschliches war ihm nicht fremd. Im Gegenteil. „So viele Gedanken wir uns auch um den Tod machen, er bleibt uns undenkbar“, lautete eins seiner 2020 veröffentliche Epigramme.

Wer sie eins nach dem anderen liest, wird hin und her geschüttelt. Und ahnt, wie es im Kopf eines Mannes zuging, der auch die ausschweifenden Spaziergänge durch Wald und Aue dazu nutzte, über all die Seltsamkeiten im menschliche Leben nachzudenken. „Nur im Wald gehe ich aus mir heraus“, schrieb er.

Ein Kommen und Gehen

Und wer seine Epigramm-Sammlungen las, die da „Mensch, Mensch“, „Karambolagen“ und „Kurzwaren“ hießen, der wartete beim letzten Satz schon gespannt auf den nächsten Band. Wohl wissend, dass dieser Preuß ganz bestimmt keine Ruhe geben würde.

Aber 2022 war dann wirklich Schluss. Da machte er das, was ihn seit 2018 umtrieb, endgültig zum Buchtitel: „Vor Toresschluss“.

Und er hatte keine Angst, auch diesen letzten Weg genauestens in Augenschein zu nehmen. „Es ist von jeher ein Kommen und Gehen, das von mal mehr und mal weniger Trara begleitet mit Geburt und Tod zwei – wenn auch nicht die Welt, so doch das nahe Umfeld des Betroffenen – bewegende Momente hat. Lauthals schreiend und uns freistrampelnd erscheinen wir auf der Bildfläche. Und still ergeben oder in vom Schmerz diktierter Jeremiade verschwinden wir von ihr.

Dazwischen spielt das Leben, für den einen zu kurz, für den anderen zu lang, bald verrückt, bald gelangweilt, berechnend, voller Überraschungen, miesepetrig bis hasserfüllt, mit beseelter Umarmung (die rasch erdrückend werden kann), tränenreich und ausgelassenem Lachen bis hin zu infernalischem Gelächter: im Großen und Ganzen also so lala, unterm Strich, trotz Milchmädchenrechnungen im Defizit.“

So im Großen und Ganzen. Im Konkreten: ein literarisches Werk, das man durchaus neben das schönste setzen darf, was die deutsche Literatur hervorgebracht hat – die Bücher der großen Aphoristiker. Das ist eine hohe Kunst. Die von genau der Fähigkeit lebt, die Gunter Preuß benannt hat: der Kunst, sich selbst nicht so bitterernst zu nehmen. Denn das Kleine lebt vom Verletzlich-Sein. Ja, auch in den engsten Beziehungen. So mancher dürfte die eigenen Lebens-Malaisen wiedererkennen in so trockenen Sätzen wie: „Wer in der Liebe zu viele Fragen stellt, bekommt bald keine Antworten mehr.“

Das klingt, als wäre er enttäuscht. Dabei erzählen dutzende Epigramme – auch die über die Liebe – davon, dass er nie verlegen war darum, immer neue Fragen zu stellen. Und damit auch zu hinterfragen woran man für gewöhnlich nicht rührt. Wir leben alle mit dieser Angst vor Enttäuschungen oder Antworten, die uns ernüchtern. „Hoffnung haben heißt Geduld aufbringen und auf alles gefasst sein.“

Das wäre sogar ein faszinierender Spruch fßr einen Grabstein. Vielleicht ist er jetzt tatsächlich gestorben und wir bekommen keine weitere Mail, in der er uns vÜllig verwundert darßber informiert, dass irgendein Fehler im System mal wieder eine Nachricht in die Welt gesetzt hat, die so nicht stimmen kann. Aber vielleicht stimmt es wirklich, dass er am 12. Juni tatsächlich die Feder aus der Hand gelegt hat. Oder die Mouse.

Nie ist alles gesagt. Das wusste er selbst. Und schrieb es auf. Pointiert, wie es wenige getan haben in diesen unseren wilden Zeiten. „Da will man sich aus dem Staube machen und muss feststellen, dass der Schlamassel nie ein Ende hat.“

Wenn jetzt doch wieder eine Mail kommt, wĂźrden wir uns gar nicht wundern.

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