Menschen, die von einer besonders seltenen Krankheit betroffen sind, sehen sich mit vielfältigen, scheinbar unüberwindbaren Problemen konfrontiert. Das beginnt schon mit der Suche nach einem Spezialisten, der die Krankheit auch zu erkennen vermag. Dazu kommt die Unsicherheit, wie man im familiären Umfeld und im Freundeskreis mit der Krankheit umgehen soll. Am Uniklinikum Leipzig steht den Patienten jetzt ein spezielles Zentrum für seltene Erkrankungen zur Verfügung.

Dem Problem seltener Krankheiten will man jetzt mit einem Leipziger Projekt begegnen. Denn am hiesigen Uniklinikum steht den betroffenen Patienten jetzt ein spezielles Zentrum für seltene Erkrankungen zur Verfügung. Hier soll das schon vorhandene Spezialistenwissen für besonders seltene Krankheiten gebündelt werden. Zudem wird die Kompetenz zur Diagnostik und Behandlung seltener Krankheiten vereint. Das besondere dabei ist, dass die Führung der Patienten durch das schier unüberschaubare Labyrinth der verschiedenen Disziplinen dieser Erkrankungen sogenannte Lotsen übernehmen.

Höchstens eine Person unter 2.000 betroffen

Unter seltenen Krankheiten versteht man diejenigen Störungen, von denen nur eine vergleichsweise kleine Zahl von Menschen betroffen ist. In Europa wird eine Krankheit dann als selten klassifiziert, wenn sie höchstens eine unter 2.000 Personen betrifft. Der Status ‘selten’ kann sich mit der Zeit oder auch regional ändern. So ist die Thalassämie, eine genetisch bedingte Form der Blutarmut, selten in Nordeuropa, aber häufig in den Mittelmeerländern. Es gibt auch Krankheiten, die in ihren Haupterscheinungsformen überall häufig sind, in Sonderformen aber selten auftreten. Warum Lotsen notwendig sind, verdeutlicht der Umstand, dass es Tausende von seltenen Krankheiten gibt. Sechs- bis siebentausend seltene Krankheiten sind bereits gefunden worden, und regelmäßig werden in der medizinischen Fachliteratur neue seltene Krankheiten erstmalig beschrieben. Die Zahl existierender seltener Krankheiten hängt auch von der Spezifität der Klassifikation seltener Krankheiten ab.

Fast alle genetische Störungen sind seltene Krankheiten, aber nicht alle seltene Krankheiten sind genetisch bedingte Krankheiten. So gibt es zum Beispiel sehr seltene Infektionskrankheiten, seltene Formen von Autoimmun-Störungen oder auch seltene Krebskrankheiten. Für die meisten seltenen Krankheiten sind die Ursachen noch nicht geklärt. Bei über 50 % der seltenen Krankheiten manifestiert sich die Erkrankung erst im Erwachsenenalter (z.B. Huntington-Krankheit, Morbus Crohn, Charcot-Marie-Tooth-Krankheit, amyotrophe Lateralsklerose oder Kaposi-Sarkom).(Quelle: orpha.net, d. Red.)

Seit Jahren Anlaufstelle für Patienten mit seltenen Krankheiten

Dazu muss man wissen, dass das Universitätsklinikum seit Jahren in vielen Bereichen Anlaufstelle für Menschen mit seltenen Erkrankungen gilt. Jetzt steht diesen Patienten als zentraler Anlaufpunkt das neu gegründete Universitäre Zentrum für Seltene Erkrankungen (UZSE) zur Verfügung. Hier wird das Fachwissen von 22 in die Behandlung seltener Krankheiten eingebundenen Fachbereiche von der Kindermedizin und der Humangenetik über die Rheumatologie und Endokrinologie (Teilgebiet der inneren Medizin, d. Red.)  bis zur Virologie zusammengefasst. Professor Wieland Kiess, einer der Sprecher des Zentrums sowie Direktor der UKL-Klinik für Kinder- und Jugendmedizin: “Wir haben seit Jahren große Erfahrung mit sehr seltenen Krankheiten wie beispielsweise dem Prader-Willi-Syndrom, der Mukoviszidose oder der tuberösen Sklerose, um nur drei Beispiele aus der Kindermedizin zu nennen”. Mit der Einrichtung des Zentrums wolle man den Patienten eine weiter verbesserte Versorgung anbieten und vor allem auch die Erforschung und Entwicklung von Therapien vorantreiben.

2.000 Patienten im vergangen Jahr in Leipzig behandelt

Allein in der UKL-Kinderklinik wurden im vergangenen Jahr Patienten mit 2000 unterschiedlichen Diagnosen aus dem Bereich der seltenen Erkrankungen behandelt. Insgesamt geht man für Deutschland von 6.000 Krankheiten aus, die als selten bezeichnet werden. Das bedeutet, dass nur fünf von 10.000 Menschen daran erkranken. “Für uns als behandelnde Ärzte kann das heißen, dass wir nur einen einzelnen Patienten mit einer bestimmten Erkrankungsform sehen, oder aber Gruppen von Patienten, die 17 oder 24 Betroffene umfassen können”, erklärt Professor Kiess. In die Versorgung solcher Patienten ist faktisch das gesamte Universitätsklinikum mit fast allen Bereichen eingebunden. “Das ist eine typische Aufgabe der Universitätsmedizin, die ein breites Fächer-Spektrum und neuesten Kenntnisstand in einem Haus vereint”, so Kiess. Die Patienten brauchen oftmals viele Fachrichtungen für Diagnostik und Therapie. Für die bereits gelebte übergreifende Zusammenarbeit bietet das Zentrum jetzt eine vernetzte Struktur und für Betroffene einen zentralen Anlaufpunkt.

Lange Suche nach dem richtigen Arzt soll erspart werden

Hier stehen den Patienten jetzt als erste Ansprechpartner drei Lotsen zur Verfügung. Die Experten sollen insbesondere neuen Patienten dabei helfen, gezielt die jeweils individuell notwendigen Ansprechpartner zu finden und einen schnellen Zugang vermitteln. “Wir wollen auf diese Weise den Patienten die lange Zeit der Suche nach dem richtigen Arzt ersparen” erklärt Prof. Johannes Lemke, kommissarischer Direktor des Instituts für Humangenetik und gemeinsam mit Prof. Kiess Sprecher des UZSE. “Wir stehen vor der großen Aufgabe, Menschen mit großen gesundheitlichen Problemen, deren Bedürfnisse lange vernachlässigt wurden, wirksam zu helfen und künftig eine bessere Versorgung auch in solchen Randgebieten der Medizin sicherzustellen”, so Kiess. “Mit dem UZSE haben wir am Universitätsklinikum Leipzig jetzt dafür auch die notwendigen institutionellen Bedingungen geschaffen.”

Vier Millionen Menschen in Deutschland betroffen

Nach Schätzungen leiden etwa vier Millionen Menschen in Deutschland an ähnlich seltenen Erkrankungen. “Volkskrankheiten” wie Herzinfarkt kommen im Schnitt mehr als sechsmal häufiger vor. Als selten gelten rund 5.000 verschiedene Krankheitsbilder. Englisch heißen sie “orphan diseases”, was so viel bedeutet wie “Waisenkrankheiten”. Zu den bekanntesten gehören die Mukoviszidose, eine lebensbedrohliche Stoffwechselkrankheit, oder bestimmte Formen von Rheuma. Viele Erkrankungen wie das Williams-Beuren-Syndrom oder die Fanconi-Anämie haben genetische Ursachen, die Mehrzahl tritt chronisch auf, und die Heilungschancen sind meist sehr gering. Zudem fristen die “Waisenkrankheiten” im medizinischen Alltag aufgrund ihrer Seltenheit ein Schattendasein. Das birgt auch das Risiko, dass normale Hausärzte die eigentliche Krankheit gar nicht erkennen. So wie das eingangs erwähnte Prader-Willi-Syndrom. Dabei handelt es sich um eine vergleichsweise seltene, durch ein beschädigtes Chromosom 15 des Menschen bedingte Behinderung. Es beruht auf einer angeborenen Genmutation und geht mit körperlichen, stoffwechselbezogenen und kognitiven Symptomen einher, die durch eine Fehlfunktion des Zwischenhirns verursacht werden.

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