Irgendwie kennt man das schon, was das Integrierte Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) AdipositasErkrankungen jetzt meldet: „Menschen mit Übergewicht und Adipositas, die im Kindes- oder Jugendalter wegen ihres Aussehens gehänselt wurden, haben große Probleme beim langfristigen Abnehmen.“ Manchmal hat Übergewicht eben doch mit einem angenagten Selbstbild zu tun.

Und da ist es dann manchmal egal, ob man in der Kindheit aus verschiedensten Ursachen einfach mal ein bisschen pummelig war: Wenn das die lieben Altersgenossen dazu animiert hat, einen zu necken, zu ärgern oder gar zu erniedrigen, dann bleibt was hängen. Dann ist das Selbstbild irgendwie lädiert und man hat es auch später schwer, sich selbst zu stärken, wenn man alle Kraft braucht, um mal was für sich zu tun – abzunehmen zum Beispiel.

Dass die frühen Hänseleien nachwirken, das belegt jetzt eine Studie des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums (IFB) AdipositasErkrankungen der Universitätsmedizin Leipzig. Darüber berichten die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins „Appetite“.

Von 381 Frauen und Männern mit früherem oder anhaltendem Übergewicht gaben 14 Prozent an, im Kindes- oder Jugendalter wegen ihres Aussehens so sehr gehänselt worden zu sein, dass es sie belastet habe. Experten sprechen bei solchen negativen Äußerungen und Meinungen sowie Ablehnung einer bestimmten Gruppe von Stigmatisierung. Den untersuchten Personen aus dem Deutschen Gewichtskontrollregister der Medizinischen Hochschule Hannover war es gelungen, mindestens zehn Prozent ihres maximalen Körpergewichts zu verlieren. Sie konnten das reduzierte Gewicht über mindestens ein Jahr halten und nahmen nach zwei Jahren im Schnitt wieder 2,8 Kilogramm zu.

Aber zwischen den Probanden gab es deutliche Unterschiede.

Die Teilnehmer, die in Kindheit und Jugend für ihr Aussehen gehänselt wurden, konnten das niedrigere Gewicht langfristig weniger halten als unbelastete Teilnehmer.

Und dann sieht man bestätigt, was man schon ahnte: Essen wird auch in solchen Phasen zum schnellen und leider folgenreichen Trost.

Als Ursache zeigte sich nämlich, dass die durch Stigmatisierung belasteten Personen stärker zu „emotionalem Essen“ neigten. Dies bedeutet, so erklären es die Forscher, dass sie bei Ärger, Stress, Traurigkeit, Langeweile und ähnlichen negativen Emotionen versuchten, durch Essen wieder eine positivere Stimmung zu erreichen.

Das kennt man ja auch als nicht ganz so dicker Mensch. Und gerade wenn man richtig Trost braucht, verlangt es einen ausgerechnet nach richtig süßen oder richtig fetten Sachen. Wenn man sich dann wieder einkriegt, bekommt man es vielleicht wieder abgelaufen.

Aber das fällt Menschen, die damit schon in frühen Kindertagen geärgert wurden, nicht wirklich so leicht.

In der Folge kann gerade bei ihnen leicht ein Teufelskreis aus Hänseleien, negativen Emotionen, Frustessen und weiterem Gewichtsanstieg entstehen, der wiederum noch mehr Hänseleien nach sich zieht.

Auch darauf weisen die IFB-Forscher hin: Verschiedene Studien belegen, dass Auffälligkeiten im Essverhalten, wie etwa emotionales Essen, eine langfristige Gewichtsabnahme beeinträchtigen.

„Forscher und Ärzte wissen bisher aber wenig darüber, wie sich Stigmatisierung auf die Entwicklung des Gewichts auswirken“, unterstreicht Prof. Dr. Anja Hilbert, Leiterin des Forschungsbereichs Verhaltensmedizin am IFB.

Die Stigmatisierung von Menschen mit starkem Übergewicht hat dann freilich neben den geringeren und kürzeren Abnehmerfolgen viele weitere gravierende Auswirkungen, wie etwa ein negatives Selbstbild, Essstörungen und sogar Depressionen.

„Für die Therapie der Adipositas muss der Zusammenhang zwischen Stigmatisierung und einem kleineren langfristigen Abnehmerfolg beachtet werden. Denn nur ein anhaltend niedrigeres Körpergewicht hilft, die schweren Folgeerkrankungen einer Adipositas wie Diabetes, Arteriosklerose, Fettleber oder Bluthochdruck zu reduzieren“, erläutert die verantwortliche Wissenschaftlerin Claudia Hübner, Psychologin im Team von Prof. Hilbert.

Derzeit schaffen es nur 17 bis 34 Prozent der Menschen mit Übergewicht und Adipositas nach einer Gewichtsreduktion, den Abnehmerfolg langfristig zu halten.

Und es bestätigt sich, was sich in der Psychologie immer wieder zeigt: Ohne ein positiv verstärkendes Umfeld geht es eigentlich nicht. Oft genug sind es die negativen Einflüsse aus unserer Umgebung, die einen mühsam erkämpften Erfolg wieder zunichte machen.

Um Adipositastherapien nachhaltiger zu machen, wäre es folglich notwendig, die gewichtsbezogene Stigmatisierung durch mehr gesellschaftliche Aufklärung zu Adipositas zu verringern und den Umgang der Betroffenen damit zu verbessern, formuliert es das IFB. Letzteres geschieht mit Betroffenen zum Beispiel durch das Training von Bewältigungsstrategien. Dabei lernen die Betroffenen, wann sie mit Essen auf negative Gefühle reagieren und welche alternativen Verhaltensweisen möglich sind. Patienten in der IFB AdipositasAmbulanz am Universitätsklinikum Leipzig können bei Bedarf an einem entsprechenden Training zum Stressmanagement der IFB Verhaltensmedizin teilnehmen.

Ein stärkeres Selbstwertgefühl hilft dann auch, bei den Pfannkuchen mal „Nein“ zu sagen und dafür lieber zu den pausbäckigen Äpfeln zu greifen.

Zum Beispiel.

Wissenschaftler am IFB erforschen im Bereich Verhaltensmedizin sowie in einer speziellen Nachwuchsforschungsgruppe die Ursachen und Auswirkungen von Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit Übergewicht und Adipositas.

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