Es ist kein Trugschluss, wenn man auf Leipzigs Straßen den Eindruck bekommt, dass immer mehr Menschen ein beschwerliches Übergewicht mit sich herumtragen. Die Corona-Pandemie hat das Problem noch verstärkt, wie die Bürgerumfrage 2022 ergab. Aber womöglich irren sich die Autoren des dazu gehörenden Beitrags, wenn sie meinen, mehr Sport würde das Übergewicht verhindern. Aber eine andere Interpretation liegt viel näher.

Wobei die grundlegende Feststellung durchaus erschreckend ist: „Die Hälfte der Leipziger Bevölkerung hat einen BMI von 25 und mehr und gilt laut Definition der WHO damit als übergewichtig. Deutschlandweit lag dieser Anteil laut Mikrozensus im Jahr 2021 bei 52,6 Prozent (DESTATIS, 2023). Bei den Leipziger Männern ist dieser Anteil mit 56 Prozent deutlich größer als bei den Leipziger Frauen (45 Prozent). Deutschlandweit sind die Unterschiede zwischen Männern (62,5 Prozent Übergewicht und Adipositas) und Frauen (42,5 Prozent) nochmals stärker ausgeprägt.“

Da in den Bürgerumfragen auch die sportliche Betätigung abgefragt wird, setzen es die Leipzig Statistiker gleich mal in eine Korrelation.

„Im Durchschnitt haben die Leipzigerinnen und Leipziger, die mindestens einmal pro Woche Sport treiben, einen leicht unterdurchschnittlichen BMI von 24,8 (Männer: 25,3 bzw. Frauen: 24,3) und sind nur zu 43 Prozent übergewichtig bzw. adipös. Demgegenüber zeigt der BMI bei Personen, die seltener als einmal pro Woche Sport treiben, mit 26,6 (Männer: 27,1 bzw. Frauen: 26,2) eher ein Übergewicht an. In der Gruppe der sportlich Nicht-Aktiven ist der Anteil Übergewichtiger bzw. Adipöser mit 59 Prozent entsprechend überdurchschnittlich.“

Ja, aber was ist hier Ursache und was nur Begleiterscheinung? Denn Menschen, die auf ihr Körpergewicht achten, treiben ja in der Regel auch mehr Sport. Und ernähren sich in der Regel auch gesünder. Und sind es daher meist auch.

Zum Gesundheitszustand der Leipziger im Zeitverlauf und im Armut-Reichtum-Verhältnis. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2022
Gesundheitszustand der Leipziger im Zeitverlauf und im Armut-Reichtum-Verhältnis. Grafik: Stadt Leipzig, Bürgerumfrage 2022

Und gerade bei den zitierten 18- bis 34-Jährigen fällt auf: Haben 2013 noch 60 Prozent von ihnen Sport getrieben und 2022 sogar 66 Prozent, stieg gleichzeitig der durch die Bürgerumfrage abgefragte Anteil der Übergewichtigen in dieser Altersgruppe von 26 auf 36 Prozent.

Die Erklärung mit dem Sport scheint so also nicht zu stimmen.

Das belastende Alter

Tatsächlich besteht natürlich eine Korrelation mit dem Alter der Befragten: „Deutlich wird, dass die sich ab etwa Mitte 40 verschlechternde Einschätzung des eigenen Gesundheitszustandes mit geringerer sportlicher Betätigung einhergeht. Gleichzeitig ist diese Lebensphase durch einen Anstieg des Anteils Übergewichtiger gekennzeichnet“, liest man im Bericht zur Bürgerumfrage.

Und: „Die Prävalenz übergewichtiger und adipöser Personen nimmt mit dem Alter deutlich zu. Im Rentenalter sind gut zwei von drei Leipzigerinnen und Leipzigern (68 Prozent) übergewichtig. Einen starken Anstieg verzeichnet aktuell die Altersgruppe zwischen 18 und 34 Jahren. Mit 36 Prozent steigt der Anteil Übergewichtiger im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie um 6 Prozentpunkte. Dieses Ergebnis deckt sich mit Daten der bundesweiten GEDA-Studie (Schienkiewitz, Damerow, Richter & Mensink, 2022).“

Aber ist das tatsächlich ein kausaler Zusammenhang?

Auch das darf man fragen. Denn vor dem Kapitel zum Übergewicht behandelt der Bericht die Frage, wie krank sich die Leipzigerinnen und Leipziger fühlen. Und die Corona-Pandemie hat bei vielen Befragten das Gefühl, gesund zu sein, in den Keller gedrückt.

Der starke Faktor Armut

„Aus Abbildung 5–1 wird ersichtlich, dass die Einschätzung des eigenen Gesundheitszustands in Leipzig aktuell einen langjährigen Tiefpunkt erreicht hat“, kann man im Bericht lesen. „Nur noch 56 Prozent aller Leipzigerinnen und Leipziger schätzen ihren Gesundheitszustand im Jahr 2022 sehr gut oder gut ein. Auch in den betrachteten Altersgruppen werden jeweils Tiefststände verzeichnet. Im 2-Jahres-Vergleich entwickelt sich die Selbsteinschätzung besonders negativ bei den 18- bis 34-Jährigen (-13 Prozentpunkte).

Nach wie vor schätzen Männer (59 Prozent) ihren Gesundheitszustand etwas besser ein als Frauen (55 Prozent). Mit zunehmendem Alter verschlechtert sich die Einschätzung zudem stark. Beurteilen unter den jungen Erwachsenen noch 70 Prozent ihren Gesundheitszustand als sehr gut oder gut, sind dies bei den 65- bis 90-Jährigen nur noch 33 Prozent.“

Das ist zwar nur die subjektive Selbsteinschätzung, die mit dem tatsächlichen Gesundheitsbefinden nicht immer zwingend gleichzusetzen ist. Aber ganz offensichtlich sorgt auch das Gefühl, kränker zu sein, bei vielen Menschen nicht nur für den Verzicht auf sportliche Betätigung, sondern auch für eine ungesündere Lebensweise: Es wird sich insgesamt weniger bewegt und es wird sich schlechter und ungesünder ernährt.

Und da hilft auch der Blick auf die Grafik mit der Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes nach Einkommensgruppen. Und auf einmal klafft selbst hier die Schere zwischen Arm und Reich auseinander, merken insbesondere einkommensarme Menschen und Mitglieder der unteren Mittelschicht einen deutlich schlechteren Gesundheitszustand an als Mitglieder der oberen Mittelschicht oder gar der Einkommensreichen.

Was ja auch heißt, dass die einkommensärmeren Bevölkerungsgruppen weniger Mittel zur Verfügung haben, um ihre Gesundheit zu erhalten – und deshalb auch weniger Sport treiben, sich schlechter und ungesünder ernähren und auch in der Freizeit weniger unternehmen, womit sie immobiler werden.

Ein sehr bedenklicher Punkt, denn sie sind es eben auch, die zuallererst unter dem kaputt gesparten Gesundheitssystem leiden. Dazu kommt: „Eine Überprüfung mittels eines generalisierten additiven Regressionsmodells zeigt, dass der Zusammenhang zwischen Armutsgefährdung sowie Schulabschluss und der Einschätzung des persönlichen Gesundheitszustandes statistisch signifikant ist.“

Was ja auch bedeutet, dass eine systematische Benachteiligung im Bildungsweg auch noch massive gesundheitliche Folgen für die Betroffenen hat. Mentale sowieso.

Und dann darf man durchaus darüber nachdenken, was es bedeutet, wenn Menschen frühzeitig verinnerlichen, dass ihre Gesundheit nichts wert ist und es sich nicht lohnt, präventiv etwas dafür zu tun.

Ein Kapitel, über das man durchaus stolpern darf. Und das eben sehr deutlich zeigt, dass der Sport nicht der wichtigste Grund dafür ist, dass Menschen länger gesund bleiben. Sondern eher Faktoren wie Selbstachtung, Respekt und finanzielle Mindeststandards, die ein wesentlicher Teil der Leipziger Stadtgesellschaft nicht hat.

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